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Der Kiddy Contest hat ein Sexismus-Problem

Laut dem Kiddy Contest kriegen Mädchen "keinen Ball ins Tor" und "erwarten, dass wer für sie zahlt".

Eigentlich sollte das hier ein ganz anderer Text werden: Ein Text über den Verbleib ehemaliger Teilnehmer des Kiddy Contests – ungefähr so, wie man das normalerweise mit Macaulay Culkin oder dem Kind von der Kinder-Schokoladen-Verpackung macht. Ein klassisches "Was wurde eigentlich aus…?", so richtig mit Damals-und-Heute-Fotos.

Wir hätten rausfinden können, wie das Mädchen mit der Zahnspange und den vielen Zöpfen heute aussieht. Wir hätten uns daran erfreuen können, wie absurd großartig Mandy Capristos Bankomaten-Version von "Daylight in Your Eyes" war. Und wir hätten vielleicht auch erfahren, dass es ein Leben nach dem Kiddy Contest gibt – ein gewöhnliches Leben, ohne Koks, ohne Nutten. Vielleicht machen wir das alles irgendwann trotzdem noch, aber nicht heute. Heute geht es um was anderes.

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Der Kiddy Contest ist wahrscheinlich das modernste österreichische Kulturgut, das wir neben Christl Stürmers Augenbrauenpiercing noch haben. Jedes Jahr finden sich in der DACH-Region zehn übermotivierte Kinder zwischen 8 und 13 Jahren, die aktuelle Charthits mit "neuen, coolen Texten" einsingen dürfen. Dann schickt man die Kleinen auf eine Fernsehbühne, lässt sie gegeneinander antreten, krönt mittels Telefonvoting einen Sieger und verkauft anschließend massenhaft Alben, die früher traditionell auf Platz 1 der österreichischen Charts landeten. Toddlers & Tiaras trifft DSDS trifft Hunger Games trifft Mini Playback Show. Laut ihrer Homepage, gibt es nirgendwo in Europa ein vergleichbares Format, dass so lange erfolgreich geblieben ist.

Screenshot via YouTube

Zu einer Kindheit in Österreich gehört für viele der Kiddy Contest ebenso dazu wie Thomas Brezina und Helmi. Viele von uns hatten mindestens eine CD, kannten mindestens einen Song auswendig und kannten mindestens ein Kind über mindestens zwei Ecken, das mal unter den Teilnehmern war und heute Musical spielt. Irgendwie ist der Kiddy Contest also ein Teil von vielen von uns. Ein Stück österreichische Fernsehkultur, tief verwurzelt in unseren Kindheitserinnerungen.

Und genau deshalb, weil der Kiddy Contest uns so vertraut ist und wir nur Positives mit ihm assoziieren, haben wir es wohl irgendwie versäumt, die "neuen, coolen Texte" zu hinterfragen – die erklären Kindern nämlich seit über 20 Jahren, dass Mädchen keinen Fußball mögen und Jungs froh sein dürfen, keine Mädchen sein zu müssen.

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Norman Weichselbaum ist einer der beiden Begründer des Kiddy Contests und seit jeher für die Texte der Songs verantwortlich. Somit verdanken wir ihm zwar Tattoo-würdige Zeilen wie "Ich wünsche mir einen Bankomat", aber eben auch Songs für Kinder, in denen ein Geschlechterklischee das nächste jagt. Vor allem dann, wenn es um Mädchen geht. Und es geht oft um Mädchen.

"Es ist nicht unsere Aufgabe, Rollenbilder zu verändern – wir reflektieren einfach in pointierter Form Wirklichkeiten, wie sie Kindern vertraut sind und wie sie mehrheitlich erlebt werden. Und meistens kocht halt die Mutti und der Papa geht zum Match", so Weichselbaum gegenüber Noisey.

Screenshot via YouTube

Gleichzeitig sei jedoch der permanente Kontakt zu Kindern wichtig für die Aktualität der Texte: "Man muss immer auf der Ebene der Zeit sein, denn jede Generation hat ihre eigenen Blickwinkel und Diktionen." Anfang des Jahres wurde Norman Weichselbaum und seinem Kollegen Erwin Kiennast das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

Kritik an seinen Texten habe es bislang vornehmlich "aus den Kreisen konservativer Pädagogen" gegeben, viele österreichische Musiklehrer seien jedoch "absolute Befürworter" des Kiddy Contests. So gesehen sind wir also auch irgendwie konservative Pädagogen – wir haben uns nämlich durch über 20 Jahre Kiddy Contest gehört und hätten da ein paar Dinge zu bemäkeln.

