3 Fotos von DJs beim AuflegenW
Fotos links und rechts mit freundlicher Genehmigung der Interviewten bereitgestellt | Mittleres Foto: Liske Photography
Menschen

So stressig und einsam ist das DJ-Leben

Es ist alles andere als eine nicht enden wollende Party.

Auf Social Media sieht das DJ-Leben aufregend aus: Freitagnacht ein Gig in Paris, Sonntagmorgen ein leckeres Eis nach einem Auftritt im sonnigen Rom, abgerundet mit einem Set in einem berühmten Berliner Club am selben Abend. Was man nicht sieht: Übermüdung, Einsamkeit und eine Menge Stress

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Techno ist ein riesiges Geschäft. Und wo es viel Geld gibt, ist die Konkurrenz groß. Um weiter aus der Masse herauszustechen, unterhalten große DJs häufig ein ganzes Team aus PR-Agenten, Karriere-Strateginnen und Tourmanagern. Die allermeisten haben aber nur eine Booking-Agentur, alles andere machen sie selbst. Und das kann harte Arbeit sein.

Wir haben die DJs Laure Croft, Kimmah, Moody Mehran und Viscerale gefragt, wie sie mit den Schattenseiten ihres Traumjobs umgehen.

Laure Croft

Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren legt mit Vinyl auf

Laure Croft

Laure Dirven, wie Croft in echt heißt, hat vor drei Jahren mit dem Auflegen angefangen. Die Karriere der gebürtigen Niederländerin nahm schnell Fahrt auf und seitdem hat sie in zahlreichen internationalen Clubs aufgelegt. Mit dem Erfolg kamen aber auch großer Druck, Online-Hass und einige Versuchungen.

Als Laure nach Berlin zog, merkte sie, dass es in der DJ-Szene ein großes Suchtproblem gibt. "Die Grenze zwischen Arbeit und Ausgehen verschwimmt", sagt sie. Am Anfang nahm sie während ihrer Sets Drogen, fing aber bald an, das zu hinterfragen. "Ich dachte, ich könnte damit das Publikum besser lesen, aber in Wahrheit war ich viel mehr mit meinem eigenen High beschäftigt", sagt sie. "Mir wurde klar, dass das Publikum nicht mich hörte, sondern einen Haufen Drogen." Schließlich hörte Laure auf, Drogen bei ihren Auftritten zu nehmen. Inzwischen trinkt sie nicht mal mehr Alkohol, wenn sie spielt.

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Laure glaubt, dass viele ihrer Kolleginnen und Kollegen zu diesen Mitteln greifen, weil der Job so stressig ist. Man tritt vor einer großen Menge auf, kämpft mit Versagensängsten, bereitet unter der Woche lange Sets vor und steht unter sozialem Druck, muss ständig netzwerken. Dazu kommen anstrengende Tourpläne, Logistikprobleme und unregelmäßige Schlafenszeiten. "Wenn es dir mal nicht gut geht, musst du trotzdem spielen. Es sei denn, du bist richtig krank", sagt sie. "Es ist ziemlich intensiv und manchmal überfordert es einen."

Laure hat sich professionelle Hilfe gesucht, aber bislang fehlt ihr ein Coach, der das Geschäft gut kennt und sie unterstützen kann. Auch Social Media ist ein Problem. Nach einem Auftritt bekam sie einmal so viele Hassnachrichten von einem anonymen Instagram-Account, dass sie sofort den Club verließ und sich in ihrem Hotelzimmer verbarrikadierte. "Die negative Seite des Bekanntseins ist die viele Kritik, die man bekommt", sagt sie. "Die Leute behandeln einen, als hätte man keine Gefühle. Dabei bin ich sehr sensibel."

Viscerale

Eine DJ steht in orangenem Top und mit Kopfhöreren vor CDJs

Viscerale | Foto: Liske Photography

Als Nadja, wie Viscerale bürgerlich heißt, 2017 mit dem Auflegen anfing, hätte ihr Lampenfieber ihre Karriere fast beendet, bevor sie richtig losging. "Ich habe schnell auf die harte Tour gelernt, dass es trotz der ganzen Ängste nur einen Weg gibt", sagt Nadja. "Augen zu und durch." Inzwischen hat sie in allen großen Berliner Clubs und bei vielen Partys im Ausland gespielt.

