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Vice Blog

Wann ist "Willkommen Österreich" so belanglos geworden?

Die "politisch inkorrekten" Querdenker sind brav geworden. Wie konnte das nur passieren?
Foto von ORF via Facebook.

Foto via ORF/Facebook.

Früher war mehr Zunder. Die Grenzen des guten Geschmacks waren für Dirk Stermann und Christoph Grissemann maximal eine Orientierungshilfe: Als sich etwa Heinz-Christian Strache 2011 mit Thilo Sarrazin traf, fragte Grissemann: "Wo ist der Sniper, wenn man ihn braucht?". Und als 2008 Jörg Haider starb, witzelten die beiden volle sieben Minuten über seinen Tod. Das BZÖ sammelte daraufhin in Kärnten Unterschriften gegen die beiden, die Kärntner Landesregierung forderte "geschmacklose Auftritte von Stermann und Grissemann zu untersagen". Die "sofortige Absetzung" der Sendung forderte die FPÖ—sogar zwei Mal (2008) (2010)—und Generaldirektor Alexander Wrabetz musste ausrücken, um die Komiker zu verteidigen. Im Zentrum widmete ihnen sogar eine Sendung („Was darf Kunst?").

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Und heute? Das Duo ist in Österreich beliebt, Georgij tanzt bei Dancing Stars und Stermann und Grissemann machen als „Herr Lustigmann" Werbung für einen Energie-Konzern. Wie konnte das nur passieren?

Der Reihe nach: Dass es Willkommen Österreich überhaupt gibt, ist wohl einem glücklichen Zufall zu verdanken. 2007 war der ORF "in einer Krise" und sah sich gezwungen, einen Schritt in Richtung einer "jungen Sendung" zu wagen. Stermann und Grissemann, zwei FM4-Stars, bekamen eine „Alternative Late Night Show", die hielt, was sie versprach: „Provokante Themen und schwarzer Humor fernab von Political Correctness". Oder: Zwei besoffene Rabauken auf einem Spielfeld ohne Zaun. Sie rotzten ihren boshaften Humor regelrecht ins prüde Fernseh-Österreich der Nullerjahre. Die alternativen Fans hatten ihre Sendung im Öffentlich-Rechtlichen.

Willkommen Österreich wurde nicht nur zum Politikum, sondern auch zum Ventil. Wenn man—so wie Alfons Haider—mit einem Glas Spritzer in der Hand etwas los werden wollte, dann war „WÖ" die einzige Sendung dafür: "Weil der Bua eine schwule Sau ist, ist meine Mutter geschlagen worden", erzählte er. "Wir leben in einem verlogenen, verschissenen Land."

Für österreichische Verhältnisse brach das Duo Tabus, etwa mit der „deutschen Kochschau". Und mit den Zuspielern wie Die Fischers und Frisch Gekocht feierten sie Erfolge, die unvergessen bleiben.

Diese Zeit scheint jetzt vorbei zu sein. Stermann und Grissemann wirken müde. Es erinnert ein bisschen an die TV-Legende Stefan Raab, der immer beliebter wurde und irgendwann halb ProSieben füllte. Nach über 2.000 Folgen kritisierte der "Spiegel": "TV total ist ein lieblos produziertes Stück Fernsehschrott geworden." Stermann und Grissemann sind zwar "erst" bei Sendung 320, aber an die Kreativität von vorangegangen Sendungen schließen sie schon lange nicht mehr an. Das sieht man auch an den Zuspielern: Aktuell etwa sind Stermann und Grissemann bei einer Paartherapie, bei der sie ein abstraktes Selbstporträt malen sollen—mehr Dramaturgie ist nicht. Das dauert sechs Minuten und am Ende klatschen die Leute höflich. Grissemann sagt: "Ja", wartet drei Sekunden, "interessant". Das war's.

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Die Sängerin von "Soap & Skin" schrieb 2009 eine Liste mit Themen, die in der Sendung nicht besprochen werden sollen. Stermann und Grissemann lasen die Liste vor.

Im Vergleich zu anderen "Late Night Shows", etwa Jan Böhmermanns halbwegs alternativem "Neo Magazin Royale", ist die Luft draußen. Das sehen auch viele Fans der ersten Stunde so. User "theresias" schreibt im Fan-Forum der "WÖ"-Homepage:

„Ich verstehe es einfach nicht. Wieso gebt ihr euch (…) so widerstandslos und unreflektiert dem üblichen ORF-Proporz hin? Ist es nur das Geld? Werdet ihr erpresst? (…) Oder ist eben einfach nur die Luft raus, und ihr reitet den Gaul einfach so lange, bis er ohne Fleisch am Gerippe endgültig zusammenbricht."

Aus diesem Post aus dem Jahre 2014 entstand eine lebhafte Diskussion unter den Fans. User „Mitleid" ergänzte im Hinblick auf die abgesetzten und "inkorrekten" Staatskünstler: "No, da haben Grisse- und Stermännlein (…) schnell noch die Kurve gekratzt (…). Haben wohl doch was zu verlieren, die (nunmehr angepassten) Herren." Und: "Nun ist auch ‚WÖ' der allgemeinen Musikantenstadlisierung anheim gefallen."

Stermann (50) und Grissemann (49) sind schwer angreifbar. Sie spielen seit 25 Jahren gemeinsam, fast zehn Jahre davon im Fernsehen. Die beiden haben Fernseh-Österreich einen Dienst erwiesen, indem sie die Grenzen des Zulässigen regelmäßig überschritten haben. Die Anfeindungen seitens einschlägiger Parteien sind für eine politische Comedy-Sendung weniger ein Problem, mehr eine Auszeichnung.

Folglich muss es für "politisch inkorrekte" Querdenker einer Beleidigung gleich kommen, wenn sich niemand mehr an ihnen stört. Die letzte öffentliche Aufregung um die Sendung ist vier Jahre her—und das obwohl die politische Lage nicht unbedingt langweiliger geworden ist. Sorry, lieber Stermann, lieber Grissemann, mittlerweile seid ihr in Österreich willkommen.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner


Foto von ORF via Facebook.