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1. fc köln

Karnevalsverein adé

Kölns Sportdirektor Jörg Schmadtke holt derzeit einen talentierten Youngster nach dem anderen. Dass sich der 1. FC Köln vom krisengebeutelten Karnevalsverein zum Traditionsverein nach Vorbild entwickelt hat, liegt auch an Uli Hoeneß.
Foto: Imago/Thilo Schmülgen

Als Anfang Mai bekannt wurde, dass Kölns einziger Torjäger Anthony Ujah den Verein in Richtung Werder Bremen verlässt, war die Aufregung groß. Der Abgang von Stammspieler und Abwehr-Star Kevin Wimmer zu den Tottenham Hotspurs war da auch schon beschlossene Sache. Dem FC drohte nach einer soliden Saison als Aufsteiger der Kern der Mannschaft wegzufallen.

Schnell war die Angst wieder da. Die Angst vor diesem 1. FC Köln, wo es drunter und drüber geht. Wo die Verantwortlichen in Hektik verfallen und die sportliche Leitung schnell vom Hof gejagt wird. Wo die schlagfertige und boulevardeske Kölner Medienlandschaft nur eine Minute nach internen Gesprächen schon mit Untergangsmeldungen titeln kann und der "Kölner Klüngel" die Entscheidungen im Verein herbeihetzt.

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Diesen 1. FC Köln, der nach Meisterschaften und Pokalsiegen zur Fahrstuhlmannschaft verkam, in den letzten 15 Jahren viermal ab und fünfmal wieder aufstieg und einen Schuldenberg von über 30 Millionen Euro anhäufte, gibt es seit dem 23. April 2012 nicht mehr. An diesem Tag wurde Werner Spinner, ehemaliges Vorstandsmitglied der Bayer AG, zum Präsident und Toni Schumacher, Kölner Towartlegende, zum Vizepräsident gewählt. Einen Monat später stieg der Krisen-Klub trotz beachtlichem 35-Millionen-Etat mit einer riesigen schwarzen Rauchwolke beim Spiel gegen den FC Bayern in die zweite Liga ab.

Schumacher und Spinner wussten, dass der Klub neben einer finanziellen Gesundung so schnell wie möglich eine neue sportliche Philosophie benötigte. Spinner suchte bei Bayern-Boss Uli Hoeneß während des Banketts nach dem katastrophalen Saisonabschluss und Abstieg nach Rat. Dieser empfahl unter anderem Jörg Schmadtke. Aufgrund seiner guten Arbeit und des Vertrages in Hannover konnte der FC aber lediglich Schmadtkes langjährigen Wegbegleiter Jörg Jakobs, damals Chefscout mit treffsicherem Hundenässchen bei 96, für sich gewinnen. Jakobs mistete daraufhin kräftig aus, führte die einzelnen Abteilungen im Verein zusammen und ließ sie nach Jahren wieder kommunizieren.

Nach einem persönlich enttäuschendem Jahr für Schmadtke in Hannover und einem Zweitligajahr im Mittelfeld kamen der FC Köln und ihr jetziger Geschäftsführer Sport im Sommer 2013 doch noch zusammen. Unter anderem Schmadtke-Freund Jakobs überzeugt ihn mit seinem Schwärmen vom ersten Jahr beim FC. Für den wichtigen Trainerposten konnte zudem der Überraschungsmeister-Trainer von Austria Wien, Peter Stöger, der mit lauter unbekannten Spielern die Millionen-Truppe von RB Salzburg degradierte, überzeugt werden. Es folgte der Aufstieg in die Bundesliga und der überraschende zwöflte Tabellenplatz in der letzten Saison.

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Durch die Vorarbeit von Jacob, Spinner und Schumacher, konnten Schmadtke und Stöger dem FC wie erhofft auch sportlich wieder eine Philosophie einflößen. Für den ehemaligen Chaos-Klub, dessen Umfeld nach zwei Siegen von der Champions League träumte und nach zwei Niederlagen zum Bürgerkrieg aufrief, kamen diese beiden Herren genau richtig. Sowohl der unaufgeregte und strukturierte Schmadtke aus dem Rheinland, der die Emotion liebt, sich aber nicht von ihr lenken lässt, als auch der nüchtern-konzentrierte Wiener Stöger drehten mit all ihrer Erfahrung und Ruhe an den richtigen Schrauben.

