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Wir waren bei der Anti-Asyl-Kundgebung der FPÖ und der Gegendemo in Liesing

„Häupls Sohn hat euch als sozialen Abschaum beschrieben!"

Die Sonne scheint, die Luft ist kalt. Immer wieder drängen sich Menschen durch die Gruppe von Demonstranten und man hört Fragen wie: „Was ist denn da schon wieder los?" Um 17:00 Uhr versammelten sich die Gegendemonstration auf dem Parkplatz einerHofer-Filiale. Nicht weit vom Hauptplatz rief die Offensive gegen Rechts gemeinsam mit der Antifa zur Gegendemonstration auf.

Fragt man herum, haben sie alle ähnliche Motive—man wolle ein Zeichen gegen die FPÖ setzen, zeigen, dass es sehr wohl noch eine Willkommenskultur gäbe. „Wir können nicht zusehen, wenn die FPÖ die Hetze auf die Straße trägt", meint Käthe Lichtner, Pressesprecherin der Offensive gegen Rechts. Ich spreche auch mit dem Syrer Salamieh Nayif Alttolow, der durch seine Teilnahme an der Demonstration den Österreichern Danke sagen möchte. „Ich will heute zeigen, dass ich gegen die FPÖ bin", sagt Alttolow und grinst. Gegen die FPÖ, aber auf der Seite der Österreicher.

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Alles Fotos von der Autorin.

Die Demonstration beginnt und zirka 500 Menschen, wie später Polizeisprecher Paul Eidenberger bestätigt, machen sich auf den Weg zum Liesinger Hauplatz—in Richtung der FPÖ-Kundgebung. Diese demonstriert diesmal nicht vor einem Flüchtlingsheim—so wie etwa im Sommer 2015 in Erdberg—, sondern zirka zwei Kilometer von der Flüchtlingsunterkunft entfernt am Liesinger Hauptplatz, direkt bei der S-Bahn. Offiziell demonstriert die FPÖ auch nicht gegen das Flüchtlingsheim in Liesing, sondern gegen „die Politik" dahinter.

Kurz vor dem Versammlungsort der FPÖ trifft der Demozug auf eine längst eingerichtete Polizeiabsperrung. Durch kommen nur noch Pressevertreter oder Anrainer. Ein Mann am Hauptplatz in Tracht und mit Hut spricht mich an. Er gibt mir eine Unterstützungserklärung für Norbert Hofer und beginnt zu reden: „Ihr von der Presse seid eigentlich die wahren Schuldigen. Ihr habt diese Willkommenskultur verursacht. Gut machen könnt ihr es jetzt eh nicht mehr, aber finanziell könnt ihr gefälligst den Schaden begleichen", sagt er und schaut mich prüfend an.

„Für Sie als Frau steht Ihre Chance bei 1 zu 75, dass sie vergewaltigt werden. Mir ist das wurscht, ich bin alt, schirch und ein Mann, mich greift niemand mehr an. Aber Sie schon. Ich wünsch Ihnen viel Spaß hier", wettert er. Dann lacht er auf und geht. Er will mir weder seinen Namen sagen, noch wie er auf diesen Schlüssel kommt.

Altenpfleger Roman Burda

Um 18:00 läuten die Glocken der Kirche—5 volle Minuten lang. Alle Pfarren in Liesing hatten sich breits letzte Woche darauf geeinigt, am Montag gemeinsam ein „lautstarkes Zeichen für Asylwerber" zu setzen. In einigen Medien wurde das auch als Zeichen gegen die FPÖ interpretiert. Ich stehe zwischen drei älteren Damen und dem Altenpfleger Roman Burda.

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Die Damen schimpfen: „Das ist eine Frechheit gegen das Volk, dass die Glocken läuten!" Roman Burda hat dafür auch eine Erklärung: „Hitler hat die Kirchensteuer eingeführt und auch heute wieder benützt die Regierung die Kirche für ihre Zwecke." Auf die Frage, warum er hier sei, antwortet er mir, ihn würde nicht das Flüchtlingsheim per se stören, sondern es vielmehr darum ginge, dass immer alles hinter dem Rücken der Leute beschlossen würde.

Erst nach dem Läuten der Kirchenglocken, über das alle am Hauptplatz Versammelten schimpfen, eröffnet der Liesinger Gemeinderat Wolfgang Jung die Bühne. Hinter ihm steht Doris Chuy. Sie betrifft das Heim persönlich, wie sie meint; immerhin wohnt sie im Gemeindebau gegenüber der Flüchtlingsunterkunft in Atzgersdorf. Aus einer „Wut heraus" habe sie die Aktion gegen die Unterbringung von Asylwerbern gestartet. Ihre Petition „Gegen die Flüchtlingsunterkunft Ziedlergasse 21" hat mittlerweile über 6.000 Unterschriften.

