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„Die Idee des ikonischen Bildes verändert sich“ – Im Gespräch mit Fotograf Jon Uriarte

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In der Fotografie geht es vielfach um Verbindungen: zwischen dem Fotografen und dem Motiv, dem Fotografen und der Kamera; in der Art, wie der Fotograf seine Arbeit präsentiert—ob gerahmt oder besser als Teil eines digitalen Archivs wie etwa irista, Canons Cloud-Plattform für die Verwaltung, Zusammenstellung und das Teilen von Bildern. Solche guten Services haben wir zu Anlass genommen, um auf die Suche nach den aufregendsten und innovativsten Kreativen zu gehen, für die solche Verbindungen eine Rolle spielen. Und sind auf Jon Uriarte gestoßen, dessen Arbeit eng mit der nachträglichen Manipulation seiner verschämten Familienalben verknüpft ist.

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Seine Werke erwecken den Eindruck von Intimität; wertvolle Erinnerungen, die wir mit unseren Lieben teilen, festgehaltene Momente mit Menschen, denen wir nacheifern, Aufnahmen vom Subjekt in seiner intimsten Umgebung. Der spanische Fotograf Jon Uriarte unterwandert munter solche persönlichen Spleens; sei es durch Selbstlöschung in alten Aufnahmen wie in Album oder mit Aufnahmen von Männern in der Kleidung ihrer Partnerinnen in The Men Under The Influence.

Uriarte will nicht nur eindringliche, thematisch untermauerte Bilder aufnehmen, er versucht sein Werk weiterzuentwickeln indem er fragt: wie erklären wir uns eine Welt, die jeden Tag von neuen Bildern bombardiert wird? Ist theoretischer Diskurs um moderne Fotografie noch aktuell? Und wo befindet sich die Fotografie im postmodernen Post-Internet-Zeitalter?

Auf der Suche nach Antworten geht Uriarte der Fotografie in diversen Medien nach. Seine Bilder wurden weltweit ausgestellt und haben vielfach Presse nach sich gezogen, von der New York Times bis zum Stern. Er lehrt an der IDEP Barcelona, führt einen einflussreichen Blog, gründete und verwaltet selbständig die Plattform Widephoto, die Workshops, Diskussionen und Seminare mit modernen Fotografen wie Jason Fulford und Adam Jeppesen veranstaltet.

Ich habe Uriarte angerufen, um in die sich rasant entwickelnde, herausfordernde und genauso spannende Welt der modernen Fotografie und deren Probleme, mit denen sie konfrontiert ist, Einblicke zu bekommen.

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The Men Under The Influenceist visuell erfindungsreich und erweckt Gedanken über Themen wie Geschlechterbeziehungen und Identität. Wie interpretierst du die Reaktionen von Leuten auf dein Werk?
Man kann nicht immer einschätzen, wie die Interpretationen des eigenen Werks sein werden, bei The Men Under The Influence war es verrückt, weil es viral funktionierte. Es wurde in China, Brasilien, in der New York Times, Deutschland, also fast überall veröffentlicht. Hauptsächlich war es auf verschiedenen Webseiten zu sehen und ich konnte viele Kommentare über und viele verschiedene Meinungen zu meinem Werk lesen. Man stößt auf schlechte und gute Kritik, aber auch auf viel komplexere Ideen um das Werk, worauf man so nie wirklich gekommen war.

Bei diesem Werk war die Thematik herausfordernd; es ist nicht einfach über Genderproblematik zu reden, die Leute könnten einem die Aussagen übel nehmen. Für mich selber war es wirklich sehr interessant. Zum Beispiel haben viele Leute aus der schwulen Perspektive über mein Werk gesprochen; das war etwas komisch für mich, weil das ganze Werk, worüber ich versucht habe, zu sprechen, handelt um heterosexuelle Männer in heterosexuellen Beziehungen. Es ist toll, dass die Leute es auf unterschiedlichen Ebenen verstehen, was mir sehr hilfreich sein kann, um offene Diskussionen zu führen, worüber ich glücklich bin. Es entwickelt sich so viel besser als am Anfang, wenn man das Projekt entwirft. Aber es ist nicht einfach zu kontrollieren, wie die Leute darauf reagieren.

