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Was bei der Binz-Besetzung falsch lief

Die Besetzer machen sich das Leben schwer.

Foto: Daniel Lobo | Flickr | CC BY 2.0

Freiräume sind wichtig—vor allem für eine Business-Stadt wie Zürich. Nicht alle Menschen wollen oder können ihr eigenes Leben am durchschnittlichen Leben der Limmatstadt ausrichten. Und jeder Mensch braucht schliesslich einen Ort, an dem er sich wohl fühlt. Für manche ist das das Sehen-und-Gesehen-Werden in der Oper. Für manche eine heimelige Binge Watching-Session von Game of Thrones. Für andere eben Orte, an denen sie sich kreativ austoben können.

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In Zürich sind solche Freiräume aber verdammt rar, wie wir in dieser Reportage bereits festgehalten haben. Die letzten Besetzer verliessen 2013 nach sieben Jahren das Binz-Areal und das Labitzke-Areal wurde vor gut einem Jahr von der Polizei geräumt.

Vergangenen Freitag holten sich gegen 100 teils vermummte Besetzer einen solchen Freiraum zurück—das Binz-Areal. Wie wir berichteten wollten sie über das Wochenende auf dem brachliegenden Areal eine Party abseits des 30-Franken-Eintritt-Standards feiern. Die Polizei liess sie nach kurzem Gummischrot-Einsatz am späteren Abend auf das Gelände. Die Besetzer machten es sich dort bequem. Sie improvisierten Holzskulpturen, Bars und Sound-Anlagen.

Die Polizei liess der Party—trotz einer Anzeige des Binz-Besitzers Kanton Zürich—ihren Lauf. Sie drohte aber, das Areal gewaltsam zu räumen, wenn am Sonntagabend die Brache nicht wie angekündigt wieder Besetzer-frei sei. Soweit kam es aber nicht. Die Besetzer zogen freiwillig ab und es gab keine wirklichen Krawalle—nur zwei Tonnen Abfall, den die Besetzer hinterliessen. Der Müllberg war aber nicht das einzige, das besser laufen hätte können. Diese drei Dinge trugen ihren Teil dazu bei:

Die Chaoten-Berichte

Screenshot von Tele Züri

Die Medien lieben die Binz-Besetzer dafür, dass sie das Sommerloch füllen. Gefühlt jede Sekunde gab es bei Tagi, Blick und 20 Minuten einen neuen Artikel zur Besetzung. Zuerst war es der Gummischrot-Einsatz, der die Schreiberlinge in seinen magischen Bann zog. Danach die zahlreichen Lärmklagen und zum Abschluss der Abzug der Besetzer unter dem strengen Blick der Polizei. Zwei Leute fesselten die Medien aber besonders: Die Stadträte Mauro Tuena und Filippo Leutenegger.

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Sie wollten sich am Samstag auf dem Areal umschauen und wurden von einigen Besetzern mit einem Schimpfwort-Hagel begrüsst und von der Binz-Brache gepöbelt. Leutenegger will wegen der Schubserei Anzeige gegen die Besetzer einreichen. Wenn zwei Stadträte herumgeschubst werden und das danach „verarbeiten" müssen respektive die sofortige Räumung fordern, ist das der feuchte Traum eifriger Lokaljournalisten. Und so gab Mauro Tuena bei Tele Züri redefreudig Auskunft darüber, dass er als Opfer sich die sofortige Räumung wünscht. Unter diesen Vorzeichen kein Teil solcher Berichte: Infos zur Aufwertung in Zürich, zu fehlenden Freiräumen und wie dieses Problem in Zukunft gehandhabt wird. Die Meinungen scheinen somit schon gemacht: Die „Chaoten" sind die Bösen.

Die Pöbler

Screenshot von Tele Züri

Die „Chaoten" sind natürlich nicht unschuldig an diesem Ruf. Ich war am Samstagnachmittag selbst für ein paar Stunden auf dem besetzten Areal. Die Besetzer bauten bei brütender Hitze riesige Holzkonstruktionen. Sie kühlten sich mit Club Mate und Bier in einem Schwimmbecken ab und schminkten Kindergesichter nach dem Wunsch des Nachwuchses. Es war schön! Nur ein Moment durchbrach die friedliche Idylle. Bei einer Anti-Rep-Fragestunde filmte ein Typ—wahrscheinlich irgendwas zwischen Sympathisant oder Besetzer—eine kurze Theatereinlage.