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Auch sie hat früh gemerkt, dass sie am besten nüchtern auflegt und sehr auf ihren Schlaf achten muss. "Ausnahmen mache ich nur in Berlin, wenn meine Freunde dabei sind, oder ich in anderen Städten eine engere Beziehung zu der Crew pflege." Um dem Schlafentzug entgegenzuwirken, versuche sie vor und nach ihren Sets ins Bett zu gehen. Da bleibt dann häufig nicht viel Zeit für die Party selbst, "aber an erster Stelle kommt meine Gesundheit".

"Oftmals fühlt man sich trotzdem wie eine Enttäuschung, wenn man nicht länger bleibt und mit der Crew und den Gästen feiert", sagt Nadja. Auch das Networking leide manchmal darunter. Gerade für aufstrebende DJs ist es wichtig, guten Kontakt mit Bookern und Veranstaltern zu pflegen. "Ich habe manchmal Schwierigkeiten, das dann über Social Media wieder auszugleichen."

Bis vergangenen Sommer nutzte Nadja ihre Auftritte im Ausland, um andere Länder kennenzulernen. Im Sommer änderte sich aber auch das. In Los Angeles wurde sie unvermittelt am helllichten Tag vor einem Auftritt von einem Fremden auf der Straße angegriffen und schwer verletzt. "Da war es mit dem Touren erst mal vorbei." Nach einer Operation und langwieriger Physio- und Traumatherapie habe sie dann langsam ins DJ-Leben zurückgefunden. "Heute versuche ich, an fremden Orten vorsichtiger zu sein und mich mehr auszuruhen, auch wenn Neugierde und Rastlosigkeit oft überwiegen."

Auch durch den Vorfall habe sie gemerkt, dass es für sie besser ist, neben dem Auflegen noch etwas anderes zu machen. Seit einem Jahr lässt sie sich zur Goldschmiedin ausbilden. Am Ende gehe es um die Balance, sagt Nadja, und darum, auf sich selbst zu achten. "Auch wenn das nicht immer leicht fällt."

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Kimmah

Eine junge Frau mit schwarzen Haaren steht in kurzem Rock und bauchfreiem Top an eine Tür gelehnt

Kimmah | Foto: Marieke Struijk

Kim Nguyen lebt in Rotterdam und nennt sich als DJ Kimmah. Sie findet, dass weibliche DJs es im Nachtleben besonders schwer haben. Clubs seien "Orte, die Täter anziehen", sagt sie.

Bei einem Auftritt in der Schweiz wurde Kim siebenmal vor, während und nach ihrem Set belästigt. "Das ging von ungewollten Berührungen, als ich vor meinem Auftritt durch die Menge lief, über Männer, die während meines Auftritts meine Hände berührten, bis hin zu einer Gruppe, die nach dem Auftritt am Ausgang der DJ-Kanzel auf mich wartete", sagt sie. "Ein anderer Mann hat mich belästigt und dann durch den ganzen Club verfolgt. Ich bin schließlich in den Backstage geflohen, wo ich zitternd dasaß", sagt Kim. Das Management habe eine halbe Stunde gebraucht, um zu reagieren. "Sie mussten anscheinend erst den Mut aufbringen, um ihn anzusprechen."

Kim hatte auch davor schon schlechte Erfahrungen bei Auftritten, aber fühlte sich zu neu im Geschäft, um etwas dagegen zu tun. Sie hatte Angst, dass Veranstalterinnen und Veranstalter sie als schwierig abstempeln und weniger häufig buchen. "Ich dachte mir: Das gehört halt dazu, so läuft das in Clubs", sagt Kim. "Ich habe mich deswegen extrem unwohl gefühlt. Vor allem, weil man nach solchen Vorfällen immer noch in einer fremden Stadt alleine zum Hotel zurück muss. Wer weiß, ob jemand draußen auf dich wartet?"

Die Erfahrungen in der Schweiz hatten Kim so mitgenommen, dass sie Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelte. "Als ich wieder zu Hause war, hatte ich einen mentalen Zusammenbruch", sagt sie. "Irgendetwas musste sich ändern, oder ich hätte aufhören müssen. Dann habe ich mir überlegt, was ich brauche, um mich bei der Arbeit sicher zu fühlen."

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Also verfasste Kim einen Safety Rider, der sich an den üblichen Ridern orientiert, in denen DJs den Veranstaltern mitteilen, unter welchen Bedingungen sie auftreten. Bei Kims Rider geht es ausschließlich um Sicherheitsaspekte. Außerdem ist Kim in einer WhatsApp-Gruppe aktiv, in der sie und andere Künstlerinnen sich über ihre Erfahrungen austauschen, Ratschläge geben und praktische Dinge besprechen – wie zum Beispiel die Unterkunft nach einem Auftritt.