Beim FC ist es im Jahr 2015 wieder ruhig, endlich. Skandalmeldungen und Internas auf den Titelseiten sucht man vergeblich. Schmadtke und Stöger haben das Verhältnis zu den Medien professionalisiert. Sie meistern auch die Arbeit mit den Fans beim mitgliederstarken Traditionsverein. Zufriedene Gemüter in der Stadt und auf der Tribüne sind in Köln wohl der wichtigste Mosaikstein, um überhaupt vernünftig arbeiten zu können. Selbst die Querelen mit der Ultragruppierung „Boyz" und der Teilausschluss von Zuschauern für drei Spiele nach dem Platzsturm in Mönchengladbach konnte reibungslos bewältigt werden. Mit der Ultragruppierung befindet man sich nach einer Funkstille sogar wieder in Gesprächen.

In dieser Saison wurde eine solides Team zusammengestellt, das zu keiner Zeit im Abstiegskampf die Ruhe verlor. Schmadtkes und Stögers Eigenschaften lassen sich auch in ihrer Mannschaft erkennen. Die Kadermischung aus jungen Talenten und erfahrenen Respektspersonen ermöglicht einen nachhaltige und stetige Entwicklung. Die Mannschaft eint eine konzentrierte Zurückhaltung und stabile Gewöhnlichkeit. Es gibt keine Stars und keine Extrawürste.

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Für Stöger steht das Kollektiv über allem. Nur die Kapitänsfrage klärt er selbst. Der dienstälteste Kölner und 31-jährige Miso Brecko wurde wieder zum Kapitän ernannt. Der ein Jahr ältere Matthias Lehmann wird sein Vize. Neben den beiden erfahrenen Bundesligaspielern hat der Verein mit Timo Horn einen der besten Torwart-Talente im Kasten stehen und mit Jonas Hector sogar wieder einen deutschen Nationalspieler. Die Gerüchte über die Rückkehr der wechselwilligen FC-Legende Lukas Podolski wurden bewusst im Keim erstickt. Solch eine Star, der mit einem Sack voll Druck zurück in die Heimat kommt, würde die Zuschauer nur wieder zum Träumen bringen. Schmadtke und Stöger mögen keine Versprechen, die nicht eingehalten werden können.

In dieser Transferperiode lassen sie aber keinen Zweifel in welche Richtung es gehen soll. Die bisherigen Transferaktivitäten lassen selbst neutrale Beobachter aufhorchen. Mit den 12 Millionen Euro aus den Transfereinnahmen für Ujah, Wimmer und Halfar, die mit Gewinn verkauft werden konnten, holte er hoffnungsvolle Hochkaräter.

Mit Anthony Modeste wurde aus Hoffenheim ein Stürmer geholt, der vielleicht sogar stärker als Ujah werden könnte. Ein weiterer belebender Offensivakteur ist der Serbe Milos Jojic, der sich unter Jürgen Klopp beim BVB nicht durchsetzen konnte, aber ebenfalls ein enormes Entwicklungspotenzial besitzt. Für die Wimmer-Position wurden mit den Innenverteidigern Dominique Heintz vom 1. FC Kaiserslautern und Frederik Sörensen vom italienischen Meister Juventus Turin zwei junge, verheißungsvolle Nachwuchskräfte verpflichtet. Schmadtkes größter Coup war aber der Transfer von Leonardo Bittencourt, den er schon in Hannover vom BVB geholt hatte. Der deutsche U21-Nationalspielers etablierte sich in Hannover zum Stammspieler und soll als technisch versierter Außenspieler die Offensive zusätzlich beleben. Bis auf Modeste eint alle Spieler, dass sie für ihre Heimatländer an der U21-EM teilnahmen und noch lange nicht an dem Zenit ihrer Entwicklung angelangt sind.

Der FC Köln ist wieder ein attraktiver und ruhiger Verein, der für junge Spieler interessant geworden ist. Der Weg soll weiter in kleinen Schritten nach oben gehen. Der Klub verlängerte den ohnehin schon bis 2017 dotierten Vertrag von Manager Schmadtke bis 2020. Bis dahin sollen auch fast alle Verbindlichkeiten abgebaut werden. Der ganze Verein scheint mit den Fans und dem Kölner Klüngel an einem Strang zu ziehen. Die Zukunft für einen der größten Vereine in Deutschland könnte ähnlich wie in Gladbach oder Dortmund verlaufen. Doch träumen will man in Köln erst mal nicht mehr.

Folgt Benedikt bei Twitter: @BeneNie