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Das Abendland wird nicht an zu wenig Handschriftunterricht zugrunde gehen

Nervt uns nicht mit eurer künstlichen Empörung über ein Ende der Handschrift. Statt analoge Scheindebatten zu führen, sollten wir Kindern lieber konsequent die Möglichkeiten moderner Aufschreibesysteme vermitteln.
Unter dem Hashtag #RettetdieHandschrift wird derzeit versucht, den abendländischen Kulturverfall zu verhindern. Bild: ​@frau_baal

Für krampfhafte Analog–Schrift-Fetischisten haben wir diesen Artikel automatisiert in eine handschriftliche-Version umwandeln lassen. Bitte ignoriert dieses Getippe einfach und lest unten die authentische Schriftversion.

Am Wochenende belehrte mich das Hashtag ​#RettetdieHandschrift mal wieder über die unbändige Weisheit, die sich in meiner Twitter-Timeline verbirgt. Unter dem kämpferischen Schlagwort protestieren User gegen die angeblich drohende Verdummung unserer Kinder als scheinbare Konsequenz, sollte Handschrift von den Lehrplänen deutscher Schulen verschwinden.

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#Handschrift ist wichtig! #RettetdieHandschrift pic.twitter.com/wFPfihp2Ha

— Flo P. Schmidt (@FloPSchmidt) January 20, 2015

Menschen luden also ernsthaft Fotos auf Twitter hoch, um mit einem handgeschriebenen Hashtag zu beweisen, wie sehr ihnen an der Bewahrung dieses analogen Kulturguts gelegen ist. Das ist in etwa so, als würde man mit Bitcoins eine Kampagne zur Erhaltung des Bargelds finanzieren. Hoffentlich wurde all den followenden Digitalskeptikern die drängende Kritik sicherheitshalber auch noch einmal per Fax zugestellt.

Ich fragte mich allerdings, welche Handschrift hier überhaupt gerettet werden soll. In Deutschland lernen Kinder anno 2015 vier verschiedene Weisen, mit der Hand zu schreiben–zeig mir deine Schrift und ich sage dir, in welchem Bundesland du zur Schule gehst. Wie nicht zuletzt die Tweets besagter #RettetdieHandschrift-Fanatiker überzeugend unter Beweis stellen, beherrscht aber trotzdem kaum noch jemand die gebundene Schreibschrift.

Ich gehöre schon seit Schulzeiten zur "Tippen ist Denken, Handschreiben ist ausbremsendes Gekünstel"-Fraktion. Menschen sind verschieden.

— Frank Rieger (@frank_rieger) January 13, 2015

Um die Abschaffung der Schreibschrift (und nicht der Handschrift) geht es allerdings bei der Reform im finnischen Bildungssystem, über die in der vergangenen Woche hitzige Schlagzeilen die Runde machten. Niemand in Finnland–oder Kanada, den USA und Hamburg, wo ebenfalls Druck- statt Schreibschrift gelehrt wird–möchte die Handschrift gänzlich abschaffen, auch wenn Spiegel Online einen entsprechenden ​viralen Artikel apokalyptisch zu betiteln wusste: „Schreibunterricht: Finnland schafft die Handschrift ab."

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Dass die Meldung allerdings auf einem Übersetzungsfehler des finnischen Originaltextes beruhte und der Titel später geändert wurde, ging im Sturm der Entrüstung zunächst unter. Die Wächter des Bildungssystems ließen sich in jedem Falle gerne auf ihre bildungsbürgerlichen Barrikaden rufen: „Handschrift muss im Lehrplan bleiben", befahl der Verband Bildung und Erziehung und traf damit den Nerv all derjenigen, für die dieses Internet eigentlich nur eine einzige Bedrohung darstellt und alles Analoge zwangsläufig besser ist.

„Handschrift kann auch werthaltig sein"

Auch die AfD hatte ihre eigenen, messerscharfen Zehn Gebote der Handschrift schnell parat. Sie führe zum Erkennen von Zusammenhängen und Individualität und fördere das Leistungsprinzip. Bitte schreibt mehr mit der Hand, liebe AfD, möchte man da rufen. Enttäuschenderweise verbreitet Dr. Frauky Petry, die die Handschrift gar für „(lebens)wichtig" hält, ihre überzeugenden Ausführungen á la „Handschrift kann auch partnerorientiert und damit werthaltig sein" in Form von ​Facebook-Posts. Sie in Stein zu meisseln, hätte es doch auch getan.

In Deutschland wird nun jedenfalls weiterhin munter mit Argumenten, die keine sind, gegen etwas argumentiert, das nie beschlossen wurde. In kaum einem anderen europäischen Land erreichte die Debatte ein vergleichbares Ausmaß. Vorläufiger Höhepunkt war ​ein FAZ-Artikel, den Loriot nicht besser hätte schreiben können. Veröffentlicht wurde der Pro-Handschrift-Text von Tilman Spreckelsen, seines Zeichens immerhin Wissenschafts(!)redakteur, in der Rubrik „Wie erklär ich's meinem Kind", die ja idealerweise eher auf die Herausforderungen zukünftiger Generationen gerichtet sein sollte:

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„Wenn der Akku leer ist und keine Steckdose da, kann man das, was man geschrieben hat, nicht mehr lesen und nichts Neues schreiben. Und wenn ein Glas Wasser auf die Tastatur fällt, kann es sein, dass alles weg ist, weil der Computer kaputt ist."

Dabei stellte Friedrich Kittler doch schon 1985 in seiner Epoche-machenden Medientheorie  ​„Gramophone, Film, Typewriter" klar, dass technologischer Fortschritt immer auch eine Veränderung der Schrifttechnik bedeutet. Jede Schrift ist dabei immer nur ein Teil eines spezifischen Aufschreibesystems, das das Wissen und die Daten jener Zeit verarbeitet und speichert. Spätestens mit der Schreibmaschine wurde die vorherrschende Rolle der Handschrift abgelöst. Kittler lächelte eher müde über die Methoden des Handschrift-Fans Heidegger, während er im Denken des Schreibmaschinen-Fanatikers Nietzsche eine der wichtigsten Theorien des 19 Jahrhunderts erkannt.

Spätestens das Aufschreibesystem 2000 prognostizierte Kittler als „totalen Medienverbund auf Digitalbasis", in dem der medientechnische Wandel nicht nur die Art, wie wir notieren, verändert, sondern die gesamtgesellschaftliche Wissensproduktion selbst eine andere geworden ist.

Es mag zwar aus didaktischer und neurowissenschaftlicher Perspektive durchaus stimmen und auch wichtig sein, dass  ​die kindliche Entwicklung mit dem Unterricht von Handschrift gefördert wird. Viel wichtiger ist jedoch, dass wir uns nicht in die ewig gleichen kulturpessimistischen German-Angst-Reflexe verfallen, um eine angeblich handschriftlose Horrorzukunft zu verteufeln, und vor lauter Eifer die Ausbildung in den Möglichkeiten moderner Aufschreibssysteme vergessen. Deutschland liegt im Übrigen ​nicht gerade auf einem Spitzenplatz in Sachen Unterricht mit neuen Medien.

Lasst uns lieber den Fortschritt der Medienkonvergenz freudig willkommen heißen. Schließlich besitzt das Lernen von Code im digitalen Zeitalter eine ähnliche Bedeutung wie das Beherrschen von Fremdsprachen. Statt für die Schreibschrift zu kämpfen, sollten wir lernen, dass Tastatur-Schreiben ein Basis-Werkzeug des Programmierens und als solches längst elementarer Bestandteil des Schriftspracherwerbs ist.

Da auch ich meine persönliche Handschrift als durchaus werthaltig betrachte, habe ich sie in Form einer unverwechselbaren Schriftart für die Ewigkeit konservieren lassen. Bitteschön: