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Vice Blog

Schnaps, pupsen und Torte futtern

Als kleines Kind auf Familienfeiern beobachtete ich immer verwundert, und später dann irgendwann bewundernd, in welche einen Tempo die schon etwas morscheren Äste meines Familienstammbaumes die Schnapsgläser leerten, und wie viel...

Als kleines Kind auf Familienfeiern beobachtete ich immer verwundert, und später dann irgendwann bewundernd, in welche einen Tempo die schon etwas morscheren Äste meines Familienstammbaumes die Schnapsgläser leerten, und wie viel Spaß sie im Gegenteil zum arbeitenden oder studierenden Teil der Familie hatten. Sie quälten sich nicht mehr mit Konferenzen, Meetings oder Klausuren. Deshalb habe ich einen Sonntagnachmittag in einem Alters-und Pflegeheim verbracht, um zu sehen ob es sich lohnt alt zu werden, oder ob man sich doch lieber schon mit spätestens 50 die Kugel geben sollte. Beim ersten Gang durchs Altersheim fühle ich mich wie der große Schwarze in „The Green Mile“. Ich habe zwar die gleiche Hautfarbe wie alle die mich beobachten und mache auch nicht den Eindruck als könnte ich sie, würde ich nicht gerade lieber Mäuse streicheln, platt machen können, außerdem hoffe ich inständig darauf, dass mein Auftreten nicht vermuten lässt, dass ich in der Lage wäre zwei Farmerstöchter zu vergewaltigen, aber auffallen tue ich. Ich weiß nicht woran es liegt, es müssten doch ständig Enkel und ähnliches hier zu Besuch vorbeikommen, wenn nicht für die Vorfahren dann doch wenigstens für den hervorragenden Kuchen.

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Nachdem mich die Krankenpflegerin freundliche begrüßt haben, scheinen auch die Bewohner des Seniorenheims mich freundlichen in ihrem Kreis aufnehmen zu wollen. Die Pflegerin ist wohl sowas wie deren Ganganführerin, wenn sie eine Person abgecheckt hat und für cool befunden hat, können sich auch die Bewohner dieser Person gegenüber unbesorgt öffnen. Ich frage mich ob ich diese Leute mit meinem Erscheinen während ihrem Frühstück einfach nur in ihrem Morgenritual störe, oder ob sie mich alle so prüfend anstarren weil jeder hofft nicht seinen Enkel wegen dieser verdammten Demenz zum wiederholten Male nicht wieder erkennen zu können.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Oma die sich gerade als die Pflegerin nicht hinguckt, ihr Brötchen komplett aushöhlt um es mit der Hälfte des Diät Marmelade Glases zu füllen, sich wünscht ich wäre ihre Enkelin, am besten so eine die ihr heimlich richtige Süßigkeiten ins Heim schmuggelt damit sie nicht immer diese widerlichen Diätplätzchen naschen muss. Einer der Opis wünscht sich wohl offensichtlich nicht das ich seine Enkelin wäre er guckt fragend auf meine Leggins und meckert im schönsten Hessisch: „ Se ham vergässe ihre Hos anzuziehe“.

Wie seltsam ist es denn eigentlich bitte, das Senioren NIE, aber wirklich nie Dialekt frei reden. Meist Hessisch, Kölsch oder pfälzerisch. So wie wir Wörter wie „fucking“, „cool“ und „Understatement“ in unseren Wortschatz aufgenommen haben, einfach um cool und lässig ein fucking Understatement abgeben zu können, haben sich die Rentner vielleicht darauf verständigt, sich als individuelle Gruppe der Gesellschaft abzukapseln und nur noch in Dialekten zu reden. Wenn mir die Titten mal über den Trainingshosenbund hängen, werde ich nur noch saarländische reden. Das ist so schön langsam und bringt Leute schnell zum ausrasten.

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Das Vorurteil, dass alte Menschen langsam seien, bestätigt sich nur bedingt. Wenn die Pflegerin nicht schnell genug herbeieilt um das Brötchen kleiner zu schneiden, den Stuhl zu Recht zu rücken oder sonstiges zu tun wird laut vor sich hingeflucht.

Weil ich so charmant bin und ich sie an Klara, Natascha, Elisabeth, Anna, und weitere wahllose Frauennamen erinnere, sogar dabei sein, wie sich eine alte Dame für den Kaffee aufhübscht. I

Ich würde ja sagen “sich aufstylt“ aber ich finde das „aufstylen“ ein seltsames Verb in Verbindung mit 4711, und Wundschutzcreme ist. Ein bisschen sitzt sie vor ihrem Spiegel und wirkt wie eine 14 jährige die sich für die Großraumdisko aufbrezelt um von einem Typen aus der Klasse über ihr entjungfert zu werden.

Die alte Dame wird heute nicht entjungfert. Unweigerlich kommt mir die Frage in den Sinn, wie das eigentlich ist wenn sich zwei Heimbewohner ineinander verlieben, haben die dann auch Sex, geht das noch? Ist das ohne Zähne und mit künstlichem Hüftgelenk vielleicht sogar viel besser? Während ich also gerade dabei bin, mir zu überlegen wie ich mit einer alte Dame die mich mit „Fräulein“ anspricht übers Ficken reden kann, steht sie auf und bietet mir ein Karamellbonbon an. Von diesem Moment an bin ich überzeugt davon, dass all die Kinder die uns aus den überall im Raum befindlichen Bilderrahmen angrinsen durch unbefleckte Empfängnis entstanden sind.