Sofort wurde er von einem anderen Typen in FCZ-Südkurve-Shirt angefahren: Ob er das Graffiti am Eingang nicht gesehen hätte—„KEINE FOTOS"—und ob er überhaupt wisse, ob die Theater-Menschen gefilmt werden wollen. Der Filmer wusste von beidem nichts und löschte das Smartphone-Video. Trotzdem störte ihn etwas: Die Aggro-Art des Typen, der ihn zurechtwies.

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Und er hat Recht. Denn das aggressive Getue finden auch andere nicht sonderlich geil. So faszinierend die Revolutions-Romantik des pöbelnden Dagegen-Seins auch ist—die Besetzer sind auf Goodwill angewiesen. Auf jenen der Nachbarn, die hunderte Anzeigen einreichen könnten. Auf jenen der Politik, der Arealbesitzer und der Polizei, die das Gelände jederzeit mit Gewalt räumen könnten. Vor allem aber auf jenen der Öffentlichkeit.

Foto vom Autor

Ich hoffe für unsere Welt, dass nicht nur ich weiss, dass man Goodwill nicht mit ausgefahrenen Ellenbogen schafft—sondern mit freundlichen Worten. Ein grosser Teil der Schweizer lebt nun mal sein 9-to-5-Leben und steht nicht auf Headlines wie „Hetzjagd auf dem besetzen Binz-Areal".

Das muss man akzeptieren, wenn man seine Ruhe haben will. Man muss auch akzeptieren, dass man diese Menschen nicht mit Bass, Bass, Bass erreicht—und schon gar nicht, indem man Politiker wegpöbelt. Macht man das nicht, schafft man sich und seinen Freiräumen Feinde und liefert diesen gleich noch tonnenweise Gründe, die nächste Besetzung überhaupt nicht mehr zu dulden.

Der SVPler

Einer, der von Besetzern angefahren wurde, war der SVP-Gemeinderat Mauro Tuena. Tuena hatte sich schon vor zwei Jahren als Hardliner im Umgang mit Besetzern hervorgetan. Damals blickte er auf die Party-Demo der Binz zurück und polterte, die Demo hätte gar nicht erst entstehen dürfen und am besten hätte man sowieso alle verhaftet. Was so einen SVP-Politiker auf ein von links-anarchistischen Besetzern belagertes Gebiet verschlägt, wird wohl für immer ein Geheimnis von Tuenas Hirnwindungen bleiben.

Fix ist: Tuena hatte auf der Binz nichts zu suchen. Sein Job zwang ihn nicht dazu und jedem Menschen ist klar, dass SVPler und Anarchos nicht händchenhaltend über die Binz spazieren werden. Tuena war trotzdem dort. Vielleicht, weil er seine Chance erkannt hat, den eh schon schlechten Ruf der Binz-Besetzer zu seinem politischen Vorteil zu nutzen. Vielleicht, weil er wieder mal ins Fernsehen wollte. Vielleicht, weil auch er selbst gerne rumpöbelt. Auf alle Fälle hat er dem filmenden Tele Züri-Team und seinen Zuschauern bewiesen: Die Besetzer sind wirklich, wirklich böse.

Eine Besetzung ist für alle Beteiligten eine Ausnahmesituation. Die Medien freuen sich, dass mal wieder etwas läuft. Die Politik muss sich für oder gegen die Besetzer entscheiden. Und die Besetzer selbst fühlen sich von allen oft falsch verstanden. Eines sollte bei all dem Trara aber keiner vergessen: Es geht hier nicht darum, sein eigenes Ego möglichst hoch zu pushen—sondern um fehlende Freiräume. Und die bekommt man kaum, wenn nur die Mauro Tuenas ihre Gesichter in Kameras drücken. Und noch weniger, wenn man den Tuenas einen Grund dafür gibt, mit rotem Kopf in Mikrofone zu bellen.


Sebastian auf Twitter: @nitesabes

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