Wolfgang Jung und Initiatorin Doris Chuy

Dennoch ist ihre Petition—anders, als man vielleicht glauben könnte—nicht aus persönlicher Erfahrung entstanden. Chuy selbst hatte nämlich noch nie Kontakt mit Asylwerbern oder Flüchtlingen; und dementsprechend bisher auch keinerlei schlechte Erfahrung gemacht. Auf die Frage, warum sie dann Angst habe, antwortet Doris Chuy gegenüber VICE: „Ich habe von sexuellen Übergriffen und Einbrüchen von Ausländern in meinem Umfeld gehört. Auch in der Zeitung lese ich jeden Tag davon. Ich will mich als alleinstehende Frau in einer Demokratie wie Österreich nicht fürchten müssen."

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Wolfgang Jung wettert auf der Bühne gegen die Störenfriede—gegen die linken „Krawallos" auf der Gegendemo, aber auch gegen den Pfarrer, der gerade die Glocke läutete. „Der ist wohl ein schlechter Don Camillo-Verschnitt", schimpft er auf der Bühne. Währenddessen wird es immer dunkler und eine fast romantische Abendstimmung zieht sich über den Hauptplatz in Liesing.

Etwa 1.300 Menschen nehmen an der Kundgebung teil. Einige in rotem Gewand, mit rot-weiß-roten Fahnen und Glatze, viele junge Menschen, aber auch zahlreiche Pensionisten. Letztere fallen spätestens auf, als es darum geht, dass Flüchtlinge dieselbe Pension und Mindestsicherung erhalten sollen wie Österreicher. Lautes Johlen und Buhrufe.

Nach Jung kommt Vizebürgermeister Johann Gudenus, erster freiheitlicher Vizebürgermeister Wiens, auf die Bühne und entschuldigt sich erst mal dafür, dass Bundespräsidentschaftskandidat Norbert Hofer heute leider doch nicht kommen könne, da sein Zeitplan sei leider zu voll sei. Er stellt auch klar: „Wer als Politiker Mitleid hat, hat kein Hirn." Johlendes Gelächter bei den Zusehern. Immer wieder gibt es Sprechchöre wie: „Merkel raus!"

Zum rituellen Höhepunkt betritt Heinz-Christian Strache die Bühne. Einige skandieren: „HC! HC! HC!" Auch Strache äußert sich zu dem Geläute der Kirchenglocken: „Eine Kirche, gleich welche auch, sollte sich nie einmischen." Wie um die gerade etablierte Trennung gleich wieder aufzuheben, legt er sofort im Anschluss eine Trauerminute für die getöteten Christen auf der ganzen Welt ein.

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Während der Schweigeminute gibt es allerdings so viele Zwischenrufe, dass er diese abkürzt und schon nach 20 Sekunden mit seiner Rede fortfährt. Der Grenzzaun sei kein Zaun, sondern eher ein Hasenstall und der Islam gehöre ganz klar weder zu Österreich noch zu Europa. Zu der Gegendemonstration äußert er sich mit: „Wer nur gegen die FPÖ hetzt, soll sich lieber mal selbst eine Meinung bilden", offenbar in der Annahme, dass eine Ablehnung der FPÖ unmöglich aus eigener Meinungsbildung entstanden sein könnte. „Die haben ja keine Meinung", tönt es aus dem Publikum.

Strache kommt allmählich in Fahrt und widmet sich der Wiener Landesregierung, indem er seine Fans erinnert: „Häupls Sohn hat euch als sozialen Abschaum beschrieben." Alleine, dass es seitens der freiheitlichen Opposition offenbar diese klare Abgrenzung gegenüber der sozialdemokratischen Regierung braucht, spricht für sich (und nicht sonderlich für letztere). Ein Mann neben mir sagt währenddessen zu seiner Frau: „Der Jörg hätte das Problem gelöst."

Nach der Rede von Heinz-Christian Strache wird die Kundgebung aufgelöst. Polizeisprecher Paul Eidenberger sagt zu mir: „Bisher war alles relativ ruhig. Es gab nur die Festnahme einer Frau, die durchdrehte und einen FPÖ-Stand zu zerstören begann. Aber jetzt treffen sich die Demonstranten bei der S-Bahn und da sind von uns nicht mehr so viele da zum Aufpassen."

Immer mehr Menschen gehen nicht zur S-Bahn, sondern stellen sich so nahe sie können zur Gegendemonstration. Die Polizei sperrt das Gelände dazwischen ab. Immer wieder nehmen einzelne ihren Mut zusammen, zucken aus und unternehmen Versuche, durch die Absperrung zu laufen, während andere Zuschauer grölen und sie anfeuern. Das Ganze erinnert ein bisschen an Völkerball in der Grundschule, wenn alle versuchen, „sich freizulaufen". Durch kommt keiner.

Als ich einen Polizisten auf die Stimmung anspreche, antwortet er mir: „Naja der Ton war schon mal rauer", und lacht. Kurz darauf läuft er auch schon wieder los, um erneut jemanden aufzuhalten, der zur Gegendemo durchbrechen will. Als ich schließlich in der S-Bahn nachhause fahre, fährt auch die Polizei mit. Irgendwie auch ein Sinnbild unserer Zeit: Linke und Rechte reisen durch Pufferzonen getrennt in dieselbe Richtung.

Weitere Berichterstattung zur Lage in Liesing sowie ein Lokalaugenschein folgen in Kürze hier auf VICE.

Eva auf Twitter: @immerwiederEva