Schlagzeilen: Hitler lebte nach dem Krieg in Kolumbien
Collage bestehend aus: U-Boot: Wikimedia | Marco Kuntzsch | CC BY 4.0; Adolf Hitler: Wikimedia | Deutsches Bundesarchiv | CC BY-SA 3.0 DE | Landschaft: Pexels

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Popkultur

Schlagzeilen: Hitler lebte nach dem Krieg in Kolumbien

Wir haben uns angeschaut, was tatsächlich in FBI- und CIA-Dokumenten steht, und wie daraus Verschwörungstheorien werden.

Für den Spiegel ist Adolf Hitler das, was für den Playboy nackte A-Prominente sind: eine Verkaufsgarantie, wenn er vom Cover blickt. Dafür, dass es immer wieder etwas über Hitler zu berichten gibt, sorgen auch Geheimdienstakten, die erst Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg freigegeben werden. Solche Dokumente lassen Verschwörungstheoretiker regelmäßig hyperventilieren. Obwohl die meisten Historiker darin übereinstimmen, dass sich Hitler 1945 in seinem Führerbunker zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz erschossen hat, glauben andere, dass er sich in die Hohlerde zurückgezogen hat oder per Reichsflugscheibe auf die dunkle Seite des Mondes geflüchtet ist. Wieder andere Theorien besagen, Hitler sei nach Südamerika entkommen. Aktuell berichten mehrere Medien – vom Independent bis zu RT Deutsch – über einen CIA-Bericht, laut dem Hitler nach dem Krieg in Kolumbien untergetaucht ist. Wir haben uns anhand von zwei Beispielen angeschaut, wie Medien über Hitler-Geheimdienstberichte berichten und wie daraus Verschwörungstheorien entstehen.

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Theorie 1: Hitler hat nach dem Krieg in Kolumbien gelebt

Das steht in den Dokumenten:

Anfang September veröffentlichte die CIA ein Geheimdokument, das am 3. Oktober 1955 in einer CIA-Basis in Caracas, Venezuela, verfasst wurde. Darin berichtete ein Agent mit dem Decknamen Cimelody-3, dass Adolf Hitler nach dem Krieg möglicherweise in Kolumbien lebte.

Cimelody-3 sagte, er sei am 29. September 1955 von einem "vertrauenswürdigen Freund" kontaktiert worden, dessen Identität er geheim halten wolle. Diese Person behauptete, der ehemalige SS-Mann Phillip Citroen habe erzählt, dass Adolf Hitler noch am Leben sei. Ein Bekannter eines Bekannten behauptete also, jemanden gesehen zu haben, der aussah wie Hitler. Citroen soll Cimelody-3 erzählt haben, dass er sich einmal im Monat im kolumbianischen Tunga in einer Siedlung namens "Residencies Coloniales" mit Hitler getroffen hat. Dabei sei ein Foto der beiden entstanden. Im Januar 1955 sei Hitler dann nach Argentinien ausgereist. Tatsächlich gelang es Cimelody-3, das angebliche Hitler-Foto zu kopieren. Die grobkörnige Mikrofilm-Version des Fotos wurde jetzt mit der Akte veröffentlicht. "Die Rückseite des Fotos beinhaltete die folgenden Daten: 'Adolf Schüttelmayer, Tunga, Colombia 1954'", schließt der Verfasser des Protokolls.

Dieses Bild soll angeblich Adolf Hitler (r.) in den 1950ern in Kolumbien zeigen | Screenshot: CIA

Abgesehen davon, dass "Schüttelmayer" nach der Erfindung eines amerikanischen Late-Night-Hosts klingt, der sich über die deutsche Sprache lustig macht, zweifelten auch schon die Verfasser des Berichts an der Geschichte, die sie an einer Stelle als "fantastic story" bezeichnen. In den ersten Zeilen des Dokuments schreiben sie, dass weder Cimelody-3 noch die CIA-Basis in Caracas eine auf Fakten basierende Bewertung des Berichts abgeben können. In einem zweiten Dokument sprach die CIA sogar von der "offensichtlichen Fantasie" des Berichts, weshalb man diesen nicht sofort weitergeleitet habe. Was bleibt, sind Vermutungen und Behauptungen, aber keine Beweise – für manche Verschwörungstheoretiker ist das mehr als genug.

