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The Fashion Issue 2014

Zu Besuch im deutschen Maskenmekka

Wir waren zu Besuch im größten Museum für Masken überhaupt und haben uns vom Direktor Geschichten über afrikanische Geheimbünde und Teenager in den Alpen erzählen lassen.

Aus der Altsteinzeit sind Höhlenmalereien erhalten, auf denen Schamanen mit Masken zu sehen sind. In Afrika gab es die ersten Totenmasken, für die das Gesicht eines toten Stammesmitglieds mit Wachs überzogen wurde, und seit dem römischen Karneval werden Masken benutzt, um die eigene gesellschaftliche Rolle zu transzendieren (im Karneval drückt sich das dadurch aus, dass man so viel säuft, wie nur irgendwie geht, und sich danach benimmt wie der letzte Dreck). Es gibt wohl nichts, was dich schneller und vollständiger zu einer komplett anderen Person macht als eine Maske (OK, vielleicht erreichst du den gleichen Effekt auch mit Angel Dust, aber das ist sicherlich um einiges ungesünder—und schöner macht es dich mit Sicherheit auch nicht). Michael Stöhr ist Experte für Masken und hat in einem kleinen Ort bei Augsburg eines der größten Maskenmuseen der Welt aufgebaut. Er sammelt alles, von historischen afrikanischen Stammesmasken, über Masken aus quasi unzugänglichen portugiesischen Bergtälern bis hin zu Scream- und Marge-Simpson-Masken. Die einzige Bedingung ist, dass sie getragen wurden und es sich um Originale handelt. Mit nachgemachtem Zeug kann er nämlich nichts anfangen. Wir haben ihn in seinem Museum besucht und uns ein paar seiner Exponate angesehen.  VICE: Neben mehr oder weniger interessanten Modestatements bedienen sich Protestkulturen auch immer mal wieder an Masken, wie z. B. gerade Anonymous oder die rechten „Unsterblichen“. Warum üben Masken eine solche Faszination auf Rebellen aus?
Michael Stöhr: Es gibt zwei Formen eine Maske zu tragen, das ist schon seit alters her so: zum einen die Persona, mit der man in eine Rolle hineinschlüpft und versucht jemand anderes zu sein, aus sich herausgeht und Theater spielt. Zum anderen das Verstecken hinter einer Maske. Die Römer hatten dafür den Ausdruck Prosopon—das vor das Gesicht Gehaltene, um dahinter nicht erkannt zu werden. Diese zwei Formen gibt es heute immer noch, und wenn wir jetzt auf diese politischen Sachen zurückgreifen, dann sind das natürlich Versteckmasken. Das hat auch etwas mit Uniformität zu tun, oder?
Uniformität in der Maske existiert sogar in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht—die Leute, die da zu 300 mit identischen Masken und geschlossen als Narrenverein oder Fastnachtsgesellschaft auftreten. Die Sache mit den schwäbisch-alemannischen Masken ist auch, dass man auf die Sitzungen gehen und fröhlich sein muss. Ursprünglich ist Fastnacht etwas grundsätzlich anderes. Man versucht eher aus seiner eigenen Rolle herauszukommen. Bei den Römern gab es etwa die Saturnalien—da durften die Sklaven ihren Herren einmal im Jahr die Meinung sagen. Maskenkultur hat also einen Einfluss auf die Gesamtkultur.
Was mich natürlich besonders beschäftigt hat, ist die Zeit um 1920 herum, als die Maske in der Kunst für die moderne Zeit stand und die Avantgarde entdeckt wurde. Etwa bei Picasso, der im Trocadéro afrikanische Masken gesehen hat und dann seinen ganz neuen Stil entwickelte, weg vom Naturalismus und hin zum starken Ausdruck im Gesicht. Dazu gehört auch die Simultanität des Gesichts, also das man Vorder- und Seitenansicht miteinander verschmelzen kann. Diese Darstellungsform wurde auch im Dadaismus aufgegriffen, als Leute sich mit Masken verkleidet und Theater gespielt haben und dadurch Übergänge zwischen Kunst und Theater, Kunst und Aktionismus geschaffen haben. Es gibt natürlich auch Masken, die dann in der Mode auftauchen. Etwa Rebecca Horn, sie verkleidet sich und setzt dabei ihren Körper mit ein, baut sich Kostüme und Ganzkörpermasken. Das wiederum verbindet Installation und Theater miteinander. Hat das dann einen Einfluss auf Mode?
