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Sexo

Ein Blick auf den transhumane Menschen der Zukunft

Wie zur Hölle würde Sex aussehen, wenn wir alle körperlose, digitale Wesen wären und in der Matrix umherschweben würden?

Natasha Vita-More ist viele Dinge zugleich. Sie ist Autorin, Künstlerin, Bodybuilderin und die Designerin, die den Primo Posthuman entworfen hat—ihr Design für den Zukunftsmenschen. Im Grunde ist es sowas wie der Typ in Rasenmähermann. Eine neue Gattung Mensch, die halb in der virtuellen, halb in der realen Welt lebt und Nanoroboter vernascht, wenn sie sich ein bisschen hungrig fühlt. Diese, von ihr entworfene posthumane Welt scheint ein faszinierender Ort zu sein, wirft jedoch eine Frage auf: Wenn wir uns aus unserer derzeitigen Form zu einer nicht-biologischen Form entwickeln, wie werden wir dann die grundlegendste und wesentlichste menschliche Erfahrung genießen können? Ich meine damit Sex, falls du noch nicht von alleine darauf gekommen sein solltest.

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Natasha wurde kürzlich zur Vorsitzenden von Humanity+ gekürt—einer nicht profitorientierten transhumanistischen Organisation—und da dachte ich mir, sie könne mir vielleicht helfen, ihre Vorstellung der Zukunft zu verstehen .

Obwohl sie behauptet, kein Experte in Sachen Sex zu sein, glaubt sie an eine Zukunft der Sinnlichkeit, unseren Beziehungen, und von Leidenschaft und Erregung und das alles außerhalb der Biologie unserer Körper. Perfekt. Unsere menschlichen Gestalten trafen sich über Skype und das ist das Gespräch was folgte.

VICE: Hey Natasha, hier ist meine Eröffnungsfrage: Wie wird Sex in einer transhumanistischen Welt aussehen?

Natasha Vita-More: Um über die Zukunft von Sex nachzudenken, müssen wir über die Geschichte von Sex nachdenken. Was ist die Rolle von Sex und warum haben wir ihn überhaupt? Der Grund, warum wir Sex haben ist, dass unsere Organe dazu geschaffen sind, genetische Codes auszutauschen und so ist Sex im Grunde ein Austausch von genetischem Code durch flüssige Materie. Wenn wir nun an die Zukunft der Menschheit denken, werden wir viel weitergehender in und an Maschinen gebunden sein. Das bedeutet, dass wir uns ansehen müssen, wie wir die Flüssigkeit aus diesem Prozess entfernen können, um uns in eine Spezies zu entwickeln, die nur noch teilweise auf Flüssigkeit basiert und teilweise computerisiert ist.

Mit Flüssigkeit meinst du Fleisch?

Ja, wir haben einen flüssigen Organismus. Der Körper besteht ja zum größten Teil aus Wasser.

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Wird durch Technologie aus Sex eher ein mentales und weniger ein physisches Erlebnis sein?

Dieser Mensch der Zukunft—wir müssen uns erst darüber bewusst werden, was das überhaupt ist. Als Erstes ist es ein Übergang von menschlichem Fleisch zu einer Art posthumanen, computerisierten Organismus. Du musst daran denken, wie unsere Körper zurzeit beschaffen sind, und was wir erhalten wollen und was für zusätzliche Anforderungen wir an ihn haben. In einer posthumanen Welt könnte es sein, dass wir uns nicht mit einer anderen Person reproduzieren wollen, sondern, dass wir uns eine Mosaik aus Reproduktion aus vielen Organismen oder Lebensformen wünschen.

Ich habe keine Ahnung, ob diese Bilder von Natasha sind ist oder nicht, aber ich werde trotzdem den Text damit übersähen. Ich bin mir sicher, das würde ihr nichts ausmachen—sie ist ja ein Transhumanist.

Was meinst du mit „Mosaikreproduktion“? Wie bunte Bodenfliesen?

Was ich Mosaikreproduktion nenne, wäre eine Ansammlung verschiedenster Gentypen, keine gemischten Spezies, aber verschiedene Gene innerhalb einer Spezies. So wie wir das heute bei der Reproduktion eines Mannes und einer Frau haben. Ihre beiden Gene kommen zusammen und formen den Embryo. In der Zukunft werden einige Menschen sich mit einem Menschen reproduzieren, während sich andere mit Elementen einer Vielzahl verschiedener Menschen reproduzieren wollen. Du könntest den Humor von jemandem haben wollen, die Intelligenz von jemand anderem, oder die athletischen Fähigkeiten von wieder jemand anderem, oder den Körperbau von einer anderen Person. Das könnte also ein Mosaik sein.

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Wie sieht es mit transhumaner Pornographie aus? Wird es noch Pornographie geben, wenn wir bloß körperlose, digitale Wesen sind, die in einem virtuellen Meer schwimmen?