Nachdem sie ihren Safety Rider bei Instagram veröffentlicht hatte, bekam Kim viele Nachrichten von weiblichen und queeren Menschen, die bei Auftritten ähnliche Dinge erlebt hatten. "Sie waren froh, dass das Thema endlich öffentlich besprochen wurde". sagt sie. "Ich habe auch Nachrichten von älteren weiblichen DJs bekommen, die seit zehn oder fünfzehn Jahren in Clubs spielen. Ein paar von ihnen meinten, sie hätten erst jetzt erkannt, wie sehr sie solche Erfahrungen damals verletzt haben. Sie hatten aber immer wieder ein Auge zugedrückt, weil es normal schien und sie es nicht besser wussten."

Moody Mehran

Ein junger Mann mit schwarzem Schnurrbart sitzt bei sonnigem Wetter auf einem Rad

Moody Mehran

Der in Amsterdam lebende Moody Mehran ist in der niederländischen Szene sehr etabliert. Neben Auftritten in Clubs und auf Festivals organisiert Mehran Palad, wie er eigentlich heißt, auch selbst Partys und ist einer der Hosts von Diasporaradio, einer Radiosendung, die Künstlerinnen und Künstler aus der nordafrikanischen und südostasiatischen Diaspora vorstellt.

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Mehran sagt, er fühle sich im Nachtleben zu Hause. Allerdings habe er auch jahrelang mit Depressionen gekämpft. "Seit ich 16 war, bin ich jedes Wochenende in einen Club gegangen", sagt er. "Im Nachtleben werde ich nicht diskriminiert, dort habe ich Verbindungen aufgebaut und eine Gemeinschaft gefunden." Allerdings sei es auch der Ort gewesen, an dem er vor alten Traumata floh. "Das habe ich mithilfe von Drogen und Alkohol gemacht. Als ich dann anfing, aufzulegen und meine eigenen Partys zu organisieren, wurde der Eskapismus Teil meines Jobs."

Mit den Jahren falle es ihm immer schwerer, nachts zu arbeiten. Auch ohne Alkohol und andere Drogen fühle er sich manchmal noch depressiv. Und er brauche immer länger, um sich von einer langen Partyschicht zu erholen. 

"Beim Auflegen bin ich euphorisch, es erfüllt mich. Ich bin von vielen Menschen umgeben und kriege viel Wertschätzung", sagt er. "Aber ich komme erst nach Hause, wenn andere aufstehen. Und dann fühle ich mich einsam und leer." Mit zunehmendem Alter haben immer mehr Menschen im Freundeskreis normale Arbeitszeiten, als DJ, der da aus der Reihe tanzt, spürt man das bisweilen sehr. "Das ist immer schon schwer für mich und etwas, mit dem ich noch immer kämpfe."

Ein anderes Problem ist für Mehran, über die Jahre relevant zu bleiben. "Künstler zu sein, ist ein Beliebtheitswettbewerb", sagt er. "Nur weil es gerade gut läuft, heißt das nicht, dass es in zwei Jahren auch so sein wird."

Das bedeutet, dass Mehran sich kaum ein Wochenende freinimmt oder richtigen Urlaub macht. "Sonst würde ich Auftritte verpassen, nicht weiter wachsen", sagt er. "Die Gefahr, dass deine Karriere einfach so enden kann, führt dazu, dass du immer weitermachst. Wenn ich ehrlich bin, wäre es wahrscheinlich besser, eine Pause einzulegen. Ich höre auch von anderen DJs in meinem Umfeld, dass sie sich nach einer Auszeit sehnen."

Im Gegensatz zu klassischen Arbeitsplätzen gibt es im Nachtleben keine Personalabteilung. Das heißt, die Künstlerinnen und Künstler müssen ihre Probleme selbst lösen. "Es wäre schön", sagt Mehran, "wenn die Agenturen und Booker sich nicht nur um die Auftritte kümmern, sondern auch mehr auf die Künstler achten würden, ob sie in guter Verfassung sind und mit der Belastung klarkommen."

Ihm helfen eine Therapie und strenge Schlafenszeiten unter der Woche. Mehran lebt außerdem in einer WG, wodurch er sich weniger einsam fühlt. Seine DJ-Karriere sieht er optimistisch. "Die Möglichkeit zu haben, Menschen auf der Tanzfläche ihre Probleme vergessen zu lassen, entschädigt für die schlechten Seiten."

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