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Vice Blog

Pfeilgiftfrösche im Keller

In Deutschland kann dir kaum was passieren: Die meisten Autos halten bei Rot und im Baggersee nähert sich dir auch nicht gleich ein Hammerhai, wenn deine Schnittwunde vom Zwiebelschneiden noch nicht ganz heile ist. Doch Bernd und Renate Pieper bringen ein bisschen mehr Thrill in den deutschen Alltag: In ihrem Münsteraner Keller haust eine Schar von Pfeilgiftfröschen (Dendrobatidae).Manche kolumbianische Indianer benutzen deren Gift immer noch für die Präparierung ihrer Pfeilspitzen. Ein Gegengift ist bislang nicht bekannt. Wenn du das Zeug abbekommst, tritt zunächst die Lähmung deiner Muskeln und deiner Atmung ein, nach etwa 20 Minuten fährt deine Seele gen Himmel. Da bist du baff. Den Piepers ist das aber egal, auch ihre Enkel dürfen umstandslos zu Besuch kommen. Rufen wir mal an.

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Vice: Herr Pieper, warum züchten Sie Pfeilgiftfrösche?

Bernd Pieper: Schon als kleiner Junge bin ich öfter mit Freunden rumgezogen und habe Frösche gesammelt, Salamander und solche Tiere. Das Spannendste war für mich damals wie heute die Metamorphose der Kaulquappen, die Verwandlung eines Wassertiers in ein Landtier in nur wenigen Tagen. Das ist wie die Evolution, nur kleiner und viel schneller. Die Evolution selbst hat ja Millionen von Jahren gebraucht, bis diese wunderschöne Welt entstanden ist. Nun ist der Mensch dabei, sie ganz schnell wieder kaputt zu machen.

Und jetzt halten Sie die Frösche im Keller?

Ja, eine ganze Zeit später erfuhr ich, dass ein paar Arten der Pfeilgiftfrösche bedroht sind und dass man sie in Deutschland züchten kann. Das war natürlich perfekt für mich. Da habe ich in drei Kellerräume eine Vielzahl kleiner Terrarien gebaut und züchte die Tiere seitdem. Im Terrarium erzeuge ich ein tropisches Klima: Es gibt eine Nebelanlage, der Regen läuft automatisch, auch die Temperatur und das Licht kann man natürlich einstellen.

Pfeilgiftfrosch-Terrarien im Keller der Piepers.

Wie viele Frösche haben Sie denn?

So um die 300.

Wow. Einige der Pfeilgiftfrosch-Arten sind selten geworden, habe ich gehört. Tierschutzorganisationen haben versucht, ein paar wieder in freie Wildbahn zu bringen. Woran ist das gescheitert?

Erstmal: Man darf die Frösche unter strengen Auflagen zur Zucht von Südamerika nach Deutschland importieren. Zurückschicken ist schwieriger, weil die Länder sie nicht aufnehmen wollen. Das ist schade, denn einige Arten sind sehr bedroht. Vom Azurblauen Baumsteiger gibt es in freier Wildbahn vielleicht noch 1000-1500. Da bin ich mir sicher, dass ein Vielfaches von denen in Züchtungen lebt. Nun, die südamerikanischen Länder schicken die Frösche dann wieder zurück und in Deutschland werden sie zwischen Zoos und privaten Züchtern verteilt. Ein Teil meiner Zucht besteht aus solchen Zurückweisungen. Naja, und wenn die Tiere zu lange in Gefangenschaft gelebt haben, kommen sie eh nicht mehr in der Wildnis zurecht.

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Besitzen Sie diesen blauen Frosch denn auch?

Ja. Das ist ja gerade das Schöne an diesen Pfeilgiftfröschen, die gibt es in allen möglichen Farben.

Ein Azurblauer Baumsteiger auf einer Paranuss. Schau genau hin, vielleicht siehst du ihn nie wieder.

Ist Ihnen schon mal einer ausgebüchst?

Klar, das passiert schon mal. Da muss ich dann ein feuchtes Handtuch auf den Boden legen, dort sammeln sich die Tiere dann. Sie mögen es, wenn es feucht ist. Sonst spüren sie aber eigentlich, dass der Lebensraum um sie herum ungünstig für sie ist. Selbst wenn ich das Terrarium öffnen würde, würden sie nicht aus ihrem tropischen Klima abhauen.

Wie füttern Sie die Tiere?

Zum Frühstück essen sie jeden Morgen ihre eigene Haut, die sie abstreifen wie einen Schlafanzug. Darüber hinaus macht die Hälfte meiner Froschzucht die Züchtung der Nahrung aus. Das sind Kleinstinsekten wie Fruchtfliegen, aber auch Kellerasseln, die in Dosen, Eimern oder auch großen Plastikboxen heranwachsen.

Ein Dendrobates duellmani - sehr fotogen.

Da gibt es doch sicher spezielle Öffnungen zum Füttern der Frösche.

Das ist eigentlich nicht das Problem. In der Familie der Pfeilgiftfrösche ist nämlich nur eine einzige Froschart benannt, die wirklich giftig ist, das ist der Schreckliche Blattsteiger. Die anderen Frösche produzieren wenig bis gar kein Gift. Das Gift selbst hat eine ähnliche Wirkung wie Nikotin, es lähmt das Nervensystem. Man vermutet, dass die Frösche sich damit vor Bakterien- und Pilzbefall im Regenwald schützen. Da es so stark ist, können sie aber selbst Warmblüter damit töten, die Indianer verwenden es ja immer noch für die Jagd. In Gefangenschaft wird das Gift allerdings nicht produziert, da die Frösche dazu eine spezielle Milbenart und andere Kleintiere fressen müssen. Wenn sie die nicht bekommen, verfällt langsam die Wirkung des Hautgifts. Beim Füttern sind die Frösche auch ganz zahm. Sie kommen näher als normale Haustiere, wenn sie merken, dass es gleich Futter gibt. Außerdem werden sie leicht mehr als zehn Jahre alt, einige sogar über 15.

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Bernd Pieper am Amazonas - vertieft in ein Gespräch mit einem Tapir.

Oh, das ist ja länger als ein Hund!

(lacht) Ja.

Ich habe gehört, dass diese Tiere ein sehr lautes Balzverhalten haben. Können Sie dann überhaupt schlafen mit drei Zimmern voller Pfeilgiftfröschen im Keller?

Ein paar Arten sind sehr laut, das stimmt schon. Allerdings haben wir unser Schlafzimmer ein paar Stockwerke über dem Keller, da bekommt man von alledem nichts mit. Wenn ich mein Wohnzimmer neben den Fröschen hätte, wäre das nervtötend, wenn es morgens um vier losgeht, dass sie ihre erotisierenden Laute von sich geben. Am interessantesten ist aber die Brut.

Erzählen Sie!

Das Weibchen legt nur wenige Eier, bis zu 15 etwa, und das möglichst versteckt, zum Beispiel unter Nussschalen. Das Männchen befruchtet das Gelege, bewacht es und versorgt es mit Wasser. Nachdem die Quappen zwei Wochen später geschlüpft sind, trägt das Männchen sie zu kleinen Pfützen oder wassergefüllten Baumhöhlen, wo die Metamorphose zum Ende kommt.

Noch ein schöner Frosch: Der Fantastische Baumsteiger. Manche Tiere haben Namen wie Könige.

Fotos von Bernd und Renate Pieper. Danke!