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Feierabend per Flaschenzug

In einer niederländischer Agentur werden um 18 Uhr die Arbeitstische unter die Decke gezogen, so dass Überstunden im Büro unmöglich sind.
Bild: Cornbread. Mit freundlicher Genehmigung

In einer Welt, in der aufopferungsvolle Arbeitnehmer auch nach den Tagesthemen noch für ihren Chef erreichbar sind und Überstunden als berufliche Liebeserklärung gelten, leutet eine niederländische Firma den Feierabend per Flaschenzug-Prinzip ein: Wenn bei der Haarlemer Kommunikationsagentur  Heldergroen um 18 Uhr die Stechuhr schlägt, dann zieht ein theatererprobter Stahlseilmechanismus einfach die Schreibtische an die Decke. Nachdem der selbstentwickelte Mechanismus einmal zentral ausgelöst wurde, kann der automatisch verordnete Feierabend nicht mehr rückgängig gemacht werden.

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Nachts und an Wochenenden stellt Heldergroen den leergeräumten Raum gratis für Parties, Yogastunden, Netzwerkevents oder andere Veranstaltungen zur Verfügung. Sander Veenendaal, Kreativdirektor des Unternehmens, erzählt gerne, wie überzeugt er davon ist,  einer großartigen Zukunft entgegen zu schauen: „Wenn du etwas gibst, in diesem Fall einen Raum, in dem jeder machen kann, was er möchte, bekommst du möglicherweise auch etwas zurück." Auf jeden Fall bekommen die Mitarbeiter eine anständige Work-Life-Balance zurück und setzen dem turbokapitalistischen „mehr geht immer" einen technisch aufoktroyierten Feierabend entgegen.

Alle Bilder: Cornbread. Mit freundlicher Genehmigung

Eine extrem praktische Angelegenheit auch angesichts anfallender Aufräumarbeiten, denn nicht nur die Computer, auch Zettel, Essensreste und unangenehme Aufgaben verschwinden am Tagesende unter der Zimmerdecke. Jeden Morgen um neun Uhr werden die Tische dann wieder heruntergelassen und ein neuer Arbeitstag kann beginnen, während dem die Tische auf fixierten Rollen stehen.

Heldergroen wollte mit dem Umzug in neue Büroräume die eigene Kreativität vollständig auskosten und „mehr als nur ein kreatives Unternehmen" sein. Die neuen Räume sollten außergewöhnlich, nachhaltig und multifunktional sein. Das Unternehmen siedelte sich also in einer verlassenen Schokoladenfabrik am Stadtrand an und baute seine Schreibtische mit Hebemechanismus aus gewalzten Autotüren und alten Telefonmasten. Diese ungewöhnlichen innenarchitektonischen Materialien wurden bewusst vor allem in der Nachbarschaft gesammelt und durchliefen ein cleveres Upcycling. „Wir wollen anders sein, innovativ und vor allem sehr kreativ", erzählte mir Sander Veenendaal in ausgeruhter Begeisterung in einer E-Mail. „Wir sind alle große Designliebhaber und das hier ist eine Höhepunkt an smartem Design."

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Der Mechanismus benötigt nur wenige Minuten, um die Tische verschwinden zu lassen und zaubert damit nicht nur der hoffentlich Überstundenfreien Putzfrau ein Lächeln ins Gesicht, wenn sie ohne weitere Hindernisse durchwischen kann. Außerdem ist das Büro besser gefeit vor allzu neugierigen Spontandiebstählen, denn von außen betrachtet sind die Arbeitsgeräte nicht zu sehen.

Heldergroen ist mit seiner Erfindung auf den Geschmack gekommen und kann sich noch weitere innovative Arbeitsumgebungen vorstellen. „Wir wollen auf der ganzen Welt Büros an spektakulären Orten eröffnen", so Veenendaal euphorisch. „Wie wär's von verschwindenden Tischen zu verschwindenden Gebäuden. In einem Baumhaus, auf einem Kliff oder unter Wasser vielleicht?"

Die Idee ist genial im Bezug auf Arbeitsethik, die Zivilisationskrankheit Burn Out, die  Sharing Economy und ganz generell eine menschenfreundliche Einstellung. Mal sehen, ob die praktischen 18-Uhr-Tische auch noch andere Firmen zu architektonischen Revolutionen inspirieren. Wie wärs mit Fließbändern, die sich in Fitnessgeräte verwandeln oder Telefonanlagen in Soundsystems?

Höchste Zeit, dass die Automatisierung mit ferngesteuerten Feierabendtischen unsere Jobs ein wenig angenehmer macht, bevor sie dann eines Tages mit Robo-Angestellten unsere menschliche Arbeitskraft komplett überflüssig macht.