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Schon der Einstieg des CIA-Dokuments äußert Zweifel an der Echtheit der Information | Screenshot: CIA

Das sagen die Medien:

"Freigegebene CIA-Dokumente enthüllen: Hitler überlebte und floh nach Kolumbien", schreibt Sott.net am 11. September und lässt damit keinen Raum für Zweifel. Hitler lebt! (oder überlebte zumindest eine Weile in Kolumbien). Die Seite wurde von der US-amerikanischen Verschwörungstheoretikerin Laura Knight-Jadczyk gegründet und zitiert laut Meedia oft rechtspopulistische Inhalte. In Deutschland hat Sott zwar nur 8.500 Facebook-Fans, weil sich die Seite aber in Optik und Sprache an normale News-Medien anlehnt, ist sie für unseriöse Theorien im seriösen Gewand ein idealer Multiplikator. Dass Medien solche Falschmeldungen verbreiten, hat einen Grund: Besonders auf Facebook zahlt es sich aus, eine Geschichte zu versprechen, die nicht oder nicht ganz stimmt: Solche Posts werden bis zu 89 Prozent häufiger geteilt.


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Bei Sott heißt es, die Dokumente würden "offenbaren", dass Hitler den Zweiten Weltkrieg überlebt habe – Beweise dafür führt die Seite nicht an. Zwar steht im Text, dass "keiner der Beteiligten in der Lage sei, die Angelegenheit einer geheimdienstlichen Auswertung zu unterziehen", in einem anderen Bericht hätten allerdings schon 1954 Zeugen behauptet, Hitler und eine Gruppe Nazis seien nach Südamerika geflüchtet. Dass es sich dabei ebenfalls um eine unbestätigte Behauptung Citroens handelt, erwähnt Sott nicht. Im letzten Satz greift Sott dann nochmal ganz tief in den Sack der unbestätigten Vermutungen und tut so, als gäbe es da – vielleicht, womöglich, eventuell – noch etwas, das wir nicht wissen: "Angeblich wurde der Fall nicht mehr weiter verfolgt – zumindest drang nichts mehr an die Öffentlichkeit."

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Auf suggestive Behauptungen scheint sich auch der Blog Pravda TV spezialisiert zu haben – der Schlusssatz des Sott-Artikels findet sich dort übrigens im exakten Wortlaut wieder. Der Seitenbetreiber Nikolas Pravda bezeichnet sich selbst als Künstler und schreibt, ihm gehe es um "sowohl politische Inhalte, als auch wissenschaftliche Texte, sowie Inhalte die uns als natürliche Wesen angehen" (sic). Was er damit meint, kann man in Artikeln zu "Geschichtslügen der Alliierten" und "geheimen Untergrund-Städten der Militärs" nachlesen. Die Behauptung von Hitlers Verbleib in Kolumbien wird hier zur Tatsache: "Freigegebene CIA-Dokumente offenbaren, dass Hitler am 30. April 1945 vermutlich keinen Selbstmord […] begangen hat", schreiben die Autoren. Das "vermutlich" deutet an, dass selbst sie ein wenig Restzweifel in sich tragen. Aber die Vorstellung, dass Hitler in einem kolumbianischen Nazidorf ein Heer aus blonden Inzestariern heranzüchtet, scheint einfach zu schön zu sein, als dass man sie durch Fakten zerstören wollen würde.

Theorie 2: Hitler wurde in einem U-Boot nach Argentinien geschifft

Das steht in den Dokumenten:

Gleich mehrere Menschen haben sich in den 40ern an die US-amerikanischen Geheimdienste gewandt, weil sie Informationen über den Verbleib von Adolf Hitler loswerden wollten. In vier Dokument-Batzen mit insgesamt über 600 Seiten und noch mehr geschwärzten Stellen, die das FBI laut Quelltext seiner Website 2011 öffentlich machte, sind zahlreiche solcher Informanten-Briefe festgehalten. Ihre Geschichten sind so abenteuerlich wie verschieden: Ein Verfasser schreibt dem FBI-Boss John Edgar Hoover, er sei nach langen Überlegungen zu dem Schluss gekommen, dass Hitler in der deutschsprachigen Schweiz lebe – weil er nur Deutsch spreche und so nicht als Ausländer auffalle. Ein anderer Hinweisgeber offenbarte dem FBI-Chef auf einem handgeschriebenen Notizzettel: "Ich wette, Hitler lebt in New York. Nirgendwo könnte er unauffälliger leben als in einer so großen Stadt." Der FBI-Direktor bestätigte dankend, dass er die Briefe erhalten habe. Übersetzung der Behördensprache: Die Dokumente landeten über Jahrzehnte in irgendeinem Ordner.

