Brennende Autoreifen, Scheißebeutel und 500 Festnahmen: Mittendrin in den Anti-AfD-Protesten von Stuttgart
Alle Fotos: Max Marquardt

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Brennende Autoreifen, Scheißebeutel und 500 Festnahmen: Mittendrin in den Anti-AfD-Protesten von Stuttgart

Polizei und Gegendemonstranten traten am Samstag zum ultimativen Kräftemessen an—und wir haben epische Fotos davon.

Die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Parteitag der AfD—das deutsche Pendant zur FPÖ—kamen fast an die vom letzten G7-Gipfel heran: Auf einen Demonstranten kamen drei Polizisten. Da man Gegendemonstrationen im großen Stil befürchtet hatte, schützte ein beeindruckendes Großaufgebot von über 1.000 Polizisten die Versammlung der Alternative für Deutschland am Samstag im Stuttgarter Messezentrum.

Bereits am frühen Morgen kreisten Helikopter über dem Veranstaltungsort, zahlreiche Wasserwerfer und berittene Einsatzkräfte wurden rund um das Gelände positioniert. Der weitläufige Vorplatz der Kongresshalle und die Messepiazza wurden komplett eingezäunt, selbst Nato-Draht kam vereinzelt zum Einsatz.

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Gegen den AfD-Bundesparteitag hatten zahlreiche linke und linksautonome Gruppen zum Widerstand aufgerufen. Ebenso wurde ein Aktionsbündnis auf die Beine gestellt. Über Facebook und diverse Foren wurden im Vorfeld Aktionen geplant und Demonstrationen angemeldet. Aus ganz Deutschland wurden ganze Busladungen an Gegendemonstranten mobilisiert, um den Parteitag der Rechten möglichst nachhaltig zu stören. Hierfür waren gleich mehrere Demos geplant: Ab 7 Uhr Mahnwachen vor dem Bosch-Parkhaus in unmittelbarer Nähe zum Parteitagsgelände, um 10 Uhr eine Großkundgebung auf dem Fernbusbahnhof und ab 13 Uhr eine Großdemo durch die Innenstadt.

Um 6:30 Uhr kamen die ersten Busse der AfD-Gegner am Messezentrum an, welches unmittelbar am Flughafen Stuttgarts liegt. Kaum hatten sich die Bustüren geöffnet, sprinteten zahlreiche, zumeist schwarz vermummte Demonstranten aus den Bussen in Richtung eines nahegelegenen Kreisverkehrs. Ziel der Demonstranten war es, sämtliche Zufahrtsstraßen in Richtung Stuttgarter Flughafen/Messe zu blockieren, um die Anfahrt der geladenen Gäste und Politiker zu verzögern oder gar zu verhindern.

Auch an anderen Orten rund um den Veranstaltungsort spielten sich ähnliche Szenen ab. Die linksautonomen Gruppen schienen sich im Vorfeld gut organisiert und alles strategisch geplant zu haben. Unter der Deckung von Rauchkörpern und Transparenten wurden hastig erste Straßensperren errichtet und Kessel gebildet.

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Die Polizei ging zuerst zögerlich gegen die Demonstranten vor. Als erneut eine bereits geräumte Straßensperre von den Linken aufgebaut wurde, griff die Polizei allerdings mit Tränengas durch. Ein Wasserwerfer rangierte kurze Zeit später als Unterstützung auf dem genehmigten Demonstrationsplatz. Die Demonstranten zogen sich nach diesem Anblick zögerlich auf den ihnen zugewiesenen Demonstrationsplatz zurück.

Der Kreisverkehr vor der Messehalle war dennoch für fast eine Stunde in alle Richtungen komplett abgeriegelt, es bildete sich bereits ein erster Stau, ganz zum Leidwesen vieler AfD-Delegierten, die mit erheblichen Verspätungen am Messegelände ankamen.

Auch nördlich des Parteitagsgeländes fanden zahlreiche Blockierungsaktionen statt. Mehrere hundert Demonstranten versuchten, sich durch die schwäbische Fauna und Flora zu kämpfen, um die nahegelegene A8 zu erreichen. Trotz eines schnellen Durchgreifens der Polizei schafften es mehrere Aktivisten über die Leitplanken der Autobahn und errichteten dort eine Straßensperre aus brennenden Autoreifen. Es bildete sich ein kilometerlanger Stau.

Hatten die Polizeikräfte am Bosch-Parkhaus noch eher zurückhaltend agiert, gingen die Sicherheitskräfte jetzt mit voller Härte gegen die Demonstranten vor. Mit schwingenden Knüppeln und Tränengaspistolen wurde versucht, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen.

