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Musik

(Nicht-)Scheiße—die Romantik der Neuzeit

Ecke Schönhauser machen Musik für und über ihre Ex-Freundinnen. Zumindest für die, die nicht scheiße waren.

„Was uns vom Weg abbringt, was uns zum Ziel führt, passiert an der Ecke Schönhauser…“ Florian Pühs und Philipp Lippitz sind die Ecke Schönhauser. Nicht nur als Band, sie verkörpern das quasi. „Meine Begeisterung trägt deinen Namen.“ Frag jetzt bitte nicht nach dem Film von '57 oder Hintergründen, akzeptier das jetzt einfach mal, OK? Seit sechs beziehungsweise sieben Jahren leben die beiden dort. Für ein Interview mit VICE schaffen sie es dann doch mal aus ihrem Kiez raus. „Ich sprech' so gern vom Liebe machen, in einer kleinen Runde ohne Zwang.“ Und das beim Döneressen. Ist doch fast so romantisch wie ihre Musik. Oder wurdet ihr schon mal mit dem Attribut „nicht scheiße“ versehen?

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VICE: Ihr beschreibt eure Musik als Liebesprotestpunk. Eurer Angebeteten sagt ihr nicht, dass ihr sie mögt, sondern beschreibt sie als „endlich mal jemand, der nicht scheiße ist.“ Ist das die Poesie von heute?
Philipp Lippitz: Die Leute von heute trauen sich doch überhaupt nicht mehr, den anderen zu sagen, dass sie ihn gern haben, dass sie ihn lieben. Die finden das peinlich! Auch in vielen Songs kommt das überhaupt nicht rüber.
Florian Pühs: Ich glaube, ein Liebeslied zu schreiben ist vielen Bands zu doof. Bei denen wäre es dann eher so ein „Ich lieb dich“-Lied. Selbst Grönemeyers „Ich lieb dich so“ ist gleichzeitig eine Persiflage—im Deutschen klingt so was sofort danach. Alles ist immer sehr lieb. Wir hingegen wollten eine direkte Sprache finden. So wie es halt ist.

Habt ihr das wirklich mal zu jemandem gesagt?
FP: Die Geschichte dahinter ist die: unser guter Freund Christoph ist seit insgesamt 14 Jahren mit Judith zusammen, meiner absolut besten Freundin. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich sie liebe. Deswegen hab ich immer, wenn sie kam, gesagt: „Ach, endlich jemand, der nicht scheiße ist.“ Das war rein platonisch und ein freundschaftlicher Running Gag. Aber wenn man verliebt ist, ist es doch wirklich so: Man ist den ganzen Tag unterwegs, trifft Leute und findet die nicht so toll. Und dann kommt man nach Hause und da liegt jemand bei dir im Bett, der eben nicht scheiße ist.

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Sonst würdest du ihn kaum in dein Bett lassen. Also ist so ein Satz für euch romantisch?
FP: Ja, auf jeden Fall!
PL: Ich bin ein romantischer Typ, ich mach nur romantische Sachen.
FP: Da bin ich jetzt aber gespannt.
PL: Das sind ja nur so Kleinigkeiten. Es fängt bei Blumen mitbringen an. Oder einer Einladung zum Essen. Oder beim gemeinsamen Kochen.
FP: Ich bin zum Beispiel für meine Ex-Freundin nach Stockholm gezogen.

Hat Liebe nicht mal da eine Grenze?
FP: Bei mir nicht, ich würde alles machen. Aber man ist ja auch in jemanden verliebt, weil er deine Grenzen kennt.

Haben euch eure Exfreundinnen eigentlich inzwischen bei Facebook geliked?
FP: Ha ha. Ja, she likes it. Für meine Exfreundin ist es schon komisch, dass wir ein Album nur über sie machen. Ich hab dann aber argumentiert, dass es wahrscheinlich 500.000 Alben gibt, die für eine einzelne Frau geschrieben wurden. Da musste sie mir dann auch Recht geben.
PL: Am Anfang war alles schließlich nur ganz nett: ein Song, dann zwei weitere, ein Demo als Trost. Jetzt ist es auf einmal was Größeres mit Plattenfirma und Album. Meine Exfreundin war schon positiv eingestellt, allerdings auch ein bisschen verwirrt. Ich hab mit ihr aber auch schon länger nicht geredet, deswegen weiß ich nichts Genaueres über ihre Einstellung.

