Eine Fluoxetin bzw. Prozac Pille in einem Hirn, Collage

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Der VICE Guide to Geistige Gesundheit

Warum ich nie aufhören werde, Prozac zu nehmen

Ich habe oft versucht, von Prozac – auch bekannt als Fluoxetin – wegzukommen. Es war schrecklich. Bin ich süchtig? Das sind meine Erfahrungen:

Wenn die Leute mich fragen warum, fühle ich mich am hilflosesten. Sogar irgendwie schuldig. Warum bist du depressiv? Was ist passiert, dass es dir so schlecht geht? Als ob es mir nicht schon schlecht genug ginge, soll ich nun noch rational herleiten, oder erklären, warum ich eine Depression habe.

Es ist kein Wunder, das eins der Symptome einer Depression Selbsthass ist. Natürlich wirst du dich hassen, wenn es keinen verdammten Grund gibt, sich so schlecht zu fühlen. Und ja, es macht alles nur noch schlimmer zu wissen, dass es Leute gibt, die hungern oder kein Zuhause haben und also wirkliche Gründe haben, sich Scheiße zu fühlen. Du hasst dich dafür, dass du dich so gehen lässt.

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Dabei hat eine Depression natürlich nichts damit zu tun, sich gehen zu lassen. Es ist ganz einfach ein chemisches Ungleichgewicht im Hirn, das dich Verzweiflung und/oder eine tiefe Angst vor allem, was dich umgibt, verspüren lässt. Du musst kein existenzielles Unwohlsein haben, keine komplexe Theorie über die Sinnlosigkeit des Lebens. Die Dinge müssen sich nicht gegen dich verschworen haben. Du musst deinen Job nicht verlieren. Obwohl all das natürlich helfen kann. Du brauchst einfach nur den Fehler im Hirn. Und wenn du den Fehler hast, verliert das Leben jegliche Objektivität und macht keinen Sinn mehr.

Also schaffst du es vielleicht nicht mehr früh aufzustehen und du musst dich wie ein Hotdog in deine Decke einrollen und für alle Ewigkeit so liegen bleiben. Oder du stehst tatsächlich auf und stellst dann fest, dass du im Supermarkt auf einmal grundlos losheulen musst. (Ich habe jahrelang immer heulen müssen, wenn ich Samstag vormittags mit meiner Freundin in einen Supermarkt gegangen bin. Ich habe keine Ahnung warum, ich mochte den Laden ganz gern, aber sie beschloss irgendwann, dass es einfacher war, wenn sie allein einkaufen ging.) Oder du stellst fest, dass du plötzlich völlig riskant fährst und zwischen den Autos und Bahnen hin und her wechselst und hoffst, dass das Schlimmste passiert. Oder du traust dich nicht mehr in die U-Bahn, weil du Angst hast, dass du dich vor einen Zug werfen könntest—und ja, ich weiß selbst, wie furchtbar das für alle wäre, die zusehen müssten.

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Seit ich erwachsen bin, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als etwas zu fühlen, das die reale Welt reflektiert; glücklich zu sein, weil etwas Gutes passiert ist, und traurig zu sein, weil etwas schlecht ist.

Oder du hast Angst, den Leuten in die Augen zu schauen, weil du ständig denkst, dass sie sehen werden, was mit dir los ist, auch wenn du selbst nicht ganz weißt, was das genau ist – dass du einfach doof bist oder ein Schlaumeier, oder unsensibel oder übersensibel, oder dass du in jemand verknallt bist oder nicht bist, du nichts zu sagen hast, oder was auch immer es sonst sein mag. Oder du bist vor Angst dermaßen gelähmt, oder in deiner eigenen Welt eingeschlossen, dass du nicht mehr in der Lage bist, die einfachsten Dinge zu verstehen, dass du z.B., wenn dich jemand nach der Zeit fragt, nicht mehr weißt, was du antworten sollst, weil du in deinem Kopf nur noch ein Metronom ticken hörst und alle anderen Gedanken davon wie ausgelöscht sind.