Natürlich.

Wie werden sich Geschlechterrollen verändern? Sind wir im Vergleich zur Zukunft Puritaner im 21. Jahrhundert, mit diesem ganzen „du musst entweder männlich oder weiblich sein, das eine oder das andere“-Ding?

Als ich Primo Posthuman entworfen habe—einen zukünftigen Körperprototypen—habe ich das mit dem Gedanken im Hinterkopf getan, dass er nicht auf ein bestimmtes Geschlecht beschränkt sein muss. Der Zukunftsmensch könnte männlich oder weiblich oder er könnte androgyn, geschlechtslos, oder eine Kombination aus mehreren Geschlechtern sein. Dann könntest du für eine bestimmte Zeit männlich und zu einem gewissen Anteil weiblich sein, und dann weiblich für eine gewisse Zeit, oder ein Hermaphrodit, oder du könntest ohne ein spezifisches Geschlecht asexuell sein.

Natashas „Primo Posthuman“"

OK, es wird also viel mehr Gleichheit durch die Unterschiede geben?

Ja. Ich denke, wir werden männliche Eigenschaften und weibliche Eigenschaften haben. Wir werden es genießen, für eine bestimmte Zeitperiode unser Leben im männlichen Prototyp und für einige Zeit im weiblichen Prototyp zu leben. Das ist, woran sich die menschliche Psychologie erfreut und gleichzeitig sollen wir nicht so leben, weil die Gesellschaft von uns erwartet, nur ein Geschlecht zu besitzen.

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Könnten wir also in die Situation kommen, dass ein Kind eines Morgens aufwacht und sein Vater auf einmal seine Mutter ist?

Ich weiß nicht, ob das erstrebenswert ist, aber es wäre möglich, aber ich weiß wirklich nicht, ob das gut wäre.

Wenn wir verschiedene Körper haben, wenn wir länger leben und unsere Körper in mehreren Realitäten gleichzeitig exisiteren, wie wird das unsere Sexualität beeinflussen?

Der Aspekt der Sexualität, der sehr transhuman ist und von zukünftigen Menschen genossen werden würde, ist die reine Beobachtung dessen, was Vergnügen, was Verlangen, was Spontanität und was Teil der Sexualität ist. Was wir davon wohl beibehalten werden ist das Paarungsritual an sich. Das aufregende Element dieses Rituals überhaupt ist ja die Spannung—Die Frage, die man sich stellen wird, wird sein, wie wir diese Spannung noch wunderbarer und genussvoller machen können? Das alles kann zudem in den verschiedensten Umgebungen stattfinden. Du hast also sowohl virtuelle Sexualität, als auch telepräsente Sexualität.

Was ist telepräsente Sexualität?

Telepräsenz ist, wenn du an einem Ort bist und dein Liebhaber auf der anderen Seite der Welt ist—Italien, Bagdad—und ihr zusammen sein wollt. Telepräsenter Sex basiert auf einem haptischen System, auf einem Computer, der die Sinnlichkeit unserer Sinne errechnet. Du könntest eine virtuelle, dreidimensionale Darstellung deines Liebhabers an einem anderen geografischen Ort erstellen.

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Und virtuelle Sexualität?

Anstatt in eine Bar zu gehen, wo du dich betrinkst und es am nächsten Tag bereust, hast du simulierten Sex. Und es wäre nicht so gefährlich, wie es beim biologischen Sex der Fall ist. Du müsstest dir keine Sorgen um Geschlechtskrankheiten machen, wie du es beim menschlichen Körper musst.

Wie wäre sonst noch möglich?

Naja, ein Orgasmus könnte zum Beispiel in ein anderes Gehirn umgeleitet werden, um die Energie daraus ausschließlich für hochkreative oder intellektuelle Zwecke zu verwenden.

Du könntest also Orgasmusenergie nutzen?

Ja, diese Energie nutzen und sie vielleicht in einen anderen Teil des Gehirns transportieren, um sagen wir das Beenden eines Artikels oder das Produzieren von Musik zu erleichtern. So könnte man es also auf eine neurologische Weise betrachten und die Energie in unser Gehirn umleiten. Außerdem könnten wir das Gefühl eines Orgasmus im Gehirn vervielfältigen, das Problem wäre, dass Leute davon süchtig werden könnten, du hättest also notorische Orgasmusnutzer.

Was passiert in den späteren Phasen der transhumanistischen Revolution, in denen wir Supermenschen und nichtbiologisch sind. Wie können wir dann richtig Spaß haben?

Wenn wir nichtbiologisch und in ein rechnerisches, künstliches System hochgeladen werden, existieren wir in einer neuen Sphäre miteinander verbundener multipler Identitäten, die alle nebenher auf einer Art, sagen wir mal, Computer existieren.