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Screenshot: FBI

Eine Theorie tauchte bei all den Storys über Hitlers neue Identität allerdings öfter auf als alle anderen: Hitler habe sich nach seinem vorgetäuschten Tod nach Argentinien abgesetzt. Ein FBI-Report vom 21. September 1945 dient dabei als oft zitierte Quelle für Verschwörungstheoretiker. Laut diesem berichtete eine kalifornische Zeitung von einem Typen, der sich im Juli desselben Jahres mit Informationen über Hitlers Flucht nach Argentinien bei dem Blatt gemeldet hatte. Der Informant sagte, er stünde in Kontakt mit jemandem, der in Kontakt mit sechs argentinischen Offiziellen steht, die Hitler nach seiner Ankunft betreut und versteckt hätten. Demnach kamen Hitler und seine Entourage in einem von zwei U-Booten an der Küste der Halbinsel Valdés an, von wo aus er mit Packpferden an den Fuß der Anden zu einer Ranch gebracht wurde. Die Menschen, die ebenfalls in den U-Booten geflüchtet waren – insgesamt sollen es 50 gewesen sein –, hätten ebenfalls eine Nazi-Vergangenheit und seien in den anliegenden Dörfern bei deutschen Familien untergebracht worden. Dann bot der Informant den Journalisten an, den Namen eines Kontaktes weiterzugeben und ein Treffen zu planen. Am Ende waren weder der Kontakt noch der Kerl auffindbar – und der Name der Kontaktperson in keinem polizeilichen oder behördlichen Register eingetragen.

Das FBI ging der Geschichte nicht weiter nach. Immer wieder beschäftigten sich Medien mit der argentinischen Hitler-Story und suchten nach Beweisen oder Nachkommen von Augenzeugen. Schlüssig waren die gefundenen Geschichten nie. Das sagen die Medien:

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Auch ohne Beweise boten die Berichte Stoff für die mediale Berichterstattung. Die Bild-Zeitung gab die besten Passagen der Briefe ans FBI wieder, während die Welt sich den Hintergründen der Post widmete.

Doch nicht alle Medien finden die Wett-Briefe und persönlichen Gedanken zu Hitlers Untertauchen (im wahrsten Sinne des Wortes) komisch: Manche wittern in den Briefen – und vor allem in der Tatsache, dass sie bis 2011 "unter Verschluss" gehalten wurden, eine Verschwörung –, allen voran das News-Portal Der Wächter. Die Seite verbreitet an seine über 200.000 Facebook-Follower Verschwörungstheorie-Memes und russlandfreundliche Falschmeldungen. Bei den FBI-Briefen will Der Wächter ein System hinter der späten Veröffentlichung erkennen und hebt hervor, dass die Namen der Informanten "aus offensichtlichen" Gründen geschwärzt wurden. Das FBI habe jahrzehntelang gewusst, dass Hitler am Leben sei, es aber unterlassen, die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten. Es gäbe "unwiderlegbare Beweise" dafür, dass Hitler damals entkommen ist.

Für den 2016 veröffentlichten Artikel hat sich Der Wächter an einem englischsprachigen Artikel orientiert, von dem offensichtlich auch das österreichische Portal für "alternative Medien" The False Flag abgeschrieben hat. Der von einem Wiener "Kulturverein" betriebene Blog praktiziert ausführliche Medienkritik, gibt aber selbst an, dass er Artikel anderer Medien übernimmt und inhaltliche Fehler nicht ausgeschlossen werden können. Vielleicht eine Erklärung dafür, dass der Autor des Verschwörungs-Beitrags die Dokumente ebenfalls als Bestätigung dafür sieht, dass Hitler sich nach Südamerika abgesetzt hat. Dass die Dokumente so spät öffentlich gemacht wurden, liegt laut The False Flag nicht daran, dass sie ohnehin nicht belegt werden konnten: "Die veröffentlichten FBI-Dokumente belegen, dass [die Geheimdienste] nicht nur Kenntnis von Hitlers Gegenwart in Argentinien hatten, sondern sie auch dazu bereit waren, es zu vertuschen."

Das "kritische" Wissenschaftsmagazin Science Files erhebt noch drastischere Vorwürfe: Die offizielle Geschichtsschreibung sei erfunden, heißt es in einem Beitrag über die FBI-Dokumente. Wie Der Wächter und The False Flag bezieht sich auch Science Files vor allem auf den Brief aus Los Angeles, laut dem Hitler mit dem U-Boot nach Argentinien geflohen ist. Als Beweise für die Theorie führt das Wissenschaftsportal unter anderem an, dass Agatha Christie in einem Roman von einem Hitler-Doppelgänger schrieb, der anstelle des echten Adolfs umgebracht wurde. Um die Wissenschaftlichkeit des Beitrags abzurunden, sollte eine Umfrage für Klarheit sorgen: Die Leser sollen entscheiden, ob Hitler Selbstmord begangen hat oder nicht. Als Antwortmöglichkeiten gibt es neben "Ja" und "Nein" auch "Weiß nicht" und ein freies Feld für "Andere". Und wer weiß, vielleicht findet sich genau in diesem leeren Feld schon bald eine neue Theorie – und die ganze Wahrheit zu Hitlers Tod.

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