Es gibt eine Geschichte, die pünktlich zum Start von großen Fußballturnieren verlässlich die Runde macht. Die Geschichte von Heerscharen ausländischer Fans, die während Europa- und Weltmeisterschaften die Puffs der gastgebenden Länder zum Brummen bringen. Vor der diesjährigen EM ist auch Frankreichs Gleichberechtigungsrat („Haut Conseil à l'Egalité entre les femmes et les hommes", HCE) gegen ausländische Freier in Spe in die Offensive gegangen.
Anzeige
Am 21. April hat der HCE einen Bericht veröffentlicht, in dem man ein Turnier frei von Sexismus und sexueller Gewalt gefordert hat. Außerdem wurden Maßnahmen gutgeheißen, die „Prostitution in großem Stil" verhindern sollen.Weiter hieß es: „Vergangene große Sportturniere haben gezeigt, dass einige Fans regelmäßige oder gelegentliche Kunden von Prostituierten sind und dass vor allem Jüngere während der Turniere zu Freiern werden, weil sie glauben, dass Partytourismus alle Exzesse rechtfertigen würde. Prostitutionsnetzwerke sind in der Lage, diese Entwicklung schon lange vor Turnierbeginn zu antizipieren und dadurch große Gewinne einzufahren und weltweiten Menschenhandel in die Wege zu leiten (die meisten Sexarbeiterinnen werden Frauen aus armen Ländern sein)."Die angebliche Verbindung zwischen Fußballturnieren und Prostitution ist noch eine recht neue. Erstmals wurde sie 2006, anlässlich der Fußball-WM in Deutschland, postuliert. Die Medien gingen auf das Thema ab wie Schmitz Katze. Die französische Tageszeitung Le Monde fragte beispielsweise: „Wird die 18. Weltmeisterschaft alle Rekorde in Sachen Prostitution brechen?" Die Eröffnung von Großraumbordellen in deutschen Städten ein paar Monate vor WM-Beginn wurde als Indiz für die große Sexlust von Fußballfans angesehen.Doch die New York Times stellte später fest, dass die Bordelle alles andere als überfüllt waren. In einem Bericht über den Berliner Sexclub „Artemis" gaben die Betreiber an, dass es während des Turniers zu keiner Belebung des Geschäfts gekommen sei. Ein Grund dafür, so eine der befragten Sexarbeiterinnen, sei die Tatsache, dass bei Sportveranstaltungen wie der WM die Fans in Gruppen anreisen, manchmal auch mit der Familie, was einen Bordellbesuch schwierig gestalten würde. „Es ist nicht so leicht, zu seinen Freunden zu sagen, ‚Sorry Freunde, ich geh mal schnell für 20 Minuten in einen Puff.'"
* * *
Anzeige
Vier Jahre später, zur WM 2010 in Südafrika, wurde dieselbe Story wieder aufgewärmt und in den Medien verbreitet. Die Ankündigung, dass eine Milliarde Kondome in das Land gebracht würden—zusammen mit 40.000 sogenannten „Sexsklaven"—ließ die Grenze zwischen Fußballfans und ausgemachten Sextouristen erneut verschwimmen. Erneut hieß es vonseiten verschiedener Verbände und Medien, dass die WM mit einem Anstieg von Prostitution Hand in Hand gehen würde.Nach dem Turnier veröffentlichte der United Nations Population Fund eine sehr ausführliche Studie über den Einfluss der WM 2010 auf die Prostitution in Südafrika. Die zentrale Schlussfolgerung war, dass es „keinen signifikanten Anstieg von Prostitution während der WM" gegeben habe.Der einzige entscheidende Unterschied, den Sexarbeiterinnen in der Zeit festgestellt haben, war die Tatsache, dass von Polizeiseite deutlich mehr Druck gemacht wurde.„Wiederhole eine Lüge oft genug und sie wird wahr", erklärt uns Morgane Merteuil von der französischen Gewerkschaft für Sexarbeit („Syndicat du Travail Sexuel", STRASS). „Das Ganze ist ein großes Märchen, das immer wieder neu aufgetischt wird."Was sie stattdessen wirklich beobachten konnte, war „ein Anstieg der Unterdrückung von Prostituierten im Vorfeld von großen Sportveranstaltungen." So gab es anlässlich der WM 2014 in Brasilien und der Olympischen Spiele 2012 in London zahlreiche „Polizeirazzien und -durchsuchungen. Sie versuchen dann immer, die Stadt aufzuräumen."
* * *
Anzeige