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Wie ein Online-Netzwerk…

Richtig, wir denken über den Upload nach. Bist du vertraut mit dem Upload?

Nein, ich bin mir nicht ganz sicher was das ist.

Der Upload ist der Supermensch, so wird eine ganzheitliche Gehirnnachbildung, oder das Hochladen des Verstands auf einen Computer genannt. Es ist das Kopieren und die Übertragen des Gehirns, deiner kognitiven Eigenschaften in ein nichtbiologisches System, was ein Computersystem sein könnte. Nimm Erinnerungen und elektronisch neurologische Eigenschaften und lade sie auf einen Computer hoch. Dann wärst du in einem ganz anderem Universum rechenbetonter Materie. Und das wäre ein sehr schönes simuliertes Umfeld.

Wie die Matrix.

Ja, das ist ein Computer-System.

Also werden wir in der Matrix leben, sind aber nicht von bösen Maschinen versklavt, die unsere bioelektrische Energie ernten?

Du könntest immer noch in deinem biologischen Körper leben und darin einen Teil deiner biologischen Identität haben, aber trotzdem in dem System hochgeladen sein.

Man muss sich nicht entscheiden?

Du könntest in beidem existieren, oder in einem von beidem.

Zur gleichen Zeit?

Du könntest in einem vielleicht zehn Jahre existieren und dann zurück in deine andere Existenz wechseln. Es ist also real und virtuell.

Was passiert mit deinem Körper, solange du in der virtuellen Welt bist?

Na ja, dein Körper könnte aufgehängt werden oder aber dein Körper wäre überhaupt nicht mehr biologisch, denn du wärst mehrspurig.

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Was bedeutet „mehrspurig“?

Mehrspurig bedeutet gleichzeitig entlang verschiedener Felder zu denken. Während wir diesen Upload schaffen, existiert das gesamte Universum in einem computerisierten System, aber die Dinge hören in einer anderen Realität nicht einfach auf zu existieren. Sie werden weiter programmieren, Grafikdesigner, Körperdesigner, Prothetiker. Die Entwicklung unseres menschlichen Körpers stoppt nicht einfach gleichzeitig, während es mit der Entwicklung von Nanomedizin und Nanorobotern weitergeht.

Also werden Nanobots den menschlichen Körper verbessern?

Ja, mit ihnen können wir den Körper dann regenerieren und Zellschäden reparieren.

OK, also haben wir dann diese multiplen, digitalen Ichs, die alle Zeiten überdauern.

Du solltest aber verstehen, dass es nicht zwangsläufig darauf hinauslaufen muss. Es gibt allerlei Alternativen, das ist unsere größte Chance. Die gesamte Psyche der Gattung Mensch ist darauf ausgelegt, dass wir eine Identität, ein Geschlecht und ein Dorf mit einem Job und einer Existenz haben müssen. Aber das wird sich in der transhumanen Welt ändern. Und wir müssen den Begriff des Todes komplett neu definieren. Der Tod ist sehr wichtig, auch wenn man über Sexualität spricht. Das ist schließlich das Freud’sche Konzept: der Sexakt ist ein Todesakt. Und wenn du dann an ein paar der eher morbiden Sexualakte denkst, die meinen Freund Carradine umgebracht haben …

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David Carradine?

Ja, während eines sexuellen Akts bei einer Art Strangulation.

Gefährliche Sex-Spiele?

Dieser Teil des Menschen ist nicht transhuman. Eine menschliche, psychologische Eigenheit.

Das ist ja ziemlich interessant. Wenn wir in einer Welt leben, in der alles möglich ist, dann könnten wir doch auch jede beliebige Fantasie ausleben.

Ganz genau, aber einige Leute haben Vergewaltigungsfantasien und das ist für die andere Person eine nicht so schöne Sache.

Wie würdest du dann also damit umgehen? Wie würdest du jemand davon abhalten, solche Vergewaltigungsfantasien zu haben?

Das ist das Problem der Menschen und was du an Orten wie „Second Life“ sehen kannst. Es gibt dort Inseln, auf denen Vergewaltigung ein Spiel ist. Das ist nicht transhuman! Die ganze Sache dreht sich um die Psychologie von Tod und Angst—davon möchte der Transhumanismus Abstand nehmen.

Hast du einen Zeitrahmen, wann in unserer Zukunft was passieren wird?

Ich sehe Veränderungen und Fortschritt in der Gesellschaft auf einem ganzheitlichen Level, von Soziopolitik bis hin zum Fortschritt in Technologie, der in Kreisen und Wellen abläuft. Das ist wie der Aktienmarkt, manchmal geht es aufwärts, manchmal abwärts. Das ist schwer vorauszusagen. Ich würde sagen, rein logisch gesehen sicherlich irgendwann vor dem 22. Jahrhundert.

Schön, dann gibt es eine Chance, dass ich sogar noch am Leben bin. Danke, Natasha!