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Popkultur

Unge wittert Verschwörung der "Milch-Lobby" – auch gegen arglose Schulkinder

"Wir werden systematisch krank gemacht", sagt der YouTuber. Und wird unter #milchistgift zum Meme.
Unge trinkt Milch (?!) | Screenshot von YouTube aus dem Video "Warum Milch GIFT ist" von Unge

Veganer haben in unserer Gesellschaft keinen leichten Stand. Sie sind fundamental gegen den Konsum dessen, was dem Durchschnittsdeutschen neben Bier seit jeher durch die Adern pumpt: Wurst. Und natürlich gegen andere tierische Lebensmittel. Wer an die Moral seiner Mitmenschen appelliert, hat im Internet eh verloren.

Unge lief quasi ins offene Messer, als er am Montag ein Video über die angeblichen Gefahren von Milch veröffentlichte: "Milch ist Gift? Kanada streicht Milch aus Ernährungspyramide". Das Internet reagierte sofort. Der Hashtag #milchistgift trendete auf Twitter, das Video landete auf Platz eins der YouTube-Trends. Milch-Verteufler Unge wurde zum Meme.

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Den Shitstorm könnte man als gemeine Kampagne gegen einen veganen YouTube-Star mit über zwei Millionen Abonnenten abtun, der den Fehler gemacht hat, ein bisschen zu empathisch für seine Ernährungsweise einzustehen. Aber leider stimmt eben nichts von dem, was er in seinem Video sagt – beziehungsweise lässt sich nicht eindeutig belegen. (Über welche Art von Milch Unge redet, sagt er im Video nicht. Wir gehen aber davon aus, dass er sich primär auf Kuhmilch bezieht, er erwähnt nämlich unter anderem die US-Dokumentation Cowspiracy, die es aktuell auf Netflix zu sehen gibt.)

"Kanada möchte nicht mehr, dass ihre [sic!] Bevölkerung krank wird", sagt Unge, deswegen habe das Land seine Ernährungsempfehlung geändert und sich klar gegen Milchprodukte positioniert. Realität ist, dass Kanada seine Nahrungsempfehlungen neu strukturieren will. "Es ist nicht so, dass Milchprodukte entfernt werden. Milch, Käse und Joghurt werden immer noch Teil davon sein, aber vielleicht nicht als eigene Essensgruppe", sagte Ernährungsexpertin Cara Rosenbloom 2017 gegenüber der kanadischen Nachrichtenseite CityNews. Statt sich beispielsweise nur auf tierische Proteinquellen zu stützen, soll die neue Ernährungspyramide einen größeren Fokus auf nicht-tierische Nahrungsmittel legen.

So weit, so gut. Das passt allerdings nicht zu dem, was Unge uns glaubhaft machen möchte. "Wir werden systematisch krank gemacht", erklärt der YouTuber, während seine Kamerafrau ein Geräusch macht, das nach unterdrücktem Lachen klingt. Schuld daran sei die "Milch-Lobby", die in Deutschland und Frankreich besonders "krass" sei, weil viele Arbeitsplätze und "Cash" daran hingen. "Es gibt unglaublich viel Milchpropaganda", fährt er fort, was sich insbesondere daran zeige, dass Kinder schon in der Grundschule Milch angeboten bekämen. "Und wenn man kein Milchgeld bekommen hat, war man ein Opfer", klagt Unge an. Bricht die Milch-Lobby also den Willen milchloser Schulkinder, indem sie andere Kinder dafür bezahlt, sie zu mobben?

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Die Memes ließen nicht lange auf sich warten und auch Jan Böhmermann nutzte die Chance, noch einmal in Richtung seines Ex-Feindes nachzutreten. Darüber wundern dürfte sich nicht mal Unge selbst, wenn er Sätze in die Kamera sagt, die Milchbauern als eine Art schwielhändige und rotbäckige Version der Illuminaten darstellen, die Menschen "systematisch mit Milch beliefern", um sie langsam zu vergiften.

Tatsächlich gibt es immer wieder Studien, die in Frage stellen, ob Milch wirklich gesund für den menschlichen Körper ist. Wirklich bewiesen werden konnte bisher allerdings nicht, dass Milch oder Milchprodukte Menschen schaden – außer natürlich Personen mit einer Laktoseunverträglichkeit. (Den aktuellsten Forschungsstand fasste Spiegel Online 2017 übersichtlich zusammen.)

Einen Tag später und als Reaktion auf den heftigen Gegenwind veröffentlichte Unge ein zweites Video: "Warum Milch GIFT ist". Dieses Mal allerdings mit einer komplett anderen Argumentation. Milch sei zwar nicht nachweisbar schädlich für den menschlichen Körper, dafür aber "Gift für die Tiere, die davon betroffen sind und ausgebeutet werden", sagt der YouTuber.

Es geht also nicht länger um Grundschulkinder, die gezwungen werden, Milch zu trinken, und dadurch schon von jungen Jahren an von der deutschen Milch-Lobby vergiftet werden, sondern um die ethischen und klimatischen Auswirkungen der Massentierhaltung. "Dadurch", schlägt Unge den Bogen, um die Aussagen in seinem ersten Video doch noch zu rechtfertigen, "ist Milch natürlich auch für uns Menschen Gift, da wir nur diesen einen Planeten haben."

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Die Punkte, die Unge im Anschluss aufführt, stimmen. Massentierhaltung ist schrecklich für die Tiere, verursacht große Mengen Treibhausgase, und eigentlich können wir das als Gesellschaft nicht rechtfertigen. Mit Fehlinformationen und Verschwörungstheorien bringt man aber niemanden dazu, sich ernsthaft mit diesen Problemen auseinanderzusetzen.

"Ich habe in meinem ersten Video bewusst provoziert und getriggert", sagt Unge. Das hilft vielleicht seinen Aufrufzahlen, den veganen Aktivisten, die ernsthaft versuchen, über Missstände aufzuklären, schießt er damit eher ins Bein. Oder wie es YouTube-Nutzer batsu7500 ausdrückt: "Wie du das machst, ist einfach nicht hilfreich. Du erzeugst damit nicht den gewünschten Fokus 'Ey Leute, denkt mal nach über euren Konsum', sondern nur 'Ach, wieder so ein Ökospinner'."

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