Auch in anderen Ländern werden Kostüme zum Schutz des Körpers hergestellt. Zum Beispiel die Papua in Neuguinea: Wenn junge Männer dort initiiert werden, müssen sie sich Ganzkörpermasken anfertigen, um die Phase zwischen Kindheit und Mannbarkeit zu überbrücken—wenn sie ihre Kinderhaut abziehen und in ihre Männerhaut noch nicht hineingeschlüpft sind. Und da sind sie für die Urwaldgeister besonders angreifbar. Was sind Ihre eindrucksvollsten Masken?
Wo wir besonders gut ausgerüstet sind, ist der Krampus- und Perchtenbrauch, in den Alpenländern. Und bei allem, was mit Masken in Gebirgsregionen zu tun hat. Von Bulgarien bis Portugal gibt es in abgeschlossenen Tälern noch lebendige, alte Bräuche mit schönen, alten Masken. Wir haben natürlich auch Masken aus dem Süden Chinas—also nicht diese Peking-Opern-Masken, die es überall gibt und die eigentlich keine Masken sind, sondern Schminkvorlagen. Wir haben von alten Stämmen zwischen Laos und China sehr viele schöne, alte Masken. Wir haben aus Afrika Ganzkörpermasken und Bauchmasken, die spektakulär sind, weil sie für Fruchtbarkeitskulte stehen. Aus Südamerika haben wir schöne Federnmasken. In Nordamerika haben wir Masken von den Stämmen, die es dort gibt. Sogar Hopi-Masken gibt es bei uns, die sonst in den Vereinigten Staaten nicht mehr zu sehen sind, weil die Kulte dort geschützt werden. Was hat es auf sich mit diesen Krampusmasken?
Im Alpengebiet machen die Jugendlichen diesen Maskenlauf aus Prestigegründen. Genauso wie sie im Sommer Motorrad fahren oder im Winter Snowboarden, gibt es auch eine Krampuszeit, während der man mit besonders gruseligen Masken herumziehen und auf Mädchenfang gehen darf und zumindest Aufsehen erregen kann. Da werden ganz enorme Summen investiert, 500 bis 1.000 Euro für die Maske und einen Fellanzug—und das muss jedes Jahr gewechselt werden, damit man zeigt, dass man sich’s leisten kann. Die gehen mit Fotos aus dem letzten Horrorfilm zu den Schnitzern, die besonders gefragt sind, und lassen sich dann etwas schnitzen. Das Problem dabei ist, dass die Masken, die früher getragen wurden, also die traditionellen Masken, dabei ausgeschlachtet werden. Denen werden die Hörner abgebrochen, weil es keine Ziegen und Widder mehr im Alpengebiet gibt, und dann auf die modernen Horrormasken montiert. Und die alten Masken wandern einfach auf den Sperrmüll oder werden verbrannt. Sind Masken etwas, das eher von Männern getragen wird?
Es gibt ganz wenige Ausnahmen, bei denen Maskenbräuche von Frauen initiiert werden. Etwa in Sierra Leone, bei einer Frauengruppe aus dem Stamm der Mende. Die Marktfrauen dort tragen die Masken, weil sie einen Geheimbund gegründet haben, sonst sind die Geheimbünde nur Männersache. Die armen Marktfrauen bringen ihr ganzes Geld zu den reichen Marktfrauen, die es meist sehr sinnvoll anlegen. Wenn die Armen dann pleitegehen, kommen sie und bitten sich Geld zurück—das funktioniert dann praktisch wie ein Versicherungssystem.

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Fotos von Julian Baumann