Ich erinnere mich, wie ich mal mit einer Freundin nach Griechenland fuhr. Es half auch nicht, dass wir kein Geld hatten und daher unsere Tage und Nächte an einem FKK-Strand verbrachten, wo wir von hedonistischen Narzissten umgeben waren, die nichts und niemanden so toll fanden wie sich selbst. Ich hoffte jeden Tag, dass es regnen würde. Nicht, weil ich dann einen Grund gehabt hätte, vom Strand zu verschwinden, sondern weil ich dann einen Grund gehabt hätte, mich Scheiße zu fühlen. „Wir sind extra so weit gereist, um die fleischlichen Freuden Griechenlands zu genießen und jetzt pisst es. Verdammt. Das Leben ist ungerecht." Seit ich erwachsen bin, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als etwas zu fühlen, das die reale Welt reflektiert; glücklich zu sein, weil etwas Gutes passiert ist, und traurig zu sein, weil etwas schlecht ist.

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Und es ist der Fluch von uns Depressiven, dass uns dieser einfache Wunsch nicht erfüllt wird. Solange wir keine Pillen nehmen.

Ich habe mich als Teenager und junger Mann gesträubt, Antidepressiva zu nehmen. Das hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass mein Arzt mir Antidepressiva verschrieb, als ich in Wirklichkeit Enzephalitis hatte, also eine Hirnhautentzündung. Pillen waren ein Zeichen des Versagens, der Verrücktheit, nur einen Schritt von Elektroschocks entfernt oder gleich einer kompletten Lobotomie. Alles außer Pillen.

Ich wurde also mit zehn Jahren zu einer Krankenhauspsychiaterin geschickt. Die Frau fragte mich, wie ich mich fühle und beschloss dann, dass es sich um einen Fall des Münchhausen Stellvertretersyndrom handele, statt eine Hirnhautentzündung—dass meine Mutter sich meine Symptome also nur ausgedacht habe. Wie sich herausstellte war sie—die Psychiaterin, nicht meine Mutter—verrückt und rannte regelmäßig, wenn es Mitternacht schlug, nackt durchs Krankenhaus.

Als ich ein paar Jahre später tatsächlich an einer Depression erkrankte (viele Überlebende einer Hirnhautentzündung leiden aus einer Reihe von Gründen unter Depressionen: weil ihr Hirn durcheinander gewirbelt worden ist, weil sie Schäden davon getragen haben, oder weil sie danach Schwierigkeiten haben, den Alltag zu meistern), ging ich zu einem anderen Therapeuten. Er ließ mich bevorzugt darüber reden, wovon ich mich schlecht fühlte, oder fand sich besonders clever weil er rausgefunden hatte, dass meine Depression etwas damit zu tun haben konnte, was ich durchlitten hatte. Ich wusste nicht, was ich dort sollte, warum ich einem Mann zuhören sollte, der meine Lebensgeschichte absorbierte, um dann zu einem Schluss zu kommen, von dem ich eh schon immer ausgegangen war.

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Ich wollte kein Verständnis, noch nicht mal Mitgefühl, ich wollte Hilfe. Außerdem war er komisch, ein eigentlich ganz netter Typ, aber total verrückt. Er war übergewichtig, also hatte er sich die Kiefer zusammenklammern lassen. Das hatte nicht geholfen, also hatte er es mit einer Magen-Bypass-Operation versucht, an deren Folgen er schließlich verstarb. Ich musste bei offenen Fenstern in seinem Zimmer sitzen, weil sein Magen von der OP so ruiniert war, dass er während jeder Sitzung, die ich bei ihm hatte, die ganze Zeit über furzen musste.

Kurze Zeit später probierte ich es noch einmal mit Pillen. Sie machten mich katatonisch. Zombie-Pillen. Während ich vorher nur den ganzen Tag schlafen wollte, tat ich es nun wirklich. Natürlich wird man sich nicht total schlecht fühlen, wenn man total zugedröhnt ist, aber ein wirkliches Leben ist das auch nicht. Ich setzte die Pillen wieder ab.

Der Unterschied war erstaunlich. Ich wurde keine „shiny, happy person", aber ich musste nicht mehr die ganze Zeit weinen. Das Metronom hörte auf zu ticken, ich konnte den Leuten sagen, wie viel Uhr es war, und ich wurde ein halbwegs funktionales menschliches Wesen.

