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Die SPÖ braucht einen Wolfgang Schüssel

Faymann ist weg. Das ist gut, aber löst das Problem nicht, findet Rudi Fußi.
​Titelbild: SPÖ-Pressestelle | Flickr | CC BY 2.0

Faymann ist weg. Das ist gut. Es löst nur das Problem nicht—immerhin war er auch nur ein Symptom für die Probleme der Partei. Die jetzt diskutierte Frage, wie etwa der Umgang mit der FPÖ, ist nur eine Ablenkung von den tatsächlichen Problemen der Sozialdemokraten und eine Themenverfehlung, die den Blick auf das Wesentliche verstellt.

Ich wurde von VICE eingeladen, meine Vorstellung davon zu skizzieren, was nun als SPÖ zu tun sei, beziehungsweise was ich dieser Partei empfehlen würde. Beim Nachdenken bin ich zum Schluss gekommen, dass diese Empfehlung vom Prinzip her, auch für die ÖVP gilt.

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Die politische Klasse hat sich als Ganzes von den Lebensrealitäten der Menschen verabschiedet. Dazu kommt, dass man den Menschen ein Österreich vorgaukelt, welches es längst nicht mehr gibt. Man negiert Probleme, redet sie schön, weil alles andere ja das Eingeständnis des eigenen Scheiterns wäre. Wer gibt schon gern zu, dass er seinen Job versemmelt hat?

Die SPÖ hat dann eine Chance, wenn sie den Mut aufbringt, den Teufelskreis der Verleugnung zu durchbrechen und der Wahrheit ins Auge zu sehen. Man muss den Status quo analysieren, die Probleme offen ansprechen und konkrete Lösungen abseits von Politmarketing und strategischen Überlegungen vorlegen.

Die richtigen Fragen stellen

Die Partei sollte sich möglichst rasch Fragen stellen, die einer Antwort bedürfen. Was erwarten sich Menschen von uns und erfüllen wir diese Erwartungen? Was sagen wir, und was tun wir? Wie weit klaffen unsere eigenen Ansprüche und die Realität auseinander? Ist die Art und Weise, wie wir Politik verstehen und betreiben noch zeitgemäß? Warum haben wir bei jungen Menschen keine Chancen mehr? Wofür steht die Sozialdemokratie eigentlich? Braucht es die Sozialdemokratie in ihrem jetzigen Zustand heute noch?

Welche Werte einen uns, kümmern wir uns nur noch um den Machterhalt oder verbindet uns eine gemeinsame Idee, und wenn ja, was genau ist sie—und vor allem, ist sie für die Menschen heute noch zu erkennen? Was ist unsere Vorstellung von Land und Partei in 20 oder 30 Jahren? Was können wir überhaupt noch national tun, und wo sind wir ohne internationale Lösung schlichtweg hilflos?

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Die Wahrheit erkennen

Die SPÖ hatte immer was zu verteilen. Jetzt ist nichts mehr zum Verteilen da. Trotzdem erweckt sie noch immer die Erwartungshaltung, dass man als Partei oder Staat alles richten könne. Fakt ist jedoch, dass viele Dinge in einer globalisierten Welt, national nicht mehr gelöst werden können; das sagt man den Menschen nicht, weil es ja die eigene Bedeutung schmälern und die Abkehr vom Paternalismus bedeuten würde. Die Erwartung der Menschen war immer, dass es ihren Kindern einmal besser gehen möge. Heute reicht es uns ja schon, wenn es unseren Nachkommen "einmal so gut gehen wird" wie uns.

Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, kann man feststellen: Die SPÖ erfüllt die Erwartungen der Menschen nicht. Die Realpolitik der SPÖ tritt ihre eigenen Werte mit Füßen. Die SPÖ spricht davon, dass Arbeit sehr wichtig sei und sorgt mit für eine skandalös hohe Steuer- und Abgabenquote. Die SPÖ spricht davon, dass Schulden unsozial seien und macht jedes Jahr in Regierungsverantwortung noch mehr Schulden, die wir niemals mehr zurückbezahlen werden können.

