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Vom Ultra zum Angestellten

Die Ultras Sebastian und Vincent wurden beim FC Ingolstadt als Fanbeauftragte angestellt. Im Gespräch mit VICE Sports erzählen die beiden Religionspädagogen über den „FC Audi", Anfeindungen anderer Fanszenen und den Alltag als Betreuer ihrer Freunde.
Foto: Benedikt Niessen

Vincent Ludwig und Sebastian Wagner waren beide Vorsänger und haben die Ultraszene in Ingolstadt mit aufgebaut. Jetzt sind sie festangestellte Fanbeauftragte beim FC Ingolstadt. Nach einer Zeit mit Stadionverboten, Exzessen auf Auswärtsfahrten und dem Leben für die Gruppe kümmern sich die beiden Religionspädagogen jetzt um die Probleme ihrer Weggefährten im Block und um die ganzen Fanszene des Bundesligisten. Sie sprachen mit uns über die Zeit als Ultra und wie es ist, als Ultra vom vermeintlichen FC Audi angestellt zu werden.

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VICE Sports: Wie geht man als Fan vom FC Ingolstadt damit um, dass man als FC Audi angesehen wird?
Sebastian: In der ersten Zeit hat es mich getroffen und auch betroffen gemacht. Mittlerweile sage ich, dass die Leute genauer hinschauen sollen. Wer nicht Bescheid weiß, der soll aufhören über irgendetwas zu hetzen. Wir haben Audi als Hauptsponsor und der hat auch einen großen Teil dazu beigetragen, dass wir jetzt in der Bundesliga sind. Aber das machen Sponsoren auch bei anderen Vereinen so und stecken dort sogar mehr Geld rein, dabei kommen sie nicht aus der Stadt selbst. Andere Klubs würden sich freuen, wenn sie einen lokalen Hauptsponsor hätten.
Vincent: In der Regionalliga hat es keinen interessiert und es gab keine Anfeindungen. Mit dem Aufstieg in die zweite Liga wuchs dann die Aufmerksamkeit und die Leute fingen an in den sozialen Netzwerken herumzupöbeln.

Wie habt ihr euch früher in der Kurve dagegen gewehrt?
Sebastian: Früher haben wir uns mit Singen gewehrt und die anderen natürlich auch beleidigt—heute gibst du ein Interview. (lacht)

Wie wird man überhaupt Fan vom FC Ingolstadt?
Sebastian: Ich habe 2004 von der Gründung aus der Zeitung erfahren und habe den Verein dann immer in den Medien verfolgt. Irgendwann 2008 konnte ich dann einen Freund überreden zum Spiel in der Regionalliga gegen Stuttgarts Zweite zu gehen—das war das erste Spiel unter Thorsten Fink und ich hab mir gleich einen Schal gekauft.
Vincent: Bei mir war ein Ultramitglied in der Klasse und hat mich zum Spiel der zweiten Mannschaft gegen Schweinfurt mitgenommen. Es war Derby, es ging heiß her und knapp vierzig Jungs waren dabei. Vor allem das ganze Auftreten der Ultras mit Bauchtasche in schwarzen Klamotten, die lautstark ihr Team anfeuern, hat mir sehr imponiert. Am nächsten Tag bin ich dann gleich zur ersten Mannschaft mitgegangen.

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Vincent und Sebastian in ihrem Büro. (Foto: FC Ingolstadt)

Ist die Ingolstädter Ultrakultur denn überhaupt mit den kommerziellen Interessen des Vereins zu vereinbaren?
Sebastian:**** Sie schreiben sich schon auf die Fahnen, dass sie gegen die Kommerzialisierung des Fußballs sind, doch sie wissen um den finanzstarken Partner aus der Region, der nicht mit Geld um sich schmeißt, und unterstreichen dies auch. Die Ultras hier in Ingolstadt hetzen aber auch nicht gegen andere Vereine. Unserer Kurve ist aber vor allem die 50+1-Regel wichtig. Bei uns besteht jedoch keine Angst in der Szene, dass diese Regel in irgendeiner Form umgangen werden könnte. Audi ist seit Sommer nicht mal mehr Trikotsponsor.

Wie wurde die aktive Fanszene an den ersten drei Spieltagen in der Bundesliga aufgenommen?
Vincent: Das erste Auswärtsspiel in Mainz war bombastisch, weil wir super freundlich empfangen wurden und es keine Anfeindungen oder so etwas gab. Der Support war über 90 Minuten richtig gut und wurde in Augsburg nochmal übertroffen. Als Derby war es nicht nur ein brisantes Spiel, sondern wir hatten die beste Stimmung, die ich selbst jemals als FC-Fan erlebt habe.
Sebastian:**** Man sieht jetzt bei jedem Spiel, dass es eine ganz andere Euphorie gibt. Es ist eine kleine Szene, aber sie wächst stetig. Der Aufstieg hat alle noch mal gepusht, so dass es schon zwei Choreos in drei Spielen gab—vor allem so eine wie gegen Dortmund, wo drei Viertel des Stadions mitmacht, gab es noch nie. Seit dem Aufstieg haben wir viele neue Fanklubs, auch außerhalb Bayerns, und sogar einen am Gardasee in Italien.

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Haben sich in der Bundesliga die Anfeindungen gelegt?
Sebastian:**** Ja definitiv. Durch das Interesse der Medien und die Beiträge über uns, haben sich die Leute mal über den Verein informiert. Sie haben eingesehen, dass wir nicht mit einem riesigen Etat aufgestiegen sind und keine verrückten Sachen machen, wie die halbe Liga leer zu kaufen. Es haben sehr viele mittlerweile kapiert, dass es keinen FC Audi gibt.

Ultras wollen oftmals autonom gegenüber dem Verein sein. Wie kam es dazu, dass ihr jetzt Angestellte des Vereins seid?
Sebastian:**** Aus deiner Ultrahaut kommst du nicht heraus. Ich habe aber mit 30 irgendwann gemerkt, dass ich älter werde und jüngere Leute nachkommen. Man braucht einen Job und ich hatte die Möglichkeit von meiner Ausbildung her einen beim Verein zu bekommen und trotzdem für meine Jungs und die Szene weiterhin da zu sein.
*Vincent:* Durch den Aufstieg in die Bundesliga brauchte der Verein einen zweiten Fanbeauftragten und Basti kam dann auf mich zu, weil er von meinem bevorstehenden Studienabschluss wusste. Ich habe dann Stimmen von der Fanszene eingeholt und die haben mir Mut zugesprochen, weil sie die Vorstellung sehr gut finden, dass einer von ihnen im Verein sitzt.

Sebastian (rechts) im Jahr 2013 auf dem Anschreier-Podest im Audi Sportpark

Ihr wart beide Capos, Vincent du bist Thai-Boxer und ihr seid auch Religionspädagogen. Wie sehr helfen euch diese verschiedenen Facetten weiter?
Sebastian:**** Für den Job ist es von Vorteil und auch von der DFL erwünscht, wenn man Pädagoge ist. Es ist nicht wichtig welcher Pädagoge du bist, doch als Religionspädagoge kenne ich natürlich auch den Umgang von Menschen und der Ersatzreligion Fußball sehr gut. In Ingolstadt gibt es kein Fanprojekt, sodass wir diese Aufgaben auch übernehmen. Ob es Geldprobleme sind, Stress in der Familie oder Drogenabhängigkeit—die Fans kommen mit allen Problemen zu uns.
*Vincent:* Man lernt neben dem Umgang mit Menschen auch das Organisatorische im Studium. Bei Audi gehst du zur Schicht und dann ist Feierabend. Hier ruft mich ein Fan dann auch mal in der Nacht um zwölf Uhr nochmal an und will irgendwas von mir. Das Thai-Boxen hilft mir im Büro jetzt nicht unbedingt, aber es ist ein guter Ausgleich neben der Arbeit.

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Hilft euch bei der Arbeit mit den Fans, dass ihr auch welche seid?
Sebastian:**** Du hast natürlich ein Netzwerk und kennst die Leute. Ich kann ihnen ganz anders helfen, weil ich weiß zu wem ich ab und zu gehen muss, um ihn zu bremsen, weil er sonst Ärger mit der Staatsmacht bekommt.
*Vincent:* Die Leute gehen auch ganz anders auf dich zu. Sie wissen, dass sie uns absolut vertrauen können, das ist wichtig in der Fanszene. Sie wissen, dass wir nicht sofort zur Polizei laufen, wenn irgendwas vorgefallen ist oder sie uns etwas erzählen.

Ihr wart als Ultras früher bei Auswärtsfahrten dabei und kennt den Exzess mit Gewalt, Drogen und Alkohol. Wie schwer ist es jetzt den Leuten das auf einmal zu verbieten?
Sebastian:**** Die Zahl der Leute, die sagen „Jaja du hast früher doch selber noch am Zaun gehangen" ist verschwindend gering. Es ist erstaunlich leicht, weil die Fans wissen, dass wir es selbst durchgemacht haben und auch schon in gewisse Probleme verwickelt waren. Wir hatten selber Probleme mit der Polizei und Stadionordnern und es kommt einfach authentischer bei ihnen an, wenn wir jemandem sagen: „Pass mal auf, du versaust dir dein Leben damit!"

Der Verein wusste, dass ihr auch mal Scheisse gebaut habt. Habt ihr also eine zweite Chance bekommen?
Sebastian:**** Es ist keine zweite Chance, aber es ist natürlich geil, dass der Verein uns die Chance gibt hier zu arbeiten. Ein anderer Arbeitgeber hätte uns wegen der ganzen Fußballvergangenheit vielleicht nicht genommen und deshalb versuchen wir dem Verein jetzt das Vertrauen zurückzuzahlen. Es hätte auch anders laufen können, sodass wir die Trennung zwischen Arbeit und Ultraszene nicht hinbekommen hätten können.
*Vincent:* Es ist den Verantwortlichen wichtig gewesen, dass es Leute aus der Szene sind und es eine Identifikation der Fans zu uns und von uns zum Verein gibt. Es gibt keine Diskussionen über unsere Loyalität.

Würdet ihr gerne noch mal mittendrin sein?
Sebastian:**** Natürlich juckt es noch. Wir würden gerne bei einem Tor in der 90. Minute auf den Zaun springen und wenn wir auswärts am Stadion ankommen wird mir heute noch Bier angeboten. Es wäre auch mal wieder schön mit allen zum Spiel zu fahren und was zu trinken, aber das wusste ich vor der Berufswahl schon, dass das nicht geht.
*Vincent:* Wir feiern ja trotzdem bei jedem Tor wie Fans und freuen uns noch mehr für die ganze Szene, wenn wir sie feiern sehen. Andererseits, früher waren wir einer von dreißig, heute wären wir einer von vielen.

Das Interview führte Benedikt Nießen, folgt ihm bei Twitter: @BeneNie