Die nächsten zehn Jahre überlebte ich ohne Therapeuten oder Pillen. Ich weinte mich durchs Leben, rollte mich mit meiner Decke zu einem Hotdog zusammen und schaffte es irgendwie weiterzumachen. Alles lief eigentlich blendend—ich hatte meinen Traumjob beim Guardian, eine tolle Partnerin, Kinder, Freunde—aber ich fühlte mich trotzdem noch immer Scheiße.

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Depressive haben die Angewohnheit, einander anzuziehen. Man riecht sich zehn Meilen gegen den Wind. Und das war wahrscheinlich auch der Grund, warum ich mich so gut mit meiner besten Freundin Fiona verstand. Fiona war die Sekretärin im Ressort Kunst beim Guardian, aber sie verstand alles viel besser als die Kritiker, die sich mit ihr unterhielten, wenn sie sich etwas angeschaut hatten, und ihr dann die besten Sätze klauten. Fiona war eine klassische Depressive, die keinen Grund hatte unglücklich zu sein. Sie war hochintelligent, supernett, beliebt, einzigartig. Aber nichts davon half ihr mit dem Leben klarzukommen und sie brachte sich um.

Ein paar Monate später drehte ich durch. Ich wusste, dass es mit Fiona zu tun hatte und unausweichlich war. Ich zwang mich, zum Arzt zu gehen und zu sagen, dass ich an Selbstmord dachte und einfach etwas wollte, wovon es mir so schnell wie möglich besser gehen würde. Sie schickte mich in ein psychiatrisches Krankenhaus, wo sie mich aber nicht da behielten, sondern mir Antidepressivaverschrieben. Prozac war in den 1990ern noch relativ neu. REM schrieben Shiny Happy People darüber—und das war die Angst, die allgemein herrschte, dass es eine Art glücklich machender Chemiekeule war. Sie sagten mir voraus, dass ich mich ein paar Wochen lang sehr krank fühlen würde (was ich auch tat), aber das ich dabeibleiben sollte.

Der Unterschied war erstaunlich. Ich wurde keine „shiny, happy person", aber ich musste nicht mehr die ganze Zeit weinen. Das Metronom hörte auf zu ticken, ich konnte den Leuten sagen, wie viel Uhr es war, und ich wurde ein halbwegs funktionales menschliches Wesen. Meine Partnerin, Diane, war gegen Antidepressiva gewesen, weil sie gesehen hatte, welche Auswirkung sie beim letzten Mal auf mich gehabt hatten, aber diesmal bestand sie darauf, dass ich sie weiter nahm.

Ich hatte gelesen, dass Leute auf Prozac verrückt geworden waren und Leute umgebracht hatten, und ich machte mir Sorgen. Aber ich habe nie das Bedürfnis gehabt, jemanden umzubringen. Ich habe gelesen, dass es es schwieriger macht zu ejakulieren (was stimmt, aber es ist gut eine Herausforderung zu haben) und dass man seine Emotionen verliert (ich habe noch genug davon, aber ich weine nicht mehr so schnell, wenn ich einen Supermarkt betrete). Ich habe ein paar Mal versucht, sie abzusetzen, aber habe mich jedes Mal schrecklich gefühlt. Ich habe mich gefragt, ob das meine Depression war, oder ob ich von dem Prozac abhängig geworden bin. Vielleicht ist es beides. Am Ende hörte ich auf, mir deswegen Sorgen zu machen.

Wenn es mein Leben lebenswert macht, wen schert es dann, ob ich abhängig bin. 18 Jahre mit den kleinen zylindrischen grünweißen Gottesgeschenken und ich habe keinerlei Absichten aufzuhören. Nehme ich sie schon zu lange? Wahrscheinlich. Bin ich abhängig? Möglicherweise. Werde ich es jemals schaffen sie abzusetzen? Wahrscheinlich nicht. Macht mir das Angst? Keine Chance. Lang lebe Prozac. Ein Toast auf die nächsten 18 Jahre.