Ich habe einen Tag als Wien-Tourist verbracht

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Popkultur

Ich habe einen Tag als Wien-Tourist verbracht

Michael Buchinger hat Touristen jahrelang gehasst. Bis er selbst einer von ihnen wurde.

Alle Fotos von Dominik Pichler

Ich hasse Touristen. Als Mensch, der oftmals gestresster durch die Straßen läuft als Anne Hathaway in Der Teufel trägt Prada, habe ich nun wirklich keine Geduld für Passanten, die mitten am Gehweg stehen bleiben, um einen Stadtplan zu studieren oder sich mit einem dieser Konzertkarten verkaufenden Mozarts zu unterhalten. Aufgrund ihrer spontanen Körperstarre passiert es daher nahezu wöchentlich, dass ich "unabsichtlich" einen dieser Zeitgenossen remple.

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"Aber Michael, bist du nicht ein bisschen streng? Warst du nicht auch einmal Fremder in einer Stadt? Wie schön es doch sein muss, Wien zum ersten Mal zu sehen, da verstehe ich es schon, wenn man ein bisschen bummelt!", argumentiert ihr nun bestimmt, doch ich muss euch informieren, dass eure Argumente gänzlich ungültig sind.

Ich bin ein sehr angenehmer Tourist: Nicht nur stehe ich auf Rolltreppen IMMER rechts, nein, ich mache es mir auch zur Priorität, mich Chamäleon-artig in jede Stadt einzufügen, informiere mich somit vorab über meine Route und kaufe Konzerttickets online. Keine Unterhaltungen mit verstorbenen Komponisten notwendig!

Wie würde ich mich bloß schlagen, wenn ich einen Tag als Tourist in Wien verbringen würde? Würde ich flink wie eine Gazelle durch die Straßen wuseln, oder am Ende doch kapitulieren und ein überteuertes Ticket für "Time Travel Vienna" kaufen? Wer weiß: Vielleicht würde ich nach diesem Tag endlich Verständnis für all jene Besucher haben, über die ich für gewöhnlich stänkere.

Ohne Frühstück und voller Entdeckungsdrang gehe ich aus dem Haus. Für 18,90 Euro habe ich mir ein Ticket für einen Sightseeing-Bus gegönnt und eile eine Minute vor Abfahrt zu dessen Haltestelle, nur um mit einer herben Enttäuschung konfrontiert zu werden: "Oh, tut mir leid, das hier ist die Blue Line, nicht die Red Line. Sie müssen den Bus da drüben neben!", sagt mir der Fahrer und deutet auf einen anderen Bus in der Ferne, der natürlich genau in dieser Sekunde abfährt.

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"Egal!", denke ich mir, obwohl ich soeben 30 kostbare Minuten meines Lebens verloren habe und beschließe, stattdessen nett Frühstücken zu gehen. Eigentlich möchte ich das im Hotel Sacher tun, aber da die Schlange davor so lang ist, als würden sie einem beim Frühstück auch den Sinn des Lebens verraten, gehe ich stattdessen in die Konditorei Gerstner.

Von "Ballwürstel" bis hin zu "Gabelbissen mit Krebsschwänzen" gibt es hier vorwiegend Speisen, die eher nach Dschungelprüfungen klingen und ich bestelle mir daher stattdessen nur einen Orangensaft und einen Tee, für die ich summa summarum 10 Euro zahle. Für den heutigen Tag habe ich mir optimistisch ein Budget von 50 Euro gesetzt: Es ist erst kurz nach 10 Uhr und ich habe (inklusive des Bus-Tickets) bereits mehr als die Hälfte davon ausgegeben.

Ich stürze meine Getränke herunter, als würde ich einen neuen Weltrekord für "Flüssigkeiten konsumieren" aufstellen wollen und sichere mir dann einen Front-Row-Seat im Sightseeing-Bus. Neben mir sitzt ein italienisches Paar, das bereits zu Beginn der Fahrt so sehr streitet, dass ich mit mir selbst wette, dass sie sich trennen, bevor wir überhaupt Schloss Schönbrunn erreicht haben. Entspannt lasse ich also die Kopfhörer in meine Ohren wandern und lausche dem Vortrag über Wien, während wir an den üblichen Sightseeing-Spots vorbeizischen.

Die deutsche Stimme in meinem Ohr rattert Fun Facts über die Stadt mit solcher Lebensfreude herunter wie ich mein Referat über Photosynthese in der zweiten Klasse. Dabei macht sie ulkige Dinge, wie das Wort "Stil" als "Stiel" auszusprechen und die Mariahilferstraße frech als den "Kurfürstendamm Wiens" zu bezeichnen. Somit verliere ich schneller das Interesse an ihr als an dem "Vegan for Fit!"-Kochbuch, das mir Freunde zu Weihnachten geschenkt haben.

