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Die Fremde ist der Tod

Gestern ist Bruno S. gestorben. Der Typ, der in Werner Herzogs Filmen Kaspar Hauser und Stroszek spielte. Danach hatte er kein einfaches Leben, er verbrachte es in einer kleinen Berliner Wohnung hier um die Ecke und hielt sich mit seiner Straßenmusik über Wasser. Es macht uns sehr traurig, dass durch seinen Tod nicht nur ein (Lebens)Künstler gestorben ist, sondern wieder mal ein Teil dessen, was man "altes Berlin" nennen kann. Wie unser Chefredakteur ihn kennenlernte und die Practice Space-Episode, die wir mit ihm drehten, könnt ihr hier sehen.

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Ich hörte Bruno S. zum ersten Mal in der Stadtklause spielen, einer kleinen Bar, die von harten Biertrinkern und Berliner Verrückten besucht wird. Es war wirklich nicht das, was ich erwartet hatte. Ich glaube, dass ich einfach nicht wusste, was ich von einem Typen zu erwarten hatte, der von seiner eigenen Familie verstoßen wurde, auf der Straße aufwuchs und schließlich aus dem Nirgendwo durch Werner Herzog zum Star in zweien seiner wichtigsten Filme gemacht wurde, bevor er daraufhin genauso schnell wieder in der Versenkung verschwand. Um ehrlich zu sein fühlte ich mich betrübt durch den Anblick eines Mannes, der in seinem Leben wahrscheinlich durch mehr gegangen ist, als der alltägliche tragische Held.

Wie dem auch sei, nachdem ich ihm zuhörte, wie er mir seine Lebensgeschichte erzählte, fand ich es nur passend, dass er seine Tage damit verbringt, an dem ihm seit 50 Jahren bekannten Straßenecken seiner alten Nachbarschaft Musik zu spielen. Natürlich gab es die „Herzog Jahre“, als er durch seine Rollen in Kaspar Hauser und Stroszek (noch immer hängen die Poster und die Filmklappen an den Wänden seiner schuhschachtelgroßen Wohnung) ins Scheinwerferlicht katapultiert wurde, bevor er wieder in sein früheres Leben als ausgestoßener Straßenmusikant zurückkehrte. Dieser plötzliche Aufstieg zum Ruhm hat ihn sichtlich härter gemacht und zu einem gewissen Grad weiter von dem, was von Menschen, denen fürs Schreiben zu viel bezahlt wird, pfiffigerweise "Normale Gesellschaft"‚ genannt wird, weggetrieben.

Brunos Wohnung selbst ist eine kleine Dreiraum-Bleibe. Eine Abstellkammer zur linken, eine weitere Abstellkammer zur rechten und eine Küche im hinteren Teil. Der gesamte Flur und die meisten Wände sind bedeckt mit Seltsamkeiten, die sich während eines Lebens auf der Straße angesammelt haben. Das Gespräch mit ihm ist beinahe so verschachtelt, wie das Interieur seiner Wohnung. Sein Redefluss ist bizarr und folgt keiner klaren Linie. Oft rutscht er ab und beginnt zu singen oder Poesie zu zitieren, etwas, das einem wie eine Art Schutzreflex vorkommt und einsetzt, sobald er zu tief in seine eigene Vergangenheit eintaucht. Trotzdem gab es während des Gesprächs Momente, in denen seine Augen mit dem Enthusiasmus und dem Optimismus seines jüngeren Ichs zu leuchten begannen, bevor ihn die Desillusionierung in die Einsamkeit trieb. Wie kitschig sich das auch anhören mag, aber es war ein besonderer Moment. Ich hoffe, dass die Sendung den Leuten ein besseres Bild davon gibt, wer dieser Typ ist, als irgendeine bescheuerte Dokumentation oder ein Interview mit Herzog es jemals könnte.

Falls ihr den Link oben versäumt habt, geht auf VBS.tv um euch den Beitrag anzusehen.