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Angesichts eines stets wachsenden Zufluss von Fotografie unterschiedlicher Qualität, wie wird sich deiner Meinung nach die Rolle der Bildbearbeitung entwickeln?
Wir müssen viel mehr bearbeiten als früher. Betrachtet man zum Beispiel wie Kriege vor der Zeit von Handys, Kamera und digitaler Fotografie fotografiert wurden, wie den Vietnamkrieg, drängen sich sofort Bilder auf: das laufende, von Napalm verbrannte Mädchen. Als wir noch keine Bilderflut hatten, hatten wir mehr ikonische Bilder über die wir sprachen.

Wenn ich dir jetzt von 9/11 erzähle, gibt es kein ikonisches Bild; es gibt eine riesige Menge an Bildern, aber alle reden sie von einem Moment in der Geschichte. Die Idee des ikonischen Bildes verändert sich. Da wir mit etlichen Bildern, die über dasselbe Ding sprechen, konfrontiert werden, müssen wir lernen, diese ganzen Bilder zu verarbeiten. Dies ist nicht nur ein Problem für Fotografen, sondern auch für die Gesellschaft. Wenn wir jeden Tag mit einem Tsunami von Bildern konfrontiert werden, müssen wir lernen, sie zu verstehen, zu bearbeiten, ihnen eine Reihenfolge und eine Bedeutung zu geben, und sie in verschiedene Kontexte einzuordnen.

Also für dich entwickelt sich Fotografie stark Richtung Bildbearbeitung?
Wir gehen eher in Richtung der Bearbeitung, Verarbeitung und des Teilens. Wenn man die kurze Geschichte digitaler Bilder betrachtet, sieht man, dass das erste im Internet hochgeladene Bild eine Photoshop-Katastrophe war; es ist zu einem Mem geworden. Vom ersten Bild an war das Bild selbst nicht das Wichtigste, sondern wie es gemacht wurde und was seine Zwecke waren. Ich glaube, wir versuchen eine Balance zwischen dem Schuss,der Verarbeitung –inklusive der Bearbeitungund der Teilung eines Fotos zu finden. Es gibt viele schlechte Fotos, die zum Erfolg geworden sind, weil sie dort angekommen sind, wo sie sein müssen, daher würde ich sagen, dass das reine Aufnehmen an Bedeutung verliert und die Verarbeitung und das Teilen von Bildern gerade den Kampf gewinnen.

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Dein Interesse für Fotoediting kommt dem Projekt „Albums" zu Gute—eine interessante Fotoserie, für die du dich aus deinen Familienfotos rausgeschnitten hast. Was wolltest du damit erreichen?
„Album" war mein letztes Projekt während des Fotografiestudiums. Damals war es mir noch nicht bewusst, aber heute weiß ich, dass das mein Art war, zu verstehen, wer ich damals war, und was noch aus mir werden könnte. Was ich heute auch sehe: dass das Projekt dieselben Fragen aufwirft, die ich immer noch der Fotografie in ihren Limitierungen stelle. Ich schätze, dass ich von Anfang an Persönlichkeitskomplexe als einen Weg gesehen habe, die Identität der Fotografie in Frage zu stellen.

Es ist eine sehr verbreitete Vorgehensweise, mit eigenen Familienbildern zu arbeiten—was etwas Gutes und zugleich etwas Schlechtes mit sich bringt. Es ist gut, weil es im Normalfall Bilder sind, die man gut kennt. Da ist es leichter, mit den Bedeutungsebenen zu spielen. Auf der anderen Seite ist es schwierig für die Betrachter, die sich deine Arbeit ansehen, dich aber nicht kennen und sich auch nicht für deine Familie interessieren. Ich denke, dass ich durch das Entfernen meines Abbildes vom Foto dem Betrachter die Möglichkeit gebe, sich mit dem Projekt zu verbinden, indem er sich selbst reinschneiden kann.

Wie ist deine Interpretation der zunehmenden Post-Internet-Ästhetik?
Die Fotografie wurde früher stark durch die Kunstgeschichte geprägt, innerhalb dieser Geschichte findet man Pop Art, die sich auf Popkultur beruft. Die neue Post-Internet-Ära wird durch Popkultur beeinflusst, alles wird gemischt und von Bildern genommen, die für das Internet produziert wurden; man sieht Bilder, die wie Stockbilder aussehen, Retro-EDV, Beziehungen zwischen physischen und flüssigen Bildern. Ich nehme gerade dieses Thema in Angriff, um darüber zu schreiben, sobald ich etwas veröffentliche, wird es konkreter, aber jetzt staune ich noch darüber und versuche das Ganze zu verstehen.

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Du hast schon einmal gesagt, dass sich spanische Einrichtungen nicht genug darum bemühen, aufkommende Fotografen zu unterstützen – hat sich was geändert?
Nein. Momentan gibt es keine spanischen Einrichtungen, die dem Kulturbereich Hilfe leisten. Unsere Regierung erhöht die Steuern auf kulturelle Aktivitäten, wie Konzerte, Theaterstücke, Ausstellungen, Kinobesuche, ohne Ausnahme. Es ist eine schreckliche Zeit für uns, die uns ebenso die Arbeit erschwert. Es ist viel los in Spanien, es gibt viele gute, junge Fotografen, die wirklich hervorragende Arbeit leisten und breite Anerkennung finden, zunächst nur international aber inzwischen auch in Spanien. Aber diese Arbeit wird nicht von öffentlichen Einrichtungen unterstützt, nicht mal von privaten, es ist einfach eine Generation, die alleine arbeitet und nichts zu verlieren hat.

Erzähl uns von der aufkeimenden Fotobuch-Szene in deinem Heimatland. Unter welchen Umständen ist sie entstanden?
Unsere Generation hier ist untereinander sehr vernetzt, wir kennen einander wirklich gut und es herrscht ein Gemeinschaftsgefühl. Es ist ziemlich einzigartig. Ich versuche, dasselbe in anderen Ländern zu finden, aber konnte bis jetzt nichts Vergleichbares finden. Zum Beispiel gibt es in Spanien 15 Fotobuch-Vereine, während das Land mit den zweitmeisten nur drei oder vier hat. Hier gab es Ausstellungen über dieses Phänomen und ich habe darüber geschrieben, ich denke, es liegen ihm viele Ursachen zu Grunde. Die neue Generation von Fotografen ist aufregend, und ich kann eine ähnliche Beobachtung in der Online-Fotobuch-Community feststellen - das sieht man, wenn eine Person ein tolles Fotobuch macht und die Reaktionen auf verschiedenen Webseiten und in Facebook-Gruppen erlebt. Wir durchleben momentan eine sehr schöne Entwicklung in Spanien.

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Es ist jetzt viel kostengünstiger zu veröffentlichen oder selbst zu veröffentlichen, was früher unmöglich war. Es sind auch viel mehr Bücher über Fotobücher erschienen, wie die Reihe von Gerry Badger and Martin Parr und auch viele andere aus aller Welt. Fotografen möchten ihre Werke auf einfache und kosteneffektive Weise präsentieren, im Vergleich zu Ausstellungen, die zeitaufwendig und nicht so transportabel sind wie Bücher.

Heutzutage findet ein großer Anteil unseres Lebens in der digitalen Welt statt, weswegen wir Bedarf an physischen Objekten haben. Jetzt sehe ich, dass Fotobücher auch in Japan, Großbritannien, in den US und auch Australien gemacht werden, Fotobuch-Nerds sind online miteinander vernetzt, um eine globale Gesellschaft daraus zu machen.

Denkst du, dass der theoretische Diskurs um die Fotografie eine Überarbeitung nötig hat?
Ich schreibe viel und hoffe, ein theoretisches Buch zu veröffentlichen. Wir brauchen mehr Bücher über die Fotografie; ich würde behaupten, dass in letzter Zeit kein einziges interessantes Buch über die Fotografie herausgebracht wurde. Ich glaube, wir brauchen neue Gedanken über die Fotografie.

Es ändert sich vieles in kürzester Zeit. Ich sehe das an meinen Studenten, wie sie mit Bildern assoziieren, wie ich mit Bildern assoziiere und die Unterschiede dazwischen. Meine Generation hat die Fotografie auf klassische Art und Weise gelernt und ich hatte erst einen Computer als ich acht oder zehn war. Angesichts einer Generation, die aus Digital Natives besteht, müssen wir darüber nachdenken und diskutieren. Es wird viel auf Englisch über Kunst und Post-Internet-Kunst geschrieben, auf spanisch findet man kaum Literatur.

Schlussendlich, bezüglich der neuen Generation von Fotografen – bei welchen von denen lohnt es sich nachzuschlagen?
Unter den spanischen Fotografen sollte man sich unter anderem die Arbeit von Alberto Feijóo, Bego Anton, Carlos Chavarria, Lucia Gomez Meca, Erik Von Frankenberg, Rut Panuse, Roc Herms, Daniel Mayrit anschauen. Es gibt auch tolle Fotografie-Verzeichnisse online.

Danke, Jon.

@finspo

Hier findest du alles zu irista und hier das Neueste vom Neuesten von Canon.