Die SPÖ verspricht seit Jahren, dass die Schere zwischen Arm und Reich kleiner werden müssen, tatsächlich erleben wir das Gegenteil. Die SPÖ spricht von erfolgreicher Arbeitsmarktpolitik und lobt die hohen Beschäftigungszahlen, übersieht aber gleichzeitig Rekordarbeitslosigkeit und die Tatsache, dass die hohen Beschäftigungszahlen ausschließlich prekären Arbeits- und Teilzeitverhältnissen geschuldet sind. Die SPÖ spricht von der Entlastung des Faktors Arbeit und dass sie im Bereich vermögensbezogener Steuern eh was weitergebracht habe. Tatsächlich leben wir in einem Land, in dem jede Arbeit, ob unselbstständig oder selbstständig bestraft wird, während Spekulation, Glück und Mega-Vermögen unangetastet bleiben. Wir leben in einem Land in dem Starbucks und Co. weniger Steuern auf ihre Gewinne zahlen, (nämlich nur die Mindest-KÖSt) als jeder normale KMU-Unternehmer.

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Ein neuer Kanzler sollte sich für das jahrelange Fehlverhalten der SPÖ entschuldigen.

Die Armut explodiert, das Pensionssystem ist alles andere als sicher—außer man versteht unter Sicherheit, dass eh jede und jeder irgendwann einmal sowas wie eine Pension erhält. Dann jedoch in einer Höhe, die nichts mit dem zu tun hat, was man einbezahlt hat.

Die SPÖ ergeht sich in Kompromiss- und Abtauschpolitik, verwässert eigene Positionen und wundert sich dann, dass sich die Menschen von ihr abwenden. Das ist übrigens auch der Grund, warum die SPÖ keinerlei Chance mehr hat, Menschen aus idealistischen Gründen zum Mitmachen in der Partei zu bewegen. Kurzum: Die SPÖ hat ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Die Partei muss verstehen und aussprechen, dass die Menschen enttäuscht sind und ihr nichts mehr glauben. Man kann dies den Menschen auch nicht einmal vorwerfen, schließlich hat man Werte und Positionen bis zur Unkenntlichkeit in der Realpolitik am Altar der Macht geopfert. Die ehrliche Erkenntnis, dass es so nicht weiter gehen kann, ist der Beginn für einen möglichen Neustart der Partei, im Übrigen auch der Republik.

3. Mehr Freiheit und Demokratie

Wir brauchen im Wirtschaftsbereich dringend die Entrümpelung der Gewerbeordnung und die Abschaffung unnützer Auflagen. Ich bin zum Beispiel gegen Strafe verpflichtet, meinen Angestellten zu zeigen, wie man ein Postpaket richtig hebt oder muss, ebenso gegen Strafe, meiner Putzfrau schriftlich mitzuteilen, dass sie die Putzmittel nicht trinken soll. Wir brauchen einen Staat, der klare Regeln aufstellt, aber unnütze Bevormundung einstellt. Es geht um nichts weniger als die Neuinterpretation und -gestaltung des Verhältnisses von Staat und Bürger.

Wir brauchen daher die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, eine massive Stärkung der Persönlichkeitswahl zulasten der Parteien und die Partizipationsmöglichkeiten gehören ausgeweitet, bis hin zu einem Interpellationsrecht analog zur Schweiz. Der Staat muss seinen Bürgern gegenüber in die dienende Rolle zurückkehren.

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4. Realwirtschaft stärken, Finanzwirtschaft zurückdrängen

Zentraler Punkt einer glaubwürdigen Sozialdemokratie muss das Bekenntnis und die Unterstützung der Realwirtschaft bei gleichzeitiger Bekämpfung der exzessiven Auswüchse des Finanzkapitalismus und der Industrieoligopole sein. Banken sollen auf ihr Kerngeschäft reduziert werden: Einlagen annehmen, Kredite vergeben, Zahlungsverkehr organisieren.

Alles andere brauchen wir als Staat nicht fördern, nicht mit einer Einlagensicherung unterstützen oder absichern. Die Spekulation ist zurückzudrängen und zu bekämpfen. Wenn jemand privat Lust hat, in irgendwelche schwindligen Dinge zu investieren: Go for it. Der Staat fängt dich aber dabei nicht mehr auf und besteuert diese kranken Dinge künftig ordentlich. Wenn es eine Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel gibt, muss es diese natürlich auch für Aktien und Börsenprodukte geben.

