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Bundestagswahl 2017

Ich habe den Wahltag im rechten Internet verbracht

Nach den ersten Hochrechnungen hieß es: "Deutschland den Deutschen".
Foto: VICE

Es beginnt schon mit Wut. "Diese Truppe verarscht uns am laufenden Band", schreiben die Freien Medien am frühen Morgen des Wahlsonntags. Das Contra Magazin berichtet als Erstes über einen tödlichen Streit in einem Asylbewerberheim: "Das interkulturelle Zusammenleben dort scheint offenbar nicht so gut zu funktionieren." Und die Deutschen Wirtschafts Nachrichten schreiben darüber, wie Angela Merkel das Land "heruntergewirtschaftet" habe.

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Das hier ist die rechte Filterblase, eine Parallelwelt im Internet, in der es kein Mitgefühl mit Geflüchteten gibt, wo die AfD nicht kritisiert oder ausgelacht, sondern gefeiert wird. Hier treffen sich Menschen, die sich als "national" bezeichnen oder als "besorgt". Die Schlagzeilen in ihrem Universum sind andere, die politischen und moralischen Ansichten auch. Hier werden selten Artikel der Süddeutschen Zeitung geteilt oder vom Spiegel. Stattdessen Beiträge des Compact-Magazins, von KenFM, Politically Incorrect, der flüchtlingsfeindlichen Bewegung "Ein Prozent" , Seiten der AfD, Pegida und der NPD. Es ist eine Echokammer, in der sich Menschen gegenseitig bestärken in ihrer Wut auf die Politik und der Angst vor Einwanderung, Terror und Islam.

Simon Hurtz von der Süddeutschen Zeitung fasst das, was sich Menschen in dieser Blase erzählen, so zusammen: "Die Politiker führen uns hinters Licht, die Medien belügen uns, die Flüchtlinge nehmen uns zuerst die Arbeitsplätze und dann das ganze Land weg."


Auch bei VICE: Alice Weidel im Interview


Wer sehen will, wie die AfD so erfolgreich werden konnte und was auf Deutschland in den nächsten Jahren zukommt, findet hier Antworten.

In den Tagen vor der Wahl macht eine Wahlempfehlung die Runde: Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD, postet auf Facebook: "'Jüdische Wikipedia' empfiehlt die Wahl der AfD!" Und das auch noch "direkt auf der Startseite". Tatsächlich hatte es so auf Jewiki gestanden. Nur: Hinter der Seite steht Michael Kühntopf, dessen Themen die "Wut auf den Islam, die Regierung und das System" seien, der "Bilder, Slogans und Verschwörungstheorien von rechten Wutbürgern und Rechtsextremen" teile, schreibt Journalist Stefan Niggemeier. Als die jüdische Gemeinde in Nürnberg reagiert und in einer Zeitungsanzeige vor der AfD warnt, ist es längst zu spät. Nutzer teilen den Jewiki-Artikel und posten Dinge wie: "So viel zum Nazi-Vorwurf gegen die AfD." Auch die Epoch Times berichtet.

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In der Nacht zum Sonntag twittert Erika Steinbach ein Bild von "zauberhaften Waldanemonen" und wünscht allen damit einen schönen Wahltag. Tatsächlich ist die Stimmung zumeist gut im rechten Internet, der historische Einzug der AfD in den Bundestag scheint nur noch eine Frage von Stunden. "Heute wird Deutschland sein Blaues Wunder erleben", kommentiert ein Nutzer. "Der Linkstrend ist ab heute vorbei", schreibt Frauke Petry.

Viele rechte Seiten fordern die Menschen auf, wählen zu gehen. "Ein Prozent" veröffentlicht ein Video, in dem es um "Verbrechen, die von Migranten begangen wurden" geht. Darin heißt es: "Wenn ihr nicht wollt, dass Vorfälle wie die Vergewaltigung einer 16-Jährigen in München oder der Mordversuch in Mannheim unseren Alltag weiterhin bestimmen, dann nutzt eure Möglichkeit auf politische Veränderung." Auch sollen alle in den Wahllokalen die Augen offenhalten, um Betrug zu verhindern, oder den Ablauf am besten gleich als Wahlbeobachter begleiten.

Ein Artikel von KenFM am Mittag fragt, warum es kein "großzügiges Rückkehrmodell" für Geflüchtete gebe. "Die Meldungen über die friedlichen Tendenzen in Syrien mehren sich". Laut dem Autor gebe es kein solches Modell, weil die Bundesregierung nur eine "Funktion der amerikanischen Politik" sei. Das ist eine Sprache, wie man sie auch von der AfD kennt. Im Wahlkampf war eine angebliche E-Mail von Spitzenkandidatin Alice Weidel aufgetaucht, die sie 2013 verfasst haben soll. Darin soll sie die Regierung Merkel als "Marionetten der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs" genannt haben.

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Die Blase existiert im digitalen Raum, ihre Auswirkungen aber sind genauso analog: Viele Menschen stimmen bei der Wahl für die AfD. Menschen wie Mike. Nachdem er am Sonntag im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf seine Stimme abgegeben hat, sagt er zu VICE: "Ich hoffe, dass sie drittstärkste Kraft wird. Wenn du mich deswegen Nazi nennen willst, mach ruhig. Ist mir egal." Auch Menschen wie Matthias, der sagt: "Die AfD ist die einzige Partei, die ans Volk denkt." Weder all der Spott über die rechtspopulistische Partei noch die kritische Berichterstattung der meisten Medien sind am Ende zu Mike und Matthias durchgedrungen.

Die ersten Hochrechnungen um 18 Uhr sehen die AfD bei 13,5 Prozent. Bei der Wahlparty der Partei im "Traffic Club" am Alexanderplatz brüllen Menschen vor Freude. Auch im Netz jubeln sie, fühlen sich bestätigt in ihren rechten und rassistischen Ansichten. Sie posten das Deutschlandfahnen-Emoji, schreiben: "Ein Funke Hoffnung für unser Land in einer dunklen Zeit". Oder: "Sieg auf ganzer Linie". Auch: "AfD stärkste Partei in Sachsen und bald auch in Deutschland". Selbst ein "Deutschland den Deutschen" geht jetzt leichter über die Lippen. AfD-Politikerin Leyla Bilge sagt es in der dreistündigen Compact-Livesendung zur Wahl. Vorgestellt wurde sie dort als eine, die gegen die "islamische Invasion" stehe. Dabei außerdem Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer und Politically Incorrect-Autor Michael Stürzenberger, der gerade auf Bewährung draußen ist – nachdem er wegen Beschimpfung und dem Veröffentlichen eines Hakenkreuz-Fotos verurteilt wurde.

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In der Sendung öffnet man erstmal einen Sekt ("Auf Deutschland"). Unten laufen die Hochrechnungen durch, wie bei den anderen Nachrichtensendern. Wenn Pause gemacht wird, kommt keine Werbung, sondern rechter Chanson: "Nur die dümmsten Kälber zerstören ihre Heimat selber", lautet die Strophe, der Refrain fordert: "Wähl' die AfD".

Sie reden über die "Kanzlerdämmerung", sagen, das Ziel der SPD sei, dass Ausländer "das neue Wahlvolk" würden und das "eigene Volk" vergessen. Sie zitieren sogar Franz Josef Strauß: "Ich bin deutschnationaler und fordere bedingungslosen Gehorsam." Strauß, sagen sie, wäre heute sicher in der AfD.

Die Tabubrüche der letzten Jahre hatten für die AfD keine negativen Konsequenzen – sie haben sich ausgezahlt. Alexander Gauland hat die Wehrmacht gelobt, Björn Höcke eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert. Und nun sitzt die AfD im Bundestag. In der rechten Filterblase fühlt man sich deshalb im Recht, immer im Sinne des (mutmaßlich falschen) Zitats von Ingnazio Silone, das sie gerne teilen: "Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus." In der Echokammer sieht man das so: Das Problem in Deutschland sind nicht die Rechten. Es sind Merkel und Schulz, Menschen, die gegen Nationalisten auf die Straße gehen und Geflüchteten helfen. Der Feind steht links – und wo auch immer gerade Muslime sind.

Im Aufwind des Wahlerfolgs tritt Gauland am Sonntagabend vor die Presse und sagt: "Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen." Am Tag darauf stellt er infrage, ob das Existenzrecht Israels tatsächlich zur Staatsräson gehören müsse. Mittlerweile beschweren sich auch die Ersten wegen vermeintlichen Wahlbetrugs: Protokolle seien auf telefonische Anweisungen geändert worden, Stimmzettel hätten gefehlt, man habe mit Bleistiften ankreuzen müssen. Teile der AfD starten eine Kampagne gegen den angeblichen Wahlbetrug. "Wieso kann eine grüne Kinderficker-Partei von heute auf morgen drei Prozent mehr Wähler erreichen?", fragen sie.

