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How To Dress Well findet Sex nicht sehr interessant

How To Dress Well lästert ordentlich über seine R'n'B-Kollegen, insbesondere hat es ihm The Weeknd angetan.

Foto: Max Zerrahn

Tom Krell aka How To Dress Well ist das neue Sternchen am R'n'B-Himmel. Wenn man ihn auf diese Tatsache ansprechen würde, käme man jedoch vermutlich in einen philosophischen Strudel. Wahrscheinlich würde er erstmal darüber philosophieren, warum ein Stern ein selbstleuchtende Masse ist und was das über das Universum und über uns selbst aussagt, um danach vielleicht einen Song über seine Emotionen bei dem Gedankenprozess zu schreiben. Tom Krell ist ein unglaublich tiefsinniger Mensch, der mit sich und seinen Erlebnissen und Emotionen ziemlich offen umgeht, so auch bei unserem Aufeinandertreffen. Aber nicht dass ihr jetzt denkt, wir haben mit ihm nur über Philosophie und kreative Prozesse gesprochen. Selbstverständlich haben wir auch schmutzige Wäsche gewaschen. Kurze Zeit sah es so aus, als könnte ein neuer Beef in der R'n'B-Szene entfacht werden, dann hat Tom aber doch ein Rückzieher gemacht und seine große Bewunderung für den Frontmann von The Weeknd ausgesprochen. Aber ganz ehrlich: da geht noch was.

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Noisey: Glaubst du, auf deinem Blog verirren sich ganz viele Mädchen, die nach Fashion Blogs suchen?
Tom: Ich glaube, es sind gar nicht so viele Mädchen. Aber wahrscheinlich verirren sich fette Männer aus irgendwelchen Dörfern dorthin, die nach einer Freundin suchen und dann im Internet „How To Dress Well“ eingeben. Und dann klicken sie auf meinen Blog und denken wohl, es ist ein Fake. Als ich mir meinen Twitter-Account angelegt habe, haben mich ganz viele Leute gefragt „Warum postest du keine Fashion-Tipps mehr?“ Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redeten. Aber jetzt ist es okay, glaube ich.

Dein neues Album heißt „Total Loss“, was wirklich sehr deprimierend klingt. Es ist so absolut. Aber du hast auch etwas Positives in dem Verlust gefunden. Wie ging das?
Ich hatte ein ziemlich schweres Jahr. Ich hab meinen besten Freund verloren, mein Onkel ist gestorben und meine Mutter wurde von dem Tod ihres Bruders in eine Depression getrieben. Davon hat sie sich auch nicht erholt, sie konnte zehn Wochen lang nicht sprechen. Meine Fernbeziehung zerbrach. Es war eine sehr niedergeschlagene Zeit. Durch das Songschreiben und den Abstand, den ich dadurch zu den Vorkommnissen bekommen habe, habe ich gemerkt, dass sich in mir drinnen etwas verändert hat. Ich spürte, wie die schwere Depression verschwand und wie ich empfindsamer wurde. Ich war nicht mehr so voreingenommen, sondern wurde offener, ehrlicher und weniger ängstlich. Das war eine sehr intensive Lernphase für mich, die ohne die Verluste nicht passiert wäre, so traurig sie auch waren. Sie haben mich geformt und mir geholfen, zu wachsen.

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Ein Freund von mir hat mir Tarotkarten gelegt. Und die Karte, die ich sein sollte, war die Todeskarte. Ich dachte gleich: „Oh scheiße, ich bin der Tod.“ Er meinte: „Flipp nicht aus. Das ist zweideutig.“ Der Tod kann zum Einen das Ende von etwas bedeuten und das kann auch ein sehr schmerzhaftes Ende sein. Aber es kann auch heißen, dass man die Verbindung zu etwas abbricht, das dich runterzieht oder dass man ein Laster verliert und sich neuen Potentialen öffnet. Und diese Ambivalenz der Liebe hat mich zu dem Albumnamen „Total Loss“ gebracht. Vorher ist in meinem Umfeld noch nie jemand gestorben und plötzlich sind ziemlich schnell zwei sehr wichtige Leute aus meinem Leben verschwunden. Meine Mutter ist zudem als Person verschwunden. Sie war wirklich fertig. Und ich dachte einen Moment lang, dass mein restliches Leben lang, nur noch Leute sterben. Es ist eine Bedrohung, dass man auf den Tod mit Depression reagiert. Aber man kann auch darauf reagieren, indem man neue Möglichkeiten zu wachsen dagegensetzt.