5. (International) Kämpfen—ob man gewinnt oder nicht

Oft ist ja Brüssel schuld. Als Ausrede natürlich. Aber in der Tat ist der Gestaltungsspielraum von nationaler Politik beschränkt; viele Fragen werden international entschieden. Jörg Leichtfried hat völlig recht, wenn er sagt, dass man den Kapitalismus erneut besiegen müsse. Gemeint ist damit nicht die Marktwirtschaft, gemeint sind die Auswüchse des Finanz- und Casinokapitalismus. Die Macht der Industrieoligopole kann fast nur auf internationaler Ebene geführt werden, hier muss unser Kanzler ein Player werden, der—egal, ob erfolgreich oder nicht—diesen Kampf annimmt und in die Institutionen trägt. Dies gilt freilich auch national: Die SPÖ muss wieder zur Kampforganisation werden, wie die gesamte Sozialdemokratie weltweit auch, und den eigenen Leuten vermitteln: Wir kämpfen bis zum letzten Blutstropfen, völlig egal, ob wir gewinnen oder verlieren.

Als Parteivorsitzender, also nach innen, würde ich im Wesentlichen das tun, was Stefan Sengl in seinem Blog sehr gut beschrieben hat. Die Partei mit Demokratie fluten, die Löwelstraße wieder zum Leben erwecken, die Inserate-Politik beenden, das soziale Profil schärfen. Da ist viel Gutes dabei. Jetzt wird man einwenden, dass die von mir beschriebenen Punkte ja nichts mit Flüchtlingspolitik oder FPÖ zu tun hätten. Oder mit dem „sozialen Profil" der SPÖ.

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Stimmt. Stimmt aber auch nicht. Die SPÖ muss sich zur Anwältin jener machen, die auf ihre Arbeitsleistung angewiesen sind. Damit sich Arbeit wieder lohnt, muss unser Steuersystem dringend umgebaut werden. Die SPÖ muss sich zur Anwältin jener machen, die noch nicht arbeiten, nicht mehr arbeiten, nicht arbeiten können oder dürfen. Damit das leistbar bleibt, muss man den Sozialstaat durch effiziente Gestaltung des Staates absichern.

Die SPÖ muss sich ebenso zur Anwältin jener machen, die in der Realwirtschaft unternehmerisch tätig sind, egal ob als EPU oder KMU, und Rahmenbedingungen so gestalten, dass Innovationen angeregt, die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtert und das Unternehmertum gefördert wird.

Die SPÖ muss sich zur Gegnerin des Finanzkapitalismus machen und ihn in die Rolle zurückdrängen, die ihm zusteht. Die SPÖ muss zur Anwältin von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten werden. Das bedeutet auch eine Abkehr vom bisherigen „Von der Wiege bis zur Bahre"-Paternalismus.

Es ist eine Herkulesaufgabe, weil es dafür jemanden braucht, der gegen den Widerstand in der eigenen Partei, aus tiefster Überzeugung, diesen Plan durchzieht.

Und es beantwortet auch die Frage nach dem richtigen Umgang mit Flüchtlingen oder eine etwaige Koalitionsfrage mit der FPÖ. Kurz gesagt: Die SPÖ muss sich neu definieren und erfinden. Dieses Land braucht eine Partei, die den Mut hat, die Probleme auszusprechen, den Blick nach vorne richtet, alte Zöpfe abschneidet und das Notwendige umsetzt. Diese SPÖ wird mit sich selbst ringen und viele Konflikte aushalten müssen. Es wird dieser SPÖ wehtun, Gewohntes aufzugeben und gegen den eigenen Klientelismus vorzugehen. Am Ende würden wir aber eine SPÖ haben, die fest auf ihren Grundwerten steht, die Ideen der Vorväter in die Neuzeit transponiert hat und die ein Österreich führen würde, das zu einem Vorbild in ganz Europa werden könnte.

Es ist eine Herkulesaufgabe, weil es dafür jemanden braucht, der gegen den Widerstand in der eigenen Partei, aus tiefster Überzeugung handelnd, diesen Plan durchzieht. Die SPÖ braucht also einen Wolfgang Schüssel. Christian Kern könnte das. Ob er es auch schaffen wird? We will see.

Rudi Fußi ist Gründer und Geschäftsführer der Wiener Kommunikationsagentur mindworker und lebt in Wien.


Titelbild: SPÖ Pressestelle | Flickr | CC BY 2.0