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Wer denkt, dass ich die Busfahrt frühzeitig abbreche, unterschätzt meine Knausrigkeit: Schließlich habe ich 18,90 Euro (in richtigem Geld immerhin 260 Schilling!) dafür bezahlt und bleibe somit so lange darin sitzen, bis ich ob meiner bis zum Platzen gefüllten Blase (ihr erinnert euch: Ich habe einen Orangensaft UND einen Tee getrunken!) beim Prater aussteige, wo es laut dem Wien-Guide auf meinem Handy nur so vor "Energie und Lebensfreude" wimmelt.

Enttäuscht muss ich aber feststellen, dass hier an einem kalten Jännertag in etwa so viel Action herrscht wie in der Seniorenresidenz meiner Großmutter nach 18 Uhr. So uriniere ich schnell in der urigen Meierei, wo ich mehr aus Höflichkeit als aus Gusto einen Gemüsewok esse, dessen Geheimzutat laut Speisekarte eine "exotische Sauce" ist, und fahre zurück in die Innenstadt, wo ich endlich auf meine Touristen-Kosten kommen möchte.

Meine Rolle als Tourist spiele ich sehr gut: Mit meinem Selfie-Stick mache ich gerade ein paar Fotos vor dem Stephansdom, als ich von zwei Mozarts angesprochen werde, die mir Konzerttickets verkaufen möchten. Ich entschuldige mich höflich bei ihnen und husche weiter zur Ankeruhr, vor der ich sehr zum Frust der "Merkur am hohen Markt"-Besucher fünf Minuten lang völlig regungslos stehe, als würde ich mich an einer One-Man-Mannequin-Challenge versuchen.

Ich bin sauer: Die Ankeruhr macht absolut nichts von dem, auf das Touristen vor ihr immer so sehnsüchtig warten (ich habe übrigens keine Ahnung, was das ist: Die Zukunft prophezeien? Money Maker-Style Geldscheine regnen lassen?), mir ist fürchterlich kalt und auch mein Handyakku neigt sich ob meiner Besessenheit mit dem Wien-Guide langsam dem Ende zu. So finde ich Unterschlupf in dem Mutterschiff aller Wien-Touristen: einem riesigen Mostly Mozart Souvenirshop.

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Hier liebäugle ich unter anderem mit einem T-Shirt, auf dem in riesigen Lettern "I <3 VIENNA" steht und male mir aus, wie unheimlich sexy ich in einem "NO KANGAROOS IN AUSTRIA"-Kapuzenpulli aussehen würde. Das einzige, was mich an dem Kauf hindert, ist der Preis: 29,99 Euro! Dafür bekomme ich ja schon eineinhalb Tickets im Sightseeing-Bus oder sechs Getränke beim Gerstner! Wütend verlasse ich den Laden.

Mein Tag als Tourist in Wien war bisher ein einziger Reinfall: Ich bin hungrig, muss auf die Toilette, fühle mich gestresst und komme mir generell so vor, als würde man mich überall nur über den Tisch ziehen wollen. Gerade, als ich vermute, dass es nicht mehr viel schlimmer werden kann, gibt mein Handy mit seinem Wien-Guide den Geist auf.

Also tue ich es – die Sache, von der ich mir geschworen hatte, dass ich sie nie tun würde. Mitten auf der Kärtnerstraße bleibe ich ohne Vorwarnung stehen und wühle schnaubend in meinem Rucksack, auf der Suche nach (wie ich vermute) 10 Euro Eintritt für diese merkwürdige Opern-Toilette am Karlsplatz oder zumindest ein Minzbonbon.

Da passiert es: Ein Mann hinter mir prallt in mich hinein, gibt ein missbilligendes "Tsk"-Geräusch von sich und sagt im Weggehen etwas, das ich rückblickend betrachtet als "Scheiß Touris! Deppate Oaschlecha, heast!" interpretiere.

In diesem Moment ist mir, als würde ich meinen eigenen Körper verlassen und das soeben Geschehene nochmal von oben beobachten. Oprah würde solch einen Moment wohl liebevoll einen "Aha-Moment!" nennen: Vor gerade Mal einer Woche war ich dieser wütende Mann, der Touristen verachtet und Beleidigungen in seinen Bart nuschelt, doch nach nicht einmal zehn Stunden auf Wiens Straßen hat sich das Blatt gewendet: Ich bin einer von ihnen geworden.

Wenngleich mein Tag als Wien-Tourist also in etwa so enttäuschend war wie die meisten von Britney Spears' Live-Auftritten, fühle ich mich dennoch, als hätte ich etwas gelernt: Langsame, abrupt mitten im Weg stehen bleibende Touristen sind keineswegs Teil einer "Versteckte Kamera"-Show, deren Ziel es ist, mich in den Wahnsinn zu treiben, sondern übermüdete und hungrige Menschen, die sich einfach nur einen schönen Tag in unserer Stadt erwarten und stattdessen eine laue Busfahrt und überteuerte Sweatshirts bekommen haben.

Ich verspreche hoch und heilig, sie nie wieder zu rempeln.

Michael auf Twitter: @MichiBuchinger

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