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Interviews of The World: DJ Nobu

„Man muss ein Lokalheld oder großer DJ sein“—DJ Nobu spricht mit uns über die elektronische Musikszene in Japan.

Es ist nur allzu logisch, dass sich jenseits von abergläubischen Riten auch die elektronischen Musikszenen der Welt unterscheiden müssen. Wie sehen etwa Techno-Raves in Afrika aus und ist Voguing in Saudi-Arabien weit verbreitet? Wie viel Bollywood steckt im indischen House und wie beeinflusst der argentinische Drogenkrieg die Clubs? Angelehnt an unsere neue Serie „Mixes of the World" richten wir parallel mit einer Interview-Reihe den Blick weg von der bloßen Musik und lassen uns von interessanten Kreativköpfen die interkontinentalen Besonderheiten der Rave-Communitys erklären.

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Starten wollen wir im fernen Osten – in Japan. Dort heißt es, dass der entwischte Fisch immer der größte sei. Eine Floskel, die für DJ Nobu durchaus Sinn ergibt. In seiner Heimat gilt er nicht nur als Underground-Veteran, sondern tanzte als Punk-sozialisierter Rebell gerne mal aus der Reihe. Dass sich nach dem Aufstieg von Techno selbst im Land der aufgehenden Sonne einige Mechanismen verselbstständigt haben (die wir auch aus Berlin oder UK kennen), bleibt dabei beileibe nicht die einzige Erkenntnis. Mit seiner eigenen Partyreihe Future Terror personifiziert der Mann aus Chiba seit mehr als 13 Jahren den ungeschminkten, teilweise illegalen Kontrast zum japanischen Mainstream. Und das in einem Land, in dem Vinyl-Platten fast nur noch DJs gekauft werden. Ach ja, und das Tanzen nach Mitternacht ist dort per Gesetz übrigens verboten. THUMP fragte wieso, weshalb, warum.

Thump: Bevor wir über die japanische Szene sprechen, fangen wir doch mit dir an. Kannst du dich daran erinnern, wann du zum ersten Mal mit Musik im Allgemeinen in Berührung gekommen bist? 

DJ Nobu: Da war ich noch ein kleines Kind, vielleicht drei oder vier Jahre alt. Damals habe ich den Song „Oyoge! Taiyki-kun" geliebt. Das war der Titelsong zu einer TV-Sendung für Kinder und selbst wenn ich die Sendung nicht geschaut habe, wollte ich den Song immer wieder hören. Meine Eltern haben mir dann sogar die 7-Inch von dem Song gekauft.

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Mit vier Jahren bereits die erste Vinyl – nicht schlecht. Wie ging es dann mit deiner musikalischen Sozialisation weiter?

Als Teenager in der Mittelstufe bin ich dann mit Punkrock in Berührung gekommen, vor allen Dingen wegen einer Band aus meiner Heimatstadt Chiba. Hier war damals die Punk- und Hardcore-Szene ziemlich groß und ich weiß noch heute: Das war das erste Mal, dass ich mal nicht Mainstream-Musik, gehört habe – die mochte ich sowieso nie. Mit 16 habe ich dann als Gitarrist in einer eigenen Punkband gespielt.

Wie bist du dann von Punk zur elektronischen Musik gekommen?

Ich muss so 22 Jahre jung gewesen sein. Ein bisschen außerhalb von Tokio war ich auf diesem Open-Air-Rave. Das war einer der ersten Raves in Japan überhaupt und die Erfahrung dort dabei zu sein, war einfach der pure Spaß für mich. Zu dieser Zeit, so Mitte der 90er-Jahre, habe ich auch meine ersten Platten gekauft und damals hatten wir aus irgendeinem Grund auch schon Platten aus Detroit, aber ich fand den europäischen Techno á la Dave Clarke zunächst interessanter. Detroit wurde dann ein großes Thema als ich 1996 das erste Mal Jeff Mills in Japan gehört habe.