Also hättet ihr ohne Herzschmerz nicht zusammen gefunden?
PL: Hm. Na ja, Florian wohnte auf der Schönhauser, ich lebte mit meiner Freundin zusammen. Wir haben uns getrennt, bei Florian in der Wohnung wurde eine Zimmer frei. Ich bin dort eingezogen und wir saßen dann ständig zusammen angepisst auf der Couch rum. Fußball kam auch nicht immer. Daraufhin beschlossen wir, die negative Energie einfach in Songs umzuwandeln. Wir haben ja beide vorher in anderen Bands gespielt, von daher passte das gut.
FP: Eigentlich wollte ich überhaupt keine Musik mehr machen und hing die ganze Zeit nur bei Philipp in der Bar rum. Unsere Freundinnen hatten uns verlassen und wir haben deswegen ziemlich viel Blumfeld und Tocotronic gehört. Dann kam uns die Idee mit der Band und den Songs über unsere Ex-Freundinnen.

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Ihr habt jetzt hoffentlich nicht die ganze Zeit Liebeskummer. Gehen Ecke Schönhauser dann nicht bald die Themen aus?
FP: Textlich wird es irgendwann schwer, man will ja auch nicht 1000 Mal das Gleiche sagen. Ich finde aber, dass die Stimmung bei Liebeskummer anderen Stimmungen ganz ähnlich ist—diese gewisse Tristesse. Das kann Ärger mit Freunden sein oder dass man mal wieder zu viel getrunken hat. Eigentlich jedes Gefühl, das einen nachdenklich und melancholisch stimmt.
PL: Das jetzige Album dreht sich nur um die Ex, beim Zweiten werden es dann halt andere Themen.
FP: Vielleicht haben wir dann ja noch mehr Ex-Freundinnen?
PL: Oder sind frisch verliebt.

Es gibt bei euch diese Textzeile: „Was uns zum Ziel führt … “
FP: Die handelt von den letzten Jahren, in denen man an der Ecke Schönhauser eben auch mal falsche Entscheidungen getroffen hat. Du musst das so verstehen: Wir haben an der Ecke Schönhauser gewohnt, es beschreibt unseren Kiez. Ich hab mich nur dort bewegt und dementsprechend sind alle meiner Lebensentscheidungen direkt damit verbunden—die guten und die schlechten.
Trotz all der Erinnerungen und der Zeit, die ihr dort verbracht habt, sagt ihr aber auch: „Ich will genau so wenig hier sein wie vor 13 Jahren.“
FP: Na ja, das ist eigentlich nur so ein Pubertätslied, um ein bisschen überspitzt mit der geringen Lust aufs Leben umzugehen. Es geht darum, dass man noch immer so einen blöden, unreflektierten Frust auf die Welt hat wie als 13-Jähriger. Aber danach kommt ja auch gleich: „Und trotzdem schaff ich es, die Fassung zu bewahren.“ Das macht mich als erwachsenen Menschen aus, würde ich sagen: ich stehe jetzt über solche Dinge drüber.

Wart ihr früher denn so rebellisch unterwegs?
FP: Ich war als Pubertierender schon ein ziemlicher Idiot.
PL: Na, ich war ein ganz braver Junge.
FP: Ich war doch auch brav—dann wurde ich 14. Ich hab aufgehört, Fussball zu spielen und es ging ziemlich schnell bergab. Philipp hat halt Tennis gespielt, bis er 18 war und war immer ein Artiger. Die Kinder immer schön in den Sportverein stecken, ja ja!
PL: Mit der Jugend ist das immer so: du machst Sport, bis du 16, 17, 18 Jahre alt bist. Und dann irgendwann fängst du mit einem Musikinstrument an, Frauen kommen dazu, Alkohol auch.
Und dann ist alles gelaufen?
PL: Dann geht’s bergab!

Welch schönes Schlusswort.

Fotos: Christoph Voy