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Und die AfD Salzgitter postet auf Facebook: "Die AfD hat erfolgreich den Bundestag gestürmt." Im Parlament gebe es nun wieder "deutschnationales Gedankengut", es sei Zeit für "die nächste Phase im Krieg gegen das widerwärtigste System, das je auf deutschem Bode existierte". Der Post ist mittlerweile gelöscht, die AfD-Watch Braunschweig hat einen Screenshot veröffentlicht.

Die AfD-Bundestagsfraktion wird ab sofort jedes Jahr 15 Millionen Euro vom Staat bekommen. Es ist zu befürchten, dass es die Partei ähnlich nutzt wie die österreichische FPÖ: um sich einen eigenen Medienapparat aufzubauen. Schon jetzt existiert mit dem Compact-Magazin eine Art Hausmedium. Und die AfD professionalisiert die Empörung weiter. Die amerikanische Werbeagentur Harris Media, die Trump im Wahlkampf unterstützte, hat für die Partei die Webseite "Eidbrecherin Merkel" aufgesetzt, wo die Kanzlerin für alle Toten und Verletzten von islamistischen Anschlägen in Deutschland persönlich verantwortlich gemacht wird. Auch für einen Anschlag in St. Petersburg, den Islamisten verübt hatten.

Am Wahlabend kommt es in Berlin zu Protesten gegen die AfD, die Wahlparty der Partei wird zur Anlaufstelle von Demonstranten. Im Livestream von Compact spricht Elsässer vom "linken Mob", es hätte schon "100 Festnahmen gegeben". Die Polizei hingegen spricht von "vereinzelten Festnahmen". Ein Taxi habe drei Menschen angefahren, melden Medien wie der Tagesspiegel. Rechte Portale hingegen berichten darüber, dass die Familie des AfD-Bundessprechers Jörg Meuthen angegriffen worden sei. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht, auch keine öffentliche Aussage von Meuthen dazu. Er selbst kündigt unterdessen lieber Untersuchungsausschüsse gegen die "Rechtsbrüche" von Frau Merkel an. Und Frei Medien schreibt mit Blick auf die Grünen darüber, dass bald wieder "Pädophilenfreunde" in der Regierung sitzen würden, wenn es zu einer Jamaika-Koalition käme.

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Der Ton vieler Parteikollegen ist auch Frauke Petry zu viel geworden, am Montag nach der Wahl erklärt sie, trotz Direktmandats nicht Teil der Bundestagsfraktion der AfD sein zu wollen. In der Blase beschimpfen sie die "Verräterin": "Gut dass Sie weg sind, Frau Petry. Raus aus der Partei, Mandat niederlegen und Mutter sein, wir brauchen keine weiteren Marionetten!!! Selbstreinigung der Partei 1.0", schreibt einer. "Jetzt aussteigen und ihr eigenes Süppchen kochen, ist für mich Betrug an Ihren Wählern. Sie Schwächen die Partei!", eine andere."Viel Lärm um nichts, darüber hinaus haben sie all ihre Wähler beschämt und sie so dumm dastehen lassen wie der Rest Deutschlands es den Leuten schon längst unterstellt hat", kommentiert ein weiterer Nutzer.

Auch Pegida-Gründer Lutz Bachmann meldet sich: "Wer diesen Verrat nicht geahnt hat, hat einfach keine Ahnung! Mandat abgreifen, Kohle sichern, Wähler verraten - Petry halt!" Mittlerweile hat Petry angekündigt, die AfD zu verlassen.

Am Ende, nach mehr als einem Tag in der rechten Blase, bleibt Ratlosigkeit. In dieser Welt werden Verschwörungstheorien und Misstrauen gestreut, es wird gehasst und beleidigt. Hier herrschen nicht Fakten, sondern Gefühle: dass es bergab geht mit Deutschland, dass Ausländer daran schuld sind und niemand etwas dagegen tut. Behauptungen kommen meist besser an als die Wahrheit. Die nationalistischen und rassistischen Gedanken dieser Welt haben es bis in den Bundestag geschafft, für viele in der Echokammer eine Bestätigung, dass sie im Recht sind.

Wie soll man damit nun umgehen? Spricht man nicht darüber, isoliert man diese Menschen noch mehr. Tut man es doch, gibt man ihren Thesen eine Bühne. Eine Lösung: Nicht über die Worte der AfD-Politiker berichten, sondern über das, was sie tatsächlich tun. Den Wählern zeigen, dass die Partei, die ihnen ein besseres Deutschland versprochen hat, zwar alles fordert, aber nichts liefern kann.

Genau das hat Alexander Gauland schon gezeigt: Auf die Frage von Anne Will, wie seine Partei das Land konstruktiv gestalten wolle, sagte er am Sonntag: "Das ist nicht unsere Aufgabe."

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