"Weil ich kein Mädchen bin" (1995)

Auszug:

"Sie vergessen sich für Modeschmuck und Kleider
Die Gesichter immer bunt bemalt
Weinen Taschentücher durch bei Romy Schneider
Und erwarten, dass wer für sie zahlt

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Sind verliebt in jeden Spiegel
Perforiert an jedem Ohr
Haben Angst vor den Klingonen
Und kriegen keinen Ball ins Tor

Ich bin so froh, dass ich kein Mädchen bin
Dass ich kein Mädchen bin
Es ist ein Riesenglück, ein wahrer Hauptgewinn
Dass ich kein Mädchen bin, dass ich kein Mädchen bin"

1995 hatte der Kiddy Contest Premiere – einer der ersten verwendeten Songs war "Mädchen" von Lucilectric. Die ursprüngliche Zeile "Ich bin so froh, dass ich ein Mädchen bin" wurde in der Kiddy-Version zu "Ich bin so froh, dass ich kein Mädchen bin" und der ganze Song war plötzlich ein einziges großes, misogynes Vorurteil: Mädchen stehen auf Schminke, haben keine Kontrolle über ihre Emotionen, erwarten immer, dass der Mann zahlt und kriegen "keinen Ball ins Tor".

An dieser Stelle hatten wir irgendwie noch Hoffnung, Anti-Mädchen-Hymnen wären ein Relikt der 90er, die der Kiddy Contest auch genau dort hinter sich lassen würde: In den 90ern. Vorerst würden wir damit auch noch Recht behalten – jetzt ging es erst mal an die Burschen.

"Jungs" (1997)

Auszug:

Jungs sind komplett
Durchgeknallt und überdreht
Ohne Fußball grantig
Pfeifen auf Romantik
Schauen nicht weg, wenn im Fernsehen
Blut in Strömen fließt

Einmal in der Geschichte des Kiddy Contest wurde also auch den Jungs vorgeschrieben, wie sie zu sein haben: "Ohne Fußball grantig, pfeifen auf Romantik (…) Jungs sind etwas sonderbar", sang ein Mädchen aus Tirol zur Melodie von "Love Shine A Light".

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Das mag auf den ersten Blick vielleicht harmlos erscheinen – aber ich denke hierbei an Jungs, die sich nicht für Fußball begeistern können. Jungs, die sich nicht damit identifizieren können, wenn ein Song beschreibt, wie Jungs "nun mal so sind". Jungs, die sich dann fragen, warum das so ist. Jungs, denen dadurch von Kleinauf beigebracht wird, dass sie nicht richtig sind. Jungs wie mich. Jungs, denen wir all das inzwischen eigentlich ersparen könnten. Weil wir es besser wissen.

"Ich versteh' die Mädchen nicht" (2006)

Auszug:

Stehen auf Glitzerkram verstärkt
Fußball ist ihnen egal
Und so nebenbei bemerkt
Ständig müssen sie einmal

Sie finden Telenovas toll
Horrorfilme voll bescheuert
Malen sich an wie Winnetou
Glauben, sie sind dann runderneuert

Stehen auf Tokio Hotel
Senden ständig SMSen
Reden viel und viel zu schnell
Mann, die kannst du echt vergessen

Geht man mal mit einer aus
Sagt sie "Dankeschön" und strahlt
Rückt nicht einen Euro raus
Sie erwartet, dass man zahlt

Elf Jahre nach "Weil ich kein Mädchen bin", in einer Zeit, in der Fergie und Gwen Stefani vollgepumpt mit Girl Power die Welt regieren, werden beim Kiddy Contest plötzlich wieder die gleichen Vorurteile (und sogar Formulierungen) recycelt. Diesmal muss "Ich bin ich" von Rosenstolz herhalten. Wieder können Mädchen nichts mit Fußball anfangen, wieder schminken sie sich ungebremst, wieder erwarten sie, dass für sie gezahlt wird. "Die kannst du echt vergessen."

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"Planet der Mädchen" (2008)

Auszug:

Wir shoppen non-stop
Das ist für jedes Mädchen hier Pflicht
Verstecken Pickel unter Creme
Und SMSen echt extrem

Wir tauschen Klingeltöne
Und üben unsere Unterschriften
In Freundschaftsbücher schreiben
Wir mit Glitzerstiften

Wir lesen Tagebücher
Und Mode-Inserate
Und niemand interessiert sich hier für
Bundesliga-Resultate

Mädchen! Mädchen! Mädchen!

Die Idee hinter "Planet der Mädchen" ist prinzipiell keine schlechte – man hätte ja auch einfach eine Kinder-Version von "Independent Women (Part 2)" auf die Christina Stürmer-Melodie texten können. Stattdessen gibt es Glitzer, Shopping, Pickelcreme und mal wieder das Fußball-Vorurteil.

Der Witz an der Sache: Interpretin Mira ist laut einem Artikel, der damals in der Kleinen Zeitung erschienen ist, tatsächlich Fußballfan. Einfluss auf den Songtext haben die Kinder jedoch nicht. Als Mira während ihres Auftritts das Desinteresse von Mädchen an der Bundesliga besingen muss, kickt sie demonstrativ einen Ball ins Publikum. Nicht schlecht für eine damals 9-Jährige. Mira hat gewonnen – den Kiddy Contest, und auch generell im Leben.

"Ich könnte nie ein Mädchen sein" (2012)

Auszug:

Ich sage Danke zu dem da oben
Muss auch die Eltern mal dafür loben
Ist ein Hauptgewinn
Dass ich kein Mädchen bin

Denn bei Romantik, bei Schmuck und Mode
Da fadisiere ich mich zu Tode
Ist bei mir nicht drin
Weil ich kein Mädchen bin

Mit Lippenstift und Pickelcreme
Da hätte ich echt ein Problem

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Es gäb' kein Fußball in meinem Leben
Von tausend Düften wär ich umgeben

Das Handy rosa, oh Gott und über
Dem Bett ein Poster von Justin Bieber
Das wär nichts für mich
Wirklich nichts für mich

Ich würde doch nie im Bikini gehen
Und Stunden im Bad vor dem Spiegel stehen
Ich schlüpfe auch nie in Ballerinas rein
Ich könnte echt nie ein Mädchen sein

Ich würde mir nie meine Nägel lackieren
Die Lippen bemalen und das Bein rasieren
Ich kicher' auch nie so wie die, oh nein
Ich könnte echt nie ein Mädchen sein

Ich zupfe mir nie meine Augenbrauen
Und schminke mich nie wie ein Zirkusclown
Ich shoppe auch nie so wie die, oh nein
Ich könnte echt nie ein Mädchen sein

Oh Himmel, oh nein
Ein Mann will ich sein

Das Schlimmste an "Ich könnte nie ein Mädchen sein" ist eigentlich nicht der Text an sich – sondern vielmehr die Tatsache, dass er erst vier Jahre alt ist. Ganz abgesehen davon, dass auch 17 Jahre nach "Weil ich kein Mädchen bin" immer noch ähnliche Formulierungen herangezogen werden, um zu beschreiben, warum es halt viel besser ist, ein Junge zu sein. Und warum genau Pickelcreme hier schon wieder als reines Mädchen-Ding beschrieben wird, können wir uns übrigens auch nicht erklären.

Weichselbaum sagt, es wäre nicht "ihre Aufgabe, Rollenbilder zu verändern" – es ist aber auch nicht die Aufgabe des Kiddy Contests, veraltete Rollenbilder, die ohnehin schon viel zu tief in unserer Gesellschaft verankert sind, zusätzlich zu verstärken. Und wenn wirklich "Realitäten pointiert reflektiert werden" sollen, dann muss dort auch Platz für Vielfalt sein.

Wir berühren hier nur die Spitze des Eisbergs – im Katalog des Kiddy Contest finden sich noch zahlreiche weitere Texte über Mädchen, die immer nur shoppen möchten: "Stundenlang rumspazieren, da und dort was probieren. Mädchen shoppen nun mal für ihr Leben gern. […] Das ist doch abnormal, für mich 'ne Höllenqual" und Jungs, die Fußball spielen. "Während die Mädchen Englisch büffeln, ätsch, jagen Jungs das Leder durch's grüne Gras. Fußball, wir spielen Fußball." 2015 sang ein eifersüchtiges Mädchen die Zeilen: "Wen findet er denn schöner? Das blonde Bügelbrett? Die Tussi riecht nach Döner – Sag, spinnt er denn komplett?"

Drei Jahre nachdem die Zeilen "Oh Himmel, oh nein. Ein Mann will ich sein" den Song von Kandidat Lukas beendeten, würde Conchita Wurst als Galionsfigur für Toleranz, Respekt und Offenheit in der Show auftreten. Wenn man möchte, kann man das als Zeichen für die Zukunft deuten – oder zumindest hoffen. Wir wollen dem Kiddy Contest sicher nicht sein Vermächtnis absprechen, zumindest nicht den guten Teil – aber bitte mit einem Weltbild, in dem Mädchen auch Fußball spielen dürfen und Jungs shoppen nicht hassen müssen, um Jungs zu sein. We are the kids, we got the power.

Franz hat Twitter: @FranzLicht

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