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lieber widerlich als wieder nicht

José Mourinhos Ästhetik des Hässlichen

Du kannst über Mou und seine Spielphilosophie denken, was du willst. Aber erstens sprechen seine Titel für ihn und zweitens scheißt er auf deine Meinung.
Photo by CSPA via USA TODAY Sports

José Mourinho hat es mal wieder geschafft. In seinem zweiten Jahr nach seiner Rückkehr nach West London ist Chelsea am Wochenende vorzeitig Meister geworden und keiner, wirklich keiner scheint ihm und seinem Team den Titel zu gönnen.

Obwohl ihn der zweite Punkt nicht im Geringsten stört. Auch nicht die Kritik an der angeblich wenig inspirierenden Spielweise seiner Mannschaft. Mourinho legt keinen Wert darauf, ästethisch anspruchsvollen Fußball spielen zu lassen. Sein künstlerisches Markenzeichen besteht darin, dass er keinen Fick auf Kunst im Fußball gibt. Für ihn liegt das Proof of Concept einzig und allein im Endergebnis. Darum überrascht es auch nicht, dass er sich jüngst nach einem tristen 0:0 gegen Arsenal wie folgt zum Spiel geäußert hat: „Für mich ist ein Spiel dann schön, wenn meine Mannschaft vorher weiß, wie sie gegen den nächsten Gegner zu spielen hat, und dieses taktische Wissen dann im Spiel umsetzt. Gegen Arsenal waren wir deswegen auch großartig." Wäre Mourinho nicht im Trainergeschäft gelandet, würde er wahrscheinlich in irgendeinem portugiesischen Finanzamt sitzen, freudestrahlend Anträge bearbeiten und sich dabei an der Majestät der zugrundeliegenden Gesetze ergötzen. Oder aber er wäre Mathematikprofessor geworden und hätte mit einem Pfeifen auf den Lippen elendig lange Herleitungen an die Tafel gekritzelt. Denn eins steht fest: Dieser Mann LIEBT alles, was funktioniert. Zweckmäßigkeit ist seine Leidenschaft.

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Wie lässt sich jetzt aber all der Hass erklären, der ihm regelmäßig entgegenschlägt? Hauptgrund dafür ist sicherlich Mourinhos Ego, das sogar noch seine beachtliche Titelsammlung um Längen übertrifft. Am liebsten holt er es übrigens bei Pressekonferenzen raus, wo er regelmäßig für bald giftige, bald paranoide Auftritte sorgt (auch wenn er sich selber gern als Opfer der ach so gemeinen Presse darstellt). Und dann wäre da eben noch seine Philosophie, dass Fußball nicht schön, sondern erfolgreich sein muss.

Der Vorwurf, dass Chelsea unerträglichen Fußball spiele, ist gewiss kein neuer. Auch wenn die Beweislage durchaus löchrig ist. Denn auf ein „Schau dir doch einfach nur mal an, wie langweilig die spielen" werden Mourinho-Verfechter wahrscheinlich kontern, dass Chelsea in dieser Saison bisher die zweitmeisten Tore der Premier League geschossen hat. Darauf könnten Freunde eines gepflegten Defensivspiels wiederum antworten, dass Tore genauso viel über die ästhetische Qualität eines Spiels aussagen wie die Kalorienanzahl über den Geschmack eines Gerichts. Um es auf den Punkt zu bringen: Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Ich für meinen Teil kann zum Beispiel gar nicht genug davon kriegen, Diego Costa dabei zuzuschauen, wie er sich furchtloswie ein schnaubender Stier in jeden Zweikampf reinschmeißt. Auch wenn ich nicht glaube, dass meine Meinung unbedingt mehrheitsfähig ist.

Außerdem könnte man argumentieren, dass ein Team mit solchen Weltklassespielern in seinen Reihen einfach nicht langweilig sein kann. Zumindest nicht 90 Minuten am Stück. Um das besser zu verstehen, muss man sich nur anschauen, wie ein Oscar und ein Eden Hazard den Ball behandeln—ganz egal, ob sie dabei von einem Gegenspieler bedrängt werden oder nicht (hier wäre eine kleine Kostprobe dessen).

Der Reiz an Spielern dieser Klasse besteht darin, dass sie jederzeit mit einer einzigen Aktion das Spiel entscheiden können. Das wissen natürlich auch die Chelsea-Zuschauer, weswegen diese milde über die weniger kurzweiligen Spielabschnitte hinwegsehen und sich stattdessen einfach schon mal auf den nächsten Geniestreich ihrer Helden in Blau freuen—denn der kommt gewiss. Daran kann nicht einmal das taktische Korsett, in das Mourinho seine Spieler reinzwängt, etwas ändern.

Mourinhos Taktikmanie ist für Fußballästheten seine große Schwäche, für andere hingegen seine große Stärke. Wie dem auch sei: Wenn man sich den starken Kader anschaut, spricht vieles dafür, dass sein Team noch viel besser bzw. attraktiver spielen könnte. Wenn ihr Trainer sie nur lassen würde. Doch das ist nicht sein Anspruch. Sein Anspruch sind Titel und sonst nichts.

Darum wird Chelsea (bzw. Abramowitsch) diesen Sommer bestimmt noch mal die Geldschatulle aufmachen, damit nächstes Jahr in der Champions League nicht schon wieder so früh Schluss ist. Und wenn Mourinho überzeugt ist, dass dafür ein noch kontrollierteres Spiel nötig ist, dann stellt euch lieber schon mal darauf ein, dass wir genau ein solches Spiel zu sehen bekommen werden.