Auch drei Fotojournalisten, die das Spektakel an der Autobahn dokumentieren wollten, wurden kurzerhand festgenommen und danach in der Gefangenensammelstelle den ganzen Tag über festgehalten. Ihre Ausrüstung wurde über diesen Zeitraum konfisziert. Dieses Vorgehen wurde inzwischen auch scharf von der Deutschen Journalisten-Union verurteilt. Da die Journalisten mit Kabelbindern gefesselt in Einzelzellen und unverhältnismäßig lange Zeit untergebracht wurden, wird nun die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens überprüft. Cornelia Haß, die Bundesgeschäftsführerin der DJU, kommentiere diese Vorfall als "lächerlich" und "skandalös."

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Am Haupteingang des Parteitagsgebäudes spielten sich in der Zwischenzeit skurrile Szenen ab. Sichtlich frustrierte AfD-Delegierte weigerten sich, am Eingang ihren Personalausweis den Polizisten zu zeigen. Es entbrannten zahlreiche Diskussionen über den generellen Sinn des Vorzeigens von Ausweisen, vereinzelt hörte man die üblichen BRD-GmbH-Verschwörungstheorien.

Rund um den Eingang auf der Messepiazza vor dem Tagungsgebäude traktierten Gegendemonstranten die AfDler mit "Haut ab"-Rufen und anderen Beschimpfungen. Ein frisch angereister AfD-Delegierter entgegnete mit den Rufen "Nazis raus, Nazis raus!".

Auch ein kleines Kontingent der Partei Die Partei hatte einen Klappstand aufgebaut. Sie begrüßten die angereisten Delegierten der AfD nicht mit Diffamierungen, sondern boten den Neuankömmlingen ihre mitgebrachte Torte an—ganz in den Farben der AfD gehalten. Als tatsächlich zwei AfD-Wähler mit hungrigem Grinsen auf den Stand zuliefen, um etwas von der leckeren Torte zu probieren, wurden sie jedoch im letzten Moment von einem Parteimitglied zurückgerufen.

Eine ARD-Korrespondentin wartete mit ihrem Rollköfferchen an der Eingangsschleuse zum Tagungsgebäude. Dort wurde ihr der Zugang verwehrt, da sie immer noch auf "die Akkreditierung aus der Redaktion" wartete. "Haben Sie denn überhaupt 'nen Presseausweis?", fragte einer der AfD-Ordner mit mokantem Lächeln. Daraufhin folgte ein herrlicher Nonsens-Dialog in Slapstick-Manier. Korrespondentin: "Den habe ich nicht dabei." AfD-Ordner: "Wie, den haben Sie nicht dabei?" Daraufhin zog die Journalistin an ihrer Zigarette und blies den Rauch über den Kopf des Ordners. "Ja, nicht dabei halt." Rock'n'Roll-Journalismus gibt es also auch bei der ARD.

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Nach den heftigen Protesten des Vormittags kehrte gegen Mittag rund um das Tagungsgelände etwas Ruhe ein. Die Wasserwerfer der Polizei standen zwar nach wie vor drohend auf den Straßen, allerdings passierte außer ein paar kleinen Handgreiflichkeiten nicht mehr sonderlich viel. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei jedoch mehr als 500 Demonstranten in Gewahrsam genommen—wohl auch, um möglicherweise Ausschreitungen in der Innenstadt Stuttgarts im Keim zu ersticken.

Gegen 13:00 Uhr wurde die Demonstration dann in die Innenstadt verlagert, knapp 2.000 Menschen demonstrierten zuerst friedlich. Beim Aufzug über den Cityring Stuttgarts behinderte der Demo-Zug aber wieder massiv den Verkehr. Nach einer Zwischenkundgebung am Rotebühlplatz bewegte sich der Zug in Richtung Bahnhof zurück.

Kurz vor der Abschlusskundgebung wurden erneut bengalische Feuer und Rauchbomben gezündet. Ebenso flogen diverse mit Kot gefüllte Beutel in Richtung der Polizisten. Dies sorgte für großes Gelächter und Heiterkeit bei den Demonstranten. Mit einer großen Abschlussrede war um 16:30 Uhr Schicht im Schacht, die Demonstration löste sich langsam auf.

Ein Passant, der sich die Kundgebung am Bahnhofsvorplatz aus sicherer Entfernung angesehen hatte, kommentierte die Gegendemonstrationen schließlich resümierend: „Isch gut so, der Herrgott hat uns das Maul nicht bloß zum Essen gegeben."

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