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Nach dem Frühstück haben die Senioren/ Rentner / Heimbewohner/ Pflegebedürftigen- irgendwie hört sich da jedes Wort abfällig an, die Wahl zwischen Kaffee und Kuchen für alle Geburtstagsrentner des Monats Mai im kleinen Café im Erdgeschoss des Hauses , oder Marmelade kochen mit dem Pflegepersonal in regulären Essensbereich. Ich habe Hunger und geselle mich zu den Geburtstags- Feiernden.

hier werden gerade Geburtstagsrentner besungen.

Durch den Ortswechsel erhoffe ich mir, aus dieser, trotz liebevoll gestalteten Fensterbilder und saisonalen Dekorationen, doch irgendwie nach Tod riechenden Luft heraus zu kommen. Im Café riecht es nicht nach Tod. Hier riecht es nach Bienenstich, Filterkaffe und Kaffesahne. Der Kaffetisch besticht durch akkurat gedeckten Tisch, und mehreren Torten. Ich mag dieses maßlose Essen bei alten Leuten, da sitzt eine Generation die noch nicht von Schönheitsideal versaut worden sind, und sich beherzt die Schlagsahne auf das zweite oder dritte Stück mit Buttercreme gefüllten Frankfurter Kranz löffeln.

Mir wird auch alle zwei Minuten nach geschenkt und geladen, da ja an mir „jede Buxe runner ruschd“. Und was alte Leute, demnach also Menschen mit vielen Erfahrungen sagen, beschließe ich nicht anzuzweifeln, diese Menschen hängen hier schon seit 423 Jahren rum, da werden die schon wissen wie es zu laufen hat. Verraten wollen sie es mir aber anscheinend doch nicht, beim Essen schmatzen alle vergnügt vor sich hin, und lassen hier und da mal ein feuchtes halbgekautes Stückchen aus dem Mund fallen- macht ja nichts- schmeckt auch noch beim zweiten Kauen. Eine Frau die nichts aus ihrem Mund fallen lässt, aber mit einer Engelsgeduld immer wieder die Kuchenbatzen ihres Mannes von seinem Hemd, Teller, Platzdeckchen aufsammelt und ihn erneut füttert, fällt mir besonders auf, und fast möchte ich ein bisschen weinen, weil das so scheiß romantisch ist, wie die alte Dame in karobundfalten Hose ihrem Mann immer wieder liebevoll den Kaffe aus den Mundwinkeln wischt. Scheiß auf dieses ganzen Hollywood Mist. Romantik findet nicht bei zwei weinenden Leuten am Flughafen Gate, bei einer prostituierten Julia Roberts, oder in einem mit Rosenblättern bestreuten und mit Kerzenlicht beschienen Bett statt, Romantik ist, wenn du nach 200 Ehejahren den anderen Fütterst und dich nicht vor unkontrollierten Fürzen und Sabbern ekelst.

Nach dem Essen kommt der Schnaps auf den Tisch. Und der geht gut runter. Auch um zwei Uhr nachmittags. Die Heimbewohner selbst dürfen zwar meist nichts trinken, aber Verwandte, die ohne Probleme auch an der am Eingang plakativ beworbenen Ü80 Party teilnehmen könnten, sich aber noch alleine auf Toilette setzen können und sinngemäße (wenn auch oft ausschweifende) Sätze von sich geben, schenken sich fröhlich nach.

Dann wird auch noch gesungen. Und zwar so wie einst Janis Joplin ihr „Piece of my Heart“. Unmelodisch, brechend, einige nicht nur nicht getroffene, sondern komplett übergangenen Töne und vor allem laut und aus vollem Herzen. Vielleicht sind das hier doch alles ziemlich krasse Typen. Mein Nachmittag im Seniorenheim war jedenfalls etwas mit dem ich mich eventuell anfreunden könnte, und vielleicht sogar darauf hinarbeiten wollen würde. Es mag sich idealistisch anhören, aber diese Leute haben es echt alles recht gut geschissen gekriegt. Genau genommen sind sie so wie wir immer sein möchten. Ihnen ist alles scheiß egal, sie passen sich keinen Erwartungen oder Gesellschaftlichen Druck an. Futtern Torte ohne auf die Figur zu achten, trinken Schnaps nach dem Essen, oder auch keinen weil „dit mittm magen nit so läufdt“, aber im jeden Fall nicht weil andere auch trinken, und es ja sonst langweilig wird. Gut, vielleicht brauchen sie auch nicht so viel Umdrehungen wie wir, da sie eh den ganzen Tag von sämtlichen Schmerz- und Rheuma Tabletten high sind, aber ich war lange in keiner Gruppe unterwegs die sich gemeinsam hinsetzt, sich unterhält, futtert, nicht übereinander urteilt und gemeinsam aus vollem Herzen singt.

Hört sich das nicht fabelhaft an? Noch ein paar Jahre müssen wir durchhalten bis wir das Hippie Rentnerleben führen können, um dann schamlos den Körper das machen zu lassen wonach er halt gerade das Bedürfnis verspürt, sich nicht vom sozialen Gefüge einengen lassen, und es eh schon zu spät ist dafür ist sich mit finanziellen, beruflichen, existenziellen, sexuellen Sorgen herum zu ärgern, und man statt dessen lieber Torte futtert, einen Magenbitter hinterher kippt und die Mundorgel rauf und runter grölt.