In Europa sind Techno und House nicht nur stark etabliert, sondern auch akzeptiert und Teil der Kultur. Ist das in Japan ebenso der Fall? 
So wie Techno oder die elektronische Musik in Japan aufkam und dargeboten wurde, war schon ziemlich ideal, die Art und Weise sehr gesund und ehrlich und die Leute zeigten großes Interesse an dieser neuen Musik. Ich kann mich noch erinnern, damals gab es auch dieses große Technofestival Rainbow 2000, das war der erste kommerzielle Rave, der sogar im TV übertragen wurde. Könnte man vielleicht mit dem Summer of Love in Großbritannien vergleichen, denn auch in Japan waren alle begeistert und haben daran geglaubt, dass diese Musik die Welt revolutionieren wird. Techno war und ist definitiv gleichberechtigt mit Pop und Rock, aber ich würde sagen, heute sind 60 Prozent der gesamten Szene eher kommerzialisiert, sie stellen die Kunst nicht alleinig in den Vordergrund. Außerdem gibt es auch viele Techno-Fans, die zwar CDs kaufen, aber nicht in Clubs gehen, denn das wird immer noch als irgendwie alternativ angesehen.

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Wenn du die Clubs schon ansprichst, lass uns über den Status der elektronischen Szene sprechen. Wie sieht die aktuelle Situation aus, gibt es Clubs und Partys nur in großen Städten? 

Ich spiele so ungefähr fünf bis zehnmal pro Monat in Japan, ich sehe also eine Menge Clubs und Partys, die nicht nur auf Großstädte beschränkt sind. Trotzdem ist es in kleineren Städten schwieriger, gute DJs zu hören. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, dass die Anzahl der Leute, die ausgehen, gerade abnimmt. Ich finde das zwar nicht alarmierend, denn es gibt immer noch genügend Clubs, aber in Tokio haben erst kürzlich zwei, drei mittelgroße Clubs schließen müssen, die sind jetzt auch weg. Es gibt zwar noch große Clubs wie Air, ageHa oder Unit, aber es gibt nichts zwischen den großen und sehr kleinen bar-ähnlichen Clubs. Darüber mache ich mir schon ein wenig Sorgen, weil es eigentlich kaum noch Locations für jüngere DJs gibt. Man muss entweder ein Lokalheld oder großer DJ sein.

Im Jahr 2001 hast du deine eigene Partyreihe Future Terror gegründet. Was war die Idee dahinter, wolltest du junge Talente fördern und ihnen eine Plattform bieten? 

Ich habe Future Terror um die Jahrtausendwende gestartet, weil ich von der Musikszene etwas gelangweilt war. Trotzdem wollte ich aber noch feiern und weil Techno immer kommerzieller wurde, war Future Terror auch für die ersten drei Jahre lediglich auf House beschränkt. Danach gab es immer wieder musikalische Veränderungen, auch diverse Hardcore-Bands haben bei den Partys gespielt. 2009 habe ich dann Marcel Dettmann nach Tokio eingeladen und seither liegt die Konzentration vorrangig auf Techno.

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Was macht eine Future Terror-Party aus und gab es ein Highlight für dich? 

Ich mache die Partys zwar auch in Clubs oder Orten, die ich seit einigen Jahren kenne, aber trotzdem wechselten die Locations andauernd, denn mir war es wichtig, dass die Party eben nicht immer in einem Club stattfindet. Off-Locations waren sehr viele dabei. Mitte der Nullerjahre hatte ich etwa ein Gebäude gefunden, das eigentlich abgerissen werden sollte. Das war so eine psychotherapeutische Klink, komplett heruntergekommen. Ich war sehr nervös, weil ich Angst hatte, dass die Polizei davon Wind bekommt und die Party auflöst, was aber glücklicherweise nicht passiert ist. In dieser Nacht war eine krasse Energie zu spüren, an die ich mich auch heute noch gut erinnern kann.

Da du ja auch auf anderen Kontinenten auflegst, welche Unterschiede sind dir zwischen den unterschiedlichen Szenen aufgefallen? 

Ich habe den Eindruck, dass in Europa die Leute, die nicht so viel wissen über die Musik, trotzdem in Clubs gehen um zu feiern. In Japan hingegen gibt es eine kleine Gruppe, die weiß, worum es wirklich geht. Die