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Neues von der Familie Wucher

Zürich wird, ähnlich aber nicht gleich wie Bern, seit einigen Jahren von einer Bedürfniswelle überflutet, die sich an Wohnungsraum und Raum zur kommerzfreien, kulturellen Entfaltung richtet.

Die Wohnungen sind zu teuer und es gibt zu wenige davon. Das würde wohl jeder, der jemals in Zürich eine Wohnung gesucht hat, ohne Weiteres unterschreiben. Wahrscheinlich in Grossbuchstaben, mit einer Zeichnung und Daumenabdruck. Lustige Witze wenn man mit Freuden aus den angrenzenden EU-Staaten abhängt, gehen oft in die Richtung von: „Meine Miete ist dein Monatslohn" und so ist es dann ab 3-4 Zimmern aufwärts auch wirklich. 50 Cent hätte eines seiner Mist-Alben auch „get an Apartment in Zurich or die trying" nennen können, er wäre realer rübergekommen.

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Gleichzeitig hat Zürich ein enormes Angebot an Freizeitmöglichkeiten, Tennisvereine, Kinos, Spielhallen, Casinos, Bars, Clubs und dergleichen. Die kosten aber auch alle und das nicht zu knapp. Jetzt wäre es natürlich sinnvoll wenn diese (für alle Interessierten relativ offensichtliche) Situation einer Gegenentwicklung zugeführt würde, z.B dass Wohnungen und Eintritte in bestimmten Gebieten billiger würden oder wenigstens stagnierten. Tun sie aber nicht, vielmehr wird „aufgewertet" wo es geht und was das Zeug hält. Dieser Prozess mag auch seine Vorteile haben, für Personen die jeweils „oberer Mittelstand" bei Telefonumfragen angeben, doch die entgehen der Familie Wucher durchwegs.

So sind diverse Bevölkerungsgruppen von diesen Prozessen der Aufwertung in verschiedenen Beziehungen betroffen. Angefangen beim durchschnittlichen Philosophie-Studenten über die ganzen Linksextremen und Autonomen verschiedenster Couleur, den Massen an Künstlern VOR dem Durchbruch, bis hin zu der Familie Füglistaller aus dem Kreis Vier mit zwei halben Einkommen und Nachwuchs.

Also sind wir, nachdem wir mitbekommen hatten, dass dort ein Gebiet besetzt worden war, nach Altstetten an die Rautistrasse gefahren. Dort haben uns Max und Moritz (ja, die Namen sind von der Redaktion geändert) ein Bisschen in ihrer neuen Bleibe herumgeführt und uns erzählt, worum es denn bei ihrer Splittergruppe so geht und was sie mit dem neu eroberten Gebiet vorhaben.

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In den ersten paar Minuten hat uns Moritz schon ein Communiqué in die Hand gedrückt auf dem ihre Absichten mitgeteilt werden. Kurz zusammengefasst stand da:

„Ja, wir haben dieses Gebäude besetzt und es gehört der UBS. Die Grossbank will das Gebäude noch diesen Monat abreißen obwohl sie noch keinen Plan für ein neues Projekt haben. Also wird hier, in der Stadt der Wohnungsnot, Wohnraum vollkommen grundlos geplättet. Was nachher auf dem Areal geschehen soll, steht noch nicht fest." Laut den Besetzern wurde noch keine Baueingabe gemacht und eine Bewilligung für einen Neubau liege noch lange nicht vor weiter heisst es da:(..) Wir, die Familie Wucher, die Besetzer von der Rautistrasse 16 und Flüelastrasse 54 akzeptieren den geplanten Abriss auf Vorrat nicht. Es ist nicht unsere Absicht, einem allfälligen Neubauprojekt im Weg zu stehen. Es ist jedoch unsere Absicht, bis zu diesem Zeitpunkt an der Flüelastrasse 54 und Rautistrasse 22 zu wohnen. Der Abriss-Termin soll auf den Baubeginn abgestimmt werden. Wir sind nicht bereit, die Liegenschaft zu verlassen, wenn das Areal anschliessend brach liegt."

Max betont derweil, dass es bei der Besetzung nicht um darum geht, jemandem was wegzunehmen, sondern vielmehr darum aufzuzeigen, wie „absurd die ganze Wohn-und Baupolitik in der Stadt Zürich betrieben wird." Die durchmischte Truppe findet in der Besetzung ihren gemeinsamen Nenner: Man will den Raum nutzen um dem Quartier und jungen Leuten mit ähnlichen Ansinnen einen Raum zu bieten, in welchem sie sich entfalten können, auch ohne erst finanzielle Hürden überwinden zu müssen.

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Nach dem Wohnzimmer wurden wir durch eine geraume Anzahl an Zimmern geführt, auffällig war, dass alle sanitären Anlagen komplett zertrümmert waren. Also alle Kloschüsseln, Waschbecken und Kühlschränke lagen in Scherben am Boden. Laut Max und Moritz wurden in den Zwei Wochen zwischen dem Auszug der Mieter und dem Einzug der Besetzer, Bauarbeiter im Auftrag der UBS durch das Gebäude geschickt, die mit dem Vorschlaghammer das Gebäude möglichst unbewohnbar machen sollten. Damit waren sie weitgehend erfolgreich.

Selbstverständlich haben wir bei der UBS angerufen und nachgefragt warum sie das getan haben, dazu wollten sie öffentlich keine Stellung nehmen. Allerdings hat uns der freundliche UBS Mediensprecher auch ein Communiqué zukommen lassen:

Die Planung für die Realisierung eines neuen Projekts auf dem Areal an der Rautistrasse hat früh begonnen und sieht vor, dass neue Wohn- und Dienstleistungsgebäude erstellt werden. In den Unterhalt der einzelnen heute noch bestehenden Immobilien wurde deshalb auch schon länger nicht weiter investiert und die Verträge mit den einzelnen Mieter frühzeitig gekündigt. Der Termin für den Abbruch der Gebäude wurde auf den Auszug der letzten Mieter abgestimmt und soll in den nächsten Wochen (ab Mitte April) erfolgen. Inzwischen sind verschiedene Fragen aufgetreten, die zu Verzögerungen bei der Realisierung des neuen Projekts führen. Am geplanten Termin für den Abbruch der Gebäude wird aber nicht zuletzt aus baulichen Sicherheitsüberlegungen festgehalten. Auf eine Zwischenvermietung wird verzichtet, um möglichst schnell ein neues Projekt realisieren zu können. Mit dem Projekt an der Rautistrasse wird mittelfristig ein wertvoller städtebaulicher Beitrag geleistet."

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Also ausser „Mitte April wird abgerissen" steht da eigentlich nichts Konkretes. Auf erneutes Nachfragen mitunter beim Hochbauamt der Stadt Zürich hin, und aus wiederholten Telefonaten mit der Medienstelle der UBS, kristallisierte sich folgende Ablaufprognose heraus: Zuerst wird das Gebäude abgerissen. Dann gibt es einen Architekturwettbewerb um die Planung des neuen Projekts, dieses wird dann voraussichtlich im Frühjahr 2016 in Angriff genommen. Also wird die Liegenschaft zwei Jahre lang in Trümmern daliegen. Zudem ist noch nicht klar ob die UBS selbst dort überhaupt bauen wird, die Bauherrschaft kann ganz genauso gut an jemand anderes fallen.

Zu diesem Zweck muss augenblicklich ein „Abrisskonzept" von der Stadt bewilligt werden, da das Gebäude von giftigen Baustoffen durchzogen ist. Dieses Konzept hat laut verschiedenen Quellen gute Chancen noch bis Mitte April angenommen zu werden.

Die Besetzer haben sich zwischenzeitlich entschlossen zu bleiben. Mehrere Klos und eine Küche haben sie gebastelt und 50 bis 100 Personen sind in die oberen Stockwerke eingezogen. Im Rahmen einer nichtkommerziellen kulturellen Gestaltung haben sie sich ein Kino für Independent Movies, einen Partyraum und eine Kunst-Galerie eingerichtet, jeden Sonntag betreiben sie eine „Volksküche", in welcher für 5 Franken gegessen werden kann. Die Öffentlichkeitsarbeit hat ebenfalls begonnen: Die Familie Wucher plakatiert und verteilt Flyer, noch diese Woche werden sie eine, von Anwohnern und sonstigen Sympathisanten unterschriebene Petition ins Stadthaus bringen.

Ob das was ändern wird an den von der Stadt sanktionierten Abrissplänen, wird sich wohl im Verlauf der nächsten beiden Wochen zeigen.

Fotos: Evan Ruetsch