Als du angefangen hast, Musik zu machen, hast du auch anonym deine Tracks gepostet. Warum bist du aus dieser Anonymität ausgetreten?
Ich habe einen Plattenvertrag bekommen und sie haben eben gesagt, ich muss an die Öffentlichkeit.

Hast du mal in Erwägung gezogen anonym zu bleiben?
Nein, eigentlich nicht. Es ist mir immer noch wichtig, dass die Kunst an erster Stelle steht. Ich möchte nicht, dass die Leute denken, ich schreibe Lieder über meine eigenen Erfahrungen und dass ich meine Erfahrungen mit ihnen teile. Ich will Musik machen, die emotional ist und zu der Leute eine Verbindung aufbauen können. Es sollten keine Geschichten sein, die man mir zuschreibt, und nur mir. Ich will, dass die Musik zuerst um die affektive Situation, und erst in zweiter Linie um mich geht. Das war der Gedanke hinter der Anonymität. Es sollte um die Musik gehen.

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Du packst aber schon sehr viele persönliche Erfahrungen in deine Musik und du bist auch sehr offen dem gegenüber.
Das stimmt schon. Es sind persönliche Geschichten, aber es geht nicht nur um mich. Ich habe das Gefühl, ich habe einen Weg gefunden, persönliche Geschichten in einer Sprache zu schreiben, die sie universell machen. Es geht nicht um mich und mein Leben. Es geht darum, wie es ist, eine Person, die dir nahe steht, zu verlieren. Und die meisten können damit etwas anfangen. Ich versuche, es nicht um mein Ego gehen zu lassen. Jeder hat persönliche Erfahrungen. Ich will, dass es um diesen persönlichen Moment geht, den du mit anderen teilst.

Im Internet wirst du als der neue R'n'B-Star gefeiert. Was ist denn an deiner Musik so neu?
Die Produktion ist anders. Man kann zwar ähnliche R’n’B-Stimmen im Radio hören, aber man hört nicht die speziellen Sounds, die ich in meiner Musik habe, und die Experimente in der Produktion. Und wenn wir von der Blogosphäre reden, dann ist meine Internetpräsenz auch besonders. Meine Artworks, mein Blog, die Kunst darauf, die Offenheit, wie ich auf meinem Blog oder auf meinem Twitterprofil schreibe. Der Twitteraccount von Chris Brown wird zum Beispiel von zwei 21-jährigen betreut, die sowas schreiben, wie „Chris Brown ist heute live in Lexington. Kommt vorbei!“ und dann machen sie ein Foto, auf dem er posiert. Ich bin viel persönlicher und es ist ganz offensichtlich, dass ich auf meinem Twitterprofil selbst schreibe. Ich glaube, das ist der größte Unterschied. Es ist einfach im Zugang experimenteller, sowohl soundtechnisch, als auch in der ganzen Rolle. Es ist auch ästhetisch interessanter als Chris Brown. Ich möchte im ganzen Projekt ein schönes Ganzes erzeugen-jeder Aspekt, die Liveshow, das Album, die Aufnahmen, meine Posts, Dinge, die ich liebe, Mixe, die ich poste… Ich will, dass alles Teil eines Ganzen ist. Chris Brown geht es eben nur um das Geld, egal in welche Richtung er dafür gehen muss.

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Apropos Chris Brown: Es ist ja auch Teil von populärem R’n’B, dass die Lyrics sehr vulgär sind.
Ja, ich finde das cool. Es hat seine Daseinsberechtigung, aber ich möchte nicht darüber singen. Ich finde, dass Sex nicht so interessant ist. Ich meine, es macht wirklich Spaß. Sex ist großartig, aber es beschäftigt mich nicht so sehr. Sex kann ich ohne Probleme erklären, aber den Tod zu erklären, ist viel anspruchsvoller. The Weeknd singt über Drogen nehmen und Sex haben. Das ist cool, aber ich wende mich Musik oder Büchern zu, um etwas zu erfahren, was ich nicht verstehe, oder um etwas zu finden, das ich in meinem Leben nicht haben kann. Ich kann am Wochenende alles machen, von der eine The-Weeknd-Platte handelt, nur in einer weniger unheimlichen Art. Ich habe kein Problem damit, Drogen zu nehmen oder Sex mit ein paar Leuten zu haben. Aber ich habe absolut kein Interesse, darüber zu singen, geschweige denn, es mir anzuhören. Die Musik, die ich momentan höre, geht mehr in Richtung Trance, Rap und ich höre sehr viel traurige Musik. Und diese Musik gibt mir spirituelle Energie, die ich sonst in meinem Leben nicht bekomme.

Du hörst Trance?
Ja. Trance wird zurückkommen. Du wirst sehen. Warte nur ab!

Jaja.
Ernsthaft. Ich garantiere es. Es wird eine neue Happy-Hardcore und Trance-Revolution in der Independent-Musikszene geben.

Ich bin gespannt. Du hast ja schon das ganze Drumherum um deine Musik erwähnt und du benutzt sehr viele Visualisierungen für deine Musik.
Ja, auch live.

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Ist das mehr eine Inspiration oder ein Mittel, um die Musik besser auszudrücken?
Beides. Oft werde ich von einem affektiv aufgeladenen Bild dazu bewegt, einen Song zu schreiben. Das kann ein Gefühl in mir erregen, das ich daraufhin in einem Song ausdrücken möchte. Deswegen gibt es ein Hin und Her zwischen Filmen, Bildern und meinen Liedern. Oft sehe ich ein Bild und es überkommt mich und ich kann den Rest des Tages nichts mehr machen, außer vielleicht einen Song zu schreiben.

Du hast gerade auch deine Liveshow erwähnt. Ich hab dich mal Kool Keith zitieren hören. Er sagte, dass Popstars alle wie Britney Spears mit Headsets sind. Und du willst genauso sein.
Haha. Daran kann ich mich gar nicht erinnern.

Das steht alles im Internet.
Ja, es ist alles da. Ich glaube, ich habe das im Zusammenhang mit einer Liveband gesagt. Ich möchte keine Liveband haben, weil ich eher Pop als Rock sein will. Hast du den Auftritt von The Weeknd auf dem Coachella gesehen? Den musst du dir anschauen. Das ist eine der schrecklichsten Sachen, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Es ist nicht seine Schuld. Das Schlagzeug ist extrem laut und die Gitarre ist übersteuert. Es klingt einfach wie Evanescence. Richtig schlecht. Er sah nicht gut aus. Genau davor hätte ich Angst, wenn ich jemals eine Band auf der Bühne hätte. Ich bin jetzt mit einem Typen auf Tour, der Klavier, Synthesizer und Drum-Machine spielt. Ein anderer Typ spielt Violine, Synthesizer und kontrolliert die Visuals. Es ist auch eine Liveshow, aber es ist immer noch eine Experimental-Pop-Liveshow und keine Rockshow. Schaut euch den The-Weeknd-Auftritt beim Coachella mal auf YouTube an. Es ist wirklich witzig.

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Du scheinst The Weeknd ja nicht besonders gern zu mögen.
Ich bewundere seine Stimme. Ich liebe sie. Und ich würde wirklich gerne was mit ihm machen. Ich glaube, wir könnten was richtig Cooles machen. Aber es ist nicht meine Art. Es ist einfach nicht besonders stilvoll, wenn man darüber singt, Mädchen unter Drogen zu setzen, sie sexuell zu belästigen und sich dann deswegen schlecht zu fühlen. Ich denke, dieser Typ sollte seinen Lebensstil verändern. Er muss wirklich herausfinden, wie man weniger oder bessere Drogen nimmt.

Du willst also mit ihm zusammenarbeiten, aber nur wenn er endlich mal erwachsen wird?
Nein, nein. Ich glaube, wenn wir uns zusammensetzen und brainstormen, könnten wir was echt Cooles auf die Beine stellen. Er hat ein paar großartige Songs, aber er hat auch eine komische Stimmung in seinem Zeug.

Kennst du ihn persönlich?
Nein.

Du solltest vielleicht nicht so über ihn lästern, wenn du eine Zusammenarbeit anstrebst.
Ich lästere nicht. Ich habe ja schon gesagt, dass ich den Typen wirklich bewundere. Ich meine nur, dass ich nicht wie er als R’n’B-Sänger vor einer Rockband stehen möchte. Aber er ist sehr talentiert.

Aber vielleicht ist er schnell beleidigt.
Das kann sein. Ich hoffe nicht. Also falls The Weeknd dieses Interview liest, möchte ich, dass er weiß, dass ich ihn bewundere und respektiere. Ich liebe es, seine Lieder zu singen und ich mag ihn.

Ok, jetzt hast du es wieder gut gemacht.
Bitte sei nicht sauer auf mich. Alles ist gut zwischen uns. Ich will auch wirklich nicht, dass irgendjemand denkt, dass ich The Weeknd nicht mag. Es ist nur so, dass mich oft Leute nach meiner Meinung zu The Weeknd fragen, musikalisch. Es ist so eine andere Welt. Bis auf, dass wir beide singen, sind die Projekte sehr unterschiedlich. Er verändert die Regeln von Pop-R’n’B. Er nimmt sie und verfeinert sie und ich mache experimentelle Musik und füge Pop und R’n’B hinzu. Das sind zwei ganz andere Herangehensweisen. Seine Musik ist dunkel und zwielichtig. Die Rolle von The Weeknd ist dieser fertige Typ, der zu viele Drogen nimmt und lebensmüde ist. In meiner Musik geht es um komplexe Emotionen. Ich dachte, wenn ich endlich erwachsen bin, habe ich emotionale Stabilität. Aber jetzt sehe ich, wie meine Mutter schwere Depressionen hat und mein behinderter 34-jähriger Bruder zu mir ziehen wird, nachdem meine Eltern gestorben sind. Darum geht es in meiner Musik, nicht um Partys und den Morgen nach einem verkoksten Abend. Wir haben einfach verschiedene Standpunkte.

Anscheinend wirst du ziemlich oft auf The Weeknd angesprochen, wenn du einfach auf jede Frage direkt mit einem The-Weeknd-Vergleich antwortest.
Ach, hast du mich gar nicht nach The Weeknd gefragt?

Nein.
Oh Gott, stimmt.

Du beschäftigst dich in deiner Dissertation mit Kant und Post-Kantismus. Musik ist ja aber sehr irrational.
Ja, absolut. Das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Philosophie und Musik sind zwei komplett verschiedene Dinge für mich. Es sind beides Wege, um herauszufinden, was in meinem Leben passiert und warum wir hier sind. Aber es sind sehr unterschiedliche Arten, das herauszufinden. Für mich geht es in Philosophie um Rationalität und um zusammenhängende Erklärungen. Wohingegen es in der Musik darum geht, Formen im Dunkeln zu finden, und Dinge zu verstehen, die über die Sprache hinausgehen. Liebe und Verlust und solche Dinge.

How To Dress Wells Total Loss ist bei Domino Recordings erschienen.