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Berlin ist Europas Spionage-Hauptstadt, sagt der Verfassungsschutz

Nur Thomas de Maizière hat das noch keiner gesagt.
Foto: imago | Andreas Prost

Es ist grau, zerbombt und verschneit, und an jeder Straßenecke steht ein zwielichtiger Typ mit Trenchcoat, immer bereit, auf den nächsten Mauerflüchtling zu schießen: So sieht das Berlin des Kalten Krieges aus, durch das Tom Hanks in dem Hollywood-Streifen "Bridge of Spies" laufen muss. Von dem Image ist nicht mehr viel übrig: Berlin gilt heute als cool, weltoffen, die Partyhauptstadt halt, und die Trenchcoats werden mittlerweile im Mauerpark als retro verkauft. Eines hat sich aber offenbar nicht geändert: Berlin ist immer noch die europäische Hauptstadt der Spione.

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Das hat zumindest der Verfassungsschutz erklärt, und die beschäftigen sich ja immerhin beruflich mit den Kollegen. "Man kann durchaus sagen, dass die Stadt Berlin europaweit gesehen durchaus als ein echter Spionage-Hotspot bezeichnet werden kann, als eine echte Spionage-Hochburg", hat der Berliner Staatssekretär Torsten Akmann (SPD) am Mittwoch im Ausschuss für Verfassungsschutz gesagt, wie die dpa berichtet.

Warum sich Spione hier ausgesprochen wohlfühlen, erklärt Akmann auch: Hier gibt es mehr als 150 Botschaften, bei denen man gemütlich spionieren könne. Laut Akmann gehen das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und die Berliner Behörden davon aus, dass "eine Vielzahl von diplomatischen Vertretungen" über die Geheimdienste ihrer Heimatstaaten auch mit Spionagetätigkeiten befasst seien.


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Besonders gerne spioniere man die deutsche Politik aus (Akmann: "Die Bundesministerien stehen hier stark im Fokus."), beliebt seien auch Wirtschafts- und Militärspionage. Aber ausländische Spione beschäftigen sich auch damit, für die Regierung daheim Oppositionelle auszuspionieren – in letzter Zeit ist es vor allem der türkische Geheimdienst, der leidenschaftlich Gülen-Anhänger in Deutschland ausspioniert. Das kommt nicht immer gut an: Als die Türken dem deutschen Geheimdienst BND Anfang dieses Jahres stolz die Früchte ihrer Arbeit überreichten – eine Liste der wichtigsten bekannten Gülen-Anhänger in Deutschland – machte der, statt sich zu bedanken, die Liste öffentlich. Was die Türken wiederum als klassischen "dick move" (Diplomatensprache) empfanden.

Weniger tagesaktuell, dafür aber für Deutsche wahrscheinlich relevanter, ist die Spionage-Aktivität der USA. Weil sie aber über bessere Technologie verfügen als die Türken, müssen die Agenten der NSA nicht mal die Botschaft verlassen, um Kommunikation in Deutschland oder das Handy der Bundeskanzlerin abzuhören. Auch die Franzosen, Briten, Russen und Chinesen sollen ihre Botschaften zu hochmodernen Abhörstationen umgebaut haben. Das ist nicht unbedingt höflich, gehört in Berlin aber wohl zur Realität.

Der einzige, der darüber offenbar nicht unterrichtet ist, ist der deutsche Innenminister Thomas de Maizière. "Spionageaktivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet", hatte er noch Ende März markig verkündet, da ging es allerdings vor allem um die türkischen Aktivitäten. (Das mit der NSA erwähnen deutsche Regierungsmitglieder nicht mehr so gerne, weil sie die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht noch mehr strapazieren wollen. Aber Türken, die in Deutschland spionieren – das gehört nun wirklich nicht zu unserer Leitkultur!)

Thomas de Maizière hat seine Aussage bei seinem Auftritt auf der Netzmesse re:publica in Berlin am Mittwoch wiederholt. "Wir wollen keine Spionage in Deutschland", erklärte er den Zuhörern. Laut Augenzeugen hat das Publikum herzlich darüber gelacht.

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