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Rustie spricht die Sprache der Vögel und streichelt mit seinem neuen Album „Green Language" die Seele

Wir finden Rusties neues Album gar nicht mal so schlecht.

Foto: Exit Festival via photopin cc

Die ganze Angelegenheit runterköcheln und selber runterkommen. Ausatmen, die Spannung dimmen. Gleichzeitig doch mehr wollen, ambitionierter konstruieren, genauer ordnen und kurz ein bisschen so tun als könnte man fast morgen schon erwachsen werden. Der schottische Produzent Rustie hat auf Warp Records gerade sein zweites Album veröffentlicht: Nach dem in allen Farben blitzelnden Signaloverload und dem durchschlagenden Erfolg seines Debüts Glass Swords vor drei Jahren klarerweise heiß erwartet—und jetzt schon ein wenig geschmäht und aufgrund der klaren Reduktion der akustischen Sensationen mit Enttäuschungsbekundungen bedacht.

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Rustie hat mit Green Language ein Reifungsalbum aufgenommen. Man muss angesichts dieses Sachverhalts aber wirklich nur ganz kurz gähnen. Green Language ist eine sehr gute Platte geworden, Rustie befeuert hier die Welt bloß nicht im Strobo-Takt mit ständig neuen Reizen und Hupsounds. Er geht in sich, lässt Raum und hat das Album mit seinen nicht ganz 38 Minuten Spieldauer auch hinsichtlich Quantität schlank angerichtet. Wo soll man auch noch hingehen, wenn schon das erste Album ständig auf 11 war, ein obszöner Exzess, eine geile Leuchtfigur des Maximalismus? In die Wüste, in den Keller, in die Natur?

Glass Swords war konstanter Vibrationsalarm. Ein Triumph der Ekstase, des Überschwangs, der jugendlichen Unbekümmertheit, der übersprudelnden Rave-Euphorie. Eine Cartoon-Musik aus tausend Quietschgeräuschen, Fanfaren, stolpernden Beats, Schluckauf-Stimmen und einschlagenden Bomben. Bomben aber, die niemandem wehtun, sondern bloß, wie in der "Batman"-TV-Show aus den 60ern, lustig "Kawumm!" sagen. Eine Fetischisierung von Plastik, Gummi, Neonfarbe und Software, in der alles und jeder emuliert und geschichtet werden kann und muss. Daddelige Gitarrensolos, das Electric Light Orchestra, Supertramp, Daft Punk, überfrachteter Progrock, transportiert in die absolute Digitalität. Der Pizzaburger. Eine Explosion in der Automatenhalle. So nennt man einen Ort, in den man früher gegangen ist, um Videospiele zu spielen und Menschen zu treffen.

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So lag und liegt es nahe, Glass Swords in seiner Opulenz und Rasanz als Begleitmusik zur uns ständig unbarmherzig besprühenden Informations-Flut, zur never ending Computerliebe und zum immerwährenden „On"-sein zu begreifen. Zeiten, in denen ein zuhause vergessenes Telefon bösen Phantomschmerz bereitet. Mittlerweile fast schon rührende, wenn auch richtige Überlegungen. Man kann sich das nur mehr schwer vorstellen: Es soll Zeiten gegeben haben, in denen noch „das Internet" in verschwörerischem Ton in Anführungszeichen gesagt wurde.

Rustie selbst wollte das alles nicht gar so streng sehen und seine Platte nicht mit unnützem interpretativen Ballast behängen. Er mache eben Musik. Was Musiker selbst so zur eigenen Musik zu sagen haben, ist oft nicht so wichtig oder interessant. Die Deutung findet anderswo statt. So war Glass Swords ohne Zweifel, wenn auch unbewusst oder ohne große Kommentar-Absicht, eine Platte zur Zeit. Wenn in einer nahen Zukunft gasförmige Existenzen ihre Avatare dazu anhalten werden, die Vergangenheit zu erforschen, die gestern noch unsere Gegenwart war, wird Glass Swords aus dem Regal gezogen werden und gesagt werden müssen: So haben sie geklungen, diese komischen frühen 10er-Jahre eines imposanten, kaputten neuen Jahrtausends.

Hier waren schon früh die Überlappungen von elektronischer Clubmusik und HipHop perfekt ausformuliert, die glänzende, große billige Pracht von R'n'B und die Ausläufer von Dubstep zu einer schrillen Creme verrührt. Die giftige Wechselbeziehung zwischen Trap und der Musik, die wir heute leider „EDM" nennen, die heute noch so viele (auch Mainstream-) Produktionen prägt, wurde auf Glass Swords schon prophetisch vorgeführt.

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Glass Swords war ein blendendes Hitfeuerwerk, das Ergebnis des Experiments, in dem 5 gut durchgeschüttelte 2-Liter-Flaschen Cola mit 100 Packungen Knisterbrausepulver (50 grün, 50 orange) zueinanderfinden. Green Language ist ein kurzer, geschmeidig laufender Fluss. Eine sinnvoll gebaute Dramaturgie mit sanftem Aufbau und interludehaften Überbrückungsstücken. Es muss nicht ständig knallen und die Nervosität das Leben regeln.

Vor gut eineinhalb Jahren ist Rustie nach längerer Zeit in London wieder zurück ins heimatliche Glasgow gezogen. Zurück zu Freunden und Familie, weg vom großen Stress, vor allem aber auch in ein günstiger zu habendes, deutlich größeres Appartment, als das im pulsierenden Molloch möglich wäre. Die titelspendende Green Language ist mystisches Konzept, das auch als „Language of the Birds" bezeichnet wird: Ein vager, mythen-umrankter Entwurf, benutzt von Alchemisten, Verschwörungstheoretikern und Esoterikern, deftig mit spiritueller und religiöser Magie beladen. Green Language ist also zu weiten Teilen eine Platte der inneren Beruhigung, ein Streicheln der Seele, das Finden einer Balance mit dem Kosmos, nach all den brennenden Jahren.

Viele der Stücke sind aus nur wenigen Bestandteilen gebaut, oft an Ambient Music angelehnt, warm sich dehnende Flächen, ein delikates Blasenschlagen und Brummen. Die Eröffnungsnummer „Workship" ist ein einziges wohlklingendes Dröhnen aus dem Synthesizer, ein ewiger Tease, ein Zischeln und Rascheln. Das Stück „Paradise Stone" würde sich mit seinen Vibraphon-Sounds, der Gamelan-Appropriation und dem zärtelnden Postrock-Geblubber auch auf einer Platte von Tortoise gut machen. Was alles nicht bedeutet, dass Rustie nun komplett den Weg ins Biedermeier und ins kontemplative Grüblertum gefunden hätte. Das Cover von Green Language wird von zwei Flamingos geziert, jedoch nicht in freier Wildbahn, sondern über die Maßen ausgeleuchtet, hyperartifiziell, wie ein Designobjekt, eine Installation.

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Zwischen der zerbrechlichen Melancholie-Elektronik und dem atmosphärischen Wogen des Wassers ist genügend Platz für Hits, Drum-Salven aus der 808, Flickern und Flackern, ein bisschen Pomp und Zucker, so richtig echte Popsongs. Überraschend viele Gastfeatures hat Rustie für Green Language angekarrt: Den großartigen Quatschrapper Danny Brown aus Detroit beispielsweise, mit dessen Hilfe der Track „Attak" zur in alle Richtungen spritzenden Antithese zum Rest des Albums wird. Der Song „Lost" mit dem englischen Producer und Sänger Redinho an der Talk-Box und albern vertuneter Stimme quängelt und quäkt als Persiflage von Chromeo-Neo-Funk, Autotune und Daft Punk, mit der amerikanischen Sängerin Muhsinah entsteht die schillernd-schwermütige R'n'B-Nummer „Dream On". Kurz taucht wieder eine Art Gitarrensolo auf.

Es ist also nach wie vor einiges los bei Rustie—auf Green Language ist das Material bloß mit ruhigerer Hand aufgestellt, schmaler dosiert, ohne Zwang zum Prunk und Protzen, ein Haushalten mit den Ideen. Älterwerden heißt Vernünftigwerden, eine traurige Nachricht, ins Haus telegrafiert von einer schönen Platte. Zum Glück hat Rustie mit dem Stück „Velcro" auch der wunderbaren Erfindung namens Klettverschluss eine Nummer gewidmet. Der Klettverschluss – auch so ein herrliches, dämliches Ding, in dem sich Futurismus, unbedingter Modernitätswille, Nostalgie und Retro-Charme die Hände reichen.

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Green Language ist bei Warp Records erschienen.

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