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Haben Sicherheitskräfte in Köln Flüchtlinge sexuell missbraucht?

Köln hat einen neuen Skandal, und wieder geht es um sexuelle Gewalt.
Alle Fotos: Felix Huesmann

Köln hat einen neuen Skandal, und wieder geht es um sexuelle Gewalt: Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes in einer Notunterkunft in Köln werden von Flüchtlingen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Auch weitere Vorwürfe, die in zwei offenen Briefen gegen die Betreiber der Einrichtung erhoben werden, wiegen schwer. Das sagen Flüchtlinge, Flüchtlingsunterstützer, Sicherheitsunternehmen, Stadt und Polizei zu den Vorwürfen:

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Welche Vorwürfe erheben die Flüchtlinge?

Die Vorwürfe, die die Flüchtlinge aus einer Notunterkunft im Kölner Stadtteil Humboldt-Gremberg am Mittwoch öffentlich gemacht haben, wiegen schwer. In zwei offenen Briefen, die sie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übergeben haben, beschuldigen sie Mitarbeiter des dort eingesetzten Sicherheitsdienstes unter anderem des sexuellen Missbrauchs. „Sie filmen Frauen beim Stillen, beim Duschen und nachts beim Schlafen. Sie ziehen Ehepaaren die Decke weg, wenn sie darunter nackt und intim sind. Sie zwingen Frauen mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr", heißt es dort. Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sollen Frauen außerdem angeboten haben, ihnen eine Wohnung zu besorgen—als Gegenleistung hätten sie Sex verlangt. Den Flüchtlingen gegenüber hätten sich diese Sicherheitsleute als „Mafia-Netzwerk" vorgestellt, heißt es in einem der Schreiben. Sie seien teilweise betrunken gewesen und hätten Bewohner beleidigt und bedroht.

Den mehr als 50 Flüchtlingen, die nach der Übergabe zweier offener Briefe am Mittwoch in Köln demonstriert haben, geht es aber auch um die generellen Zustände in der Unterkunft: Im zweiten offenen Brief prangern sie unter anderem fehlende Privatsphäre, unhygienische Zustände und mangelndes Essen an. In der umgenutzten Sporthalle wohnen etwa 200 Menschen auf engem Raum. Die Feldbetten, auf denen die Flüchtlinge schlafen, sind nicht durch Trennwände voneinander getrennt. Außerdem sei das Licht dort rund um die Uhr eingeschaltet.

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Die Flüchtlinge beklagen in ihrem offenen Brief auch, dass die medizinische Versorgung dort nicht sichergestellt würde. Schwerkranken würde der Gang zum Arzt verwehrt, auch Krankenwagen würden nicht gerufen.

Was sagen die Flüchtlingsunterstützer?

Mit den Flüchtlingen selbst zu sprechen, gestaltet sich am Tag nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe schwer. Journalisten und unangemeldete Besucher haben keinen Zutritt zum Gelände der Notunterkunft. Und die wenigen Flüchtlinge, die das Gelände zwischendurch verlassen, sprechen zumeist nur arabisch.

Im Nachbarstadtteil Kalk treffe ich mich darum mit Saskia (Name geändert), einer deutschen Flüchtlingsunterstützerin. Die junge Frau studiert Soziale Arbeit und hilft den Flüchtlingen aus der Sporthalle dabei, ihr Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen. „Freunde von mir haben vor einer Weile Flyer verteilt, mit dem Motto ‚Nobody chooses to be a refugee'. Da sind die mit einem Bewohner des Lagers in Kontakt gekommen", erzählt sie. „Der hat dann letzte Woche Freitag angerufen und meinte, kommt mal hier hin, das ist total wichtig."

Die Sporthalle beherbergt 200 Flüchtlinge

Als sie an der Sporthalle ankamen, sagt Saskia, waren gerade etwa 100 Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten, um gegen die Situation in der Unterkunft zu protestieren. Die Flüchtlinge hätten diesen Schritt am Tag davor in einer großen Versammlung beschlossen. Sie hätten ihr erzählt, dass sie dafür von den Mitarbeitern der Unterkunft ausgelacht worden seien, sagt Saskia. „Erst danach haben wir uns dann abends mit Sprechern der Geflüchteten zusammengesetzt und mit ihnen gemeinsam angefangen, einen offenen Brief zu schreiben. In diesem Gespräch haben die Leute dann auch angefangen zu erzählen, dass es in dem Lager sexuellen Missbrauch gibt."

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Bis die Flüchtlinge sich getraut hätten, darüber zu reden, erzählt Saskia, habe es eine Weile gedauert. „Das muss man sich auch mal vorstellen, wie schwer es ist, über sowas zu reden, selbst wenn man nicht selbst direkt betroffen ist, wenn es vielleicht um die Tochter geht", sagt sie. Den offenen Brief, in dem sie den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes sexuelle Übergriffe vorwerfen, hätten betroffene Frauen gemeinsam mit deutschen Unterstützerinnen geschrieben, auf Deutsch und Arabisch. Saskia und ihre Mitstreiter wollen vor allem den Frauen jetzt einen geschützten Raum bieten, damit sie sich austauschen und organisieren können. Das Ziel der Flüchtlinge: „Die wollen vor allem aus der Unterkunft raus! Bislang wurde ja nichtmal der Sicherheitsdienst ausgetauscht", sagt Saskia.

Was sagt das Sicherheitsunternehmen?

Auf eine schriftliche Anfrage von VICE hat das in der Notunterkunft eingesetzte Sicherheitsunternehmen am Donnerstag nicht geantwortet. Dem Kölner Stadtanzeiger sagte der zuständige Projektmanager des Unternehmens allerdings bereits am Mittwoch: „Ich bin entsetzt über die Vorwürfe. Ich bin mir sicher, dass sie völlig haltlos sind."

Was sagt die Polizei?

Als die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs am Mittwoch bekannt wurden, hat die Polizei recht schnell ihre Ermittlungen begonnen. Dazu habe man eine Ermittlungsgruppe gebildet, sagt ein Sprecher der Behörde. „Die besteht aus erfahrenen Beamten und vor allem Beamtinnen, die sich auch sonst mit Sexualdelikten beschäftigen." Am Mittwoch hat die Polizei begonnen, die Frauen in der Notunterkunft zu befragen.

Bis Donnerstagnachmittag habe man etwa 50 Frauen vernommen, wegen der benötigten Übersetzer für die diversen Sprachen sei das gar nicht so einfach gewesen. Bislang hat sich noch keine der befragten Frauen der Polizei gegenüber als Betroffene zu erkennen gegeben. Das müsse aber nicht unbedingt etwas bedeuten, und bei so schweren Vorwürfen ermittle man selbstverständlich noch weiter, heißt es bei der Polizei Köln. Dass sich keine der Frauen der Polizei gegenüber als Betroffene zu erkennen gegeben hat, führt Flüchtlingsunterstützerin Saskia auch auf das Umfeld der Befragungen zurück: „Wenn währenddessen die selben Sicherheitsleute in dem Lager rumlaufen, ist das ja kein Wunder", sagt sie. Außerdem hätten Flüchtlinge berichtet, dass bei einem Teil der Befragungen das Personal der Unterkunft als Übersetzer gedient hätte—und denen würden sie nicht vertrauen.

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Was sagen die Betreiber der Unterkunft?

Für die Unterbringung der Flüchtlinge ist die Stadt Köln zuständig. Betrieben wird die Notunterkunft im Auftrag der Stadt vom Deutschen Roten Kreuz. Das Kölner Rote Kreuz hat eine schriftliche Anfrage von VICE zu den geäußerten Vorwürfen bislang nicht beantwortet. Die Stadt Köln hat am Donnerstag aber in einer vierseitigen Presseerklärung ausführlich Stellung genommen.

Mit dem eingesetzten Sicherheitsunternehmen arbeite die Stadt gut zusammen, heißt es. Das Unternehmen verfüge über hohe Standards und eine entsprechende „DIN-Zertifizierung". Die Mitarbeiter würden sogar mit Antirassismus-Trainings geschult und regelmäßig von „mobilen Bereichsleitern" kontrolliert.

Auch zu den anderen Vorwürfen nimmt die Stadt Stellung: So könne man aus Brandschutzgründen keine Trennwände für eine bessere Privatsphäre aufstellen. Duschvorhänge in den geschlechtergetrennten Gemeinschaftsduschen der Sporthalle anzubringen, sei aus baulichen Gründen nicht möglich.

Während die Flüchtlinge in ihren Schreiben berichten, es gebe zum Frühstück und Abendessen meist lediglich altes Toast, Butter und Nutella, zum Mittagessen zu wenig Suppe mit halbgarem Reis, schreibt die Stadt in ihrer Pressemitteilung von reichhaltigem Essen, das ein Caterer zur Verfügung stelle. Auch die gesundheitliche Versorgung, so die Stadt, sei hinreichend sichergestellt. Vorwürfe bezüglich einer mangelnden hygienischen Situation weist die Stadt ebenfalls zurück.

Während die Ermittlungen der Polizei andauern und auch die Stadt trotz ihrer eindeutigen Stellungnahme eine interne Prüfung und „konsequente und lückenlose Aufklärung" ankündigt, scheint bislang unklar, was tatsächlich vorgefallen ist. Auf der einen Seite steht ein direktes Dementi des Sicherheitsunternehmens und der Stadt Köln. Auf der anderen Seite stehen mehr als 50 Flüchtlinge, die ihren Protest auf die Straße tragen und offene Briefe verfassen. Die Flüchtlinge und ihre Unterstützer wollen mit diesem Protest so schnell auch nicht aufhören. Für Samstag kündigen sie eine weitere Demonstration in der Kölner Innenstadt an. Auch ein langfristiger Protest in der Öffentlichkeit steht im Raum.