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Gender Pay Gap

Nein, Island schließt nicht den Gender-Pay-Gap

Island ist super, aber den Gender-Pay-Gap hat es leider nicht abgeschafft.

Dass Island wunderbar ist, würde ich immer und sofort unterschreiben. Seit gestern ist Island für viele noch toller geworden. Der Sozialminister der kleinen Inselnation, der auf den wunderschönen Namen Þorsteinn Víglundsson hört, kündigte ein Gesetz an, das gleiche Bezahlung für Frauen und Männer sicherstellen soll.

Was Geschlechtergerechtigkeit angeht, ist Island immer schon ein Vorreiter gewesen. Man muss sich nur den Frauenstreik von 1975 in Erinnerung rufen, als die isländischen Frauen kollektiv ihre Arbeit niederlegten, um gegen Gehaltsungleichheiten zu demonstrieren und zu zeigen, dass ohne sie das ganze Land zusammenbrechen würde.

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Island war es auch, das mit Vigdís Finnbogadóttir bereits 1980 die erste Frau demokratisch zum Staatsoberhaut wählte und auch das erste Land, das mit Jóhanna Sigurðardóttir 2009 eine bekennende lesbische Politikern zur Regierungschefin machte.

Bevor jetzt aber alle in Jubelchöre ausbrechen und ein Gesetz, wie es gerade in Island angekündigt wurde, in Österreich (oder wo auch immer) verlangen, eine kleine Erklärung, warum der Effekt dieses Gesetzes nicht sonderlich groß sein wird und eher als symbolischer Akt zu verstehen ist:

Das Gesetz soll vorsehen, dass Personen unabhängig von ihrem Geschlecht für dieselbe Tätigkeit in einem Betrieb dieselbe Bezahlung erhalten. Um diese gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit sicherzustellen, sollen Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeiter_innen in Berichten diese Gleichstellung ausführen.

Die Frage ist, ob diese Maßnahme den Gender-Pay-Gap tatsächlich schließen kann. Ohne Island schlecht machen zu wollen: Das Gesetz wird nur marginal dazu beitragen.

Die Frage ist, ob diese Maßnahme den Gender-Pay-Gap tatsächlich schließen kann. Ohne Island schlecht machen zu wollen: Das Gesetz wird nur marginal dazu beitragen. Die Gründe für den geringen Effekt liegen auf der Hand und zeigen auch auf, weshalb ein solches Gesetz in Österreich wenig Nutzen bringen würde.

Das Gesetz wird nur größere Unternehmen betreffen. Schaut man sich die Struktur österreichischer Betriebe an, wären von diesem Gesetz mehr als 40 Prozent aller Beschäftigten nicht erfasst, weil sie in Unternehmen mit weniger als 25 Mitarbeitern arbeiten.

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Auch wenn das Gesetz direkt in den Betrieben ansetzen möchte, übersieht man damit, dass die Gehaltsunterschiede von Frauen und Männern größtenteils durch ganz andere gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Frauen übernehmen nämlich auch auf Island wesentlich mehr unbezahlte Kinderbetreuungs- und Haushaltsarbeiten als Männer (in Österreich sind die Unterschiede um einiges größer). Daraus ergeben sich für Frauen natürlich wesentliche Nachteile am Arbeitsmarkt. Sie sind länger in Karenz als Männer und arbeiten viel öfter und vor allem langfristiger Teilzeit im Vergleich zu Männern.

Aus dieser Ungleichverteilung von familiären Verantwortlichkeiten resultiert auch ein Großteil des isländischen Gender-Pay-Gap von 14 bis 18 Prozent, was im Vergleich zu Österreich 22 Prozent fast lächerlich klein (aber natürlich noch immer zu groß) erscheint. Dennoch wird das Gesetz diesen Unterschied auch auf Island nur minimal reduzieren und auf gar keinen Fall verschwinden lassen, wie es gerade oft dargestellt wird.

Die ungleiche Verteilung unbezahlter Arbeit hat für Frauen langfristige Auswirkungen, die genau diese Einkommensnachteile verursachen.

Die ungleiche Verteilung unbezahlter Arbeit hat für Frauen langfristige Auswirkungen, die genau diese Einkommensnachteile verursachen. Frauen haben dadurch nämlich auch auf Island weniger Aufstiegschancen, weniger Weiterbildungsmöglichkeiten und eine schlechtere Verankerung am Arbeitsmarkt. Dementsprechend sind sie weniger in Führungspositionen und sind weniger oft Managerinnen von oder in Unternehmen.

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Auch Rollenzuschreibungen spielen eine wesentliche Rolle in der Erklärung isländischer Gehaltsunterschiede, denn auch dort sind Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Gebieten unterrepräsentiert, wobei gerade dort die größte Wertschöpfung erzielt wird und entsprechend höhere Gehälter bezahlt werden.

Das Isländische Sozialministerium hat zum Weltfrauentag genau diese Geschlechterunterschiede kompakt zusammengefasst und sich damit eigentlich selbst eine Handlungsanleitung gegeben, wo sie ansetzen müssen um den Gender-Pay-Gap zu schließen.

Auch wenn diese Erläuterungen jetzt ernüchternd wirken sollten: Island ist und bleibt ein Vorbild, wenn es um den Kampf für Gleichberechtigung geht. In vielen Studien wurde Island zu dem Land mit der größten Gleichstellung von Frauen und Männern, oder zu dem Land mit den besten Arbeitsbedingungen für Frauen gewählt.

Auch wenn diese Erläuterungen jetzt ernüchternd wirken sollten: Island ist und bleibt ein Vorbild, wenn es um den Kampf für Gleichberechtigung geht.

Wer schon einmal einen Tag lang das Treiben auf den Straßen von Reykjavík beobachten konnte, kann möglicherweise erahnen, was der Grund ist. Ich persönlich habe noch nie so viele Männer mit Kinderwägen in meinem ganzen Leben gesehen. Eine Isländerin erzählte mir einmal, dass eine sie besuchende amerikanische Freundin ganz erstaunt gefragt habe, woher die ganzen schwulen Nannys auf Island kämen. Sie musste lachen und erklären, dass es Väter in Karenz seien.

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Genau dort gilt es anzusetzen. Die Familie und damit Kinderbetreuung und Haushaltstätigkeiten sind nicht die alleinige Verantwortung von Frauen. Männer haben ebenso eine Verantwortung, die über die des Familienernährers hinausgeht. Wenn die Politik die Rahmenbedingungen schafft, dass Väter diese Verantwortung auch wahrnehmen können und wollen, können wir den Gender-Pay-Gap wesentlich stärker verringern, als durch symbolische Gesetze.

Eine bessere Aufteilung dieser Arbeiten kann man nicht gesetzlich erzwingen, aber man kann Rahmenbedingungen schaffen, die Anreize bieten, dass Väter diese Verantwortung endlich verstärkt wahrnehmen. Dadurch können Frauen überhaupt erst mit Männern auf Augenhöhe am Arbeitsmarkt konkurrieren und ihre Einkommenssituation gegenüber Männern wesentlich verbessern.

Nicht nur Österreich hat hier noch einiges zu tun, auch Island kann sich noch verbessern.

In diesem Sinne: Ísland Áfram!

Johannes Gasser hat Volkswirtschaft studiert und ist jetzt unter anderem Referent für Gleichstellungspolitik von NEOS. Am liebsten wäre er gerade selbst mit einem Kinderwagen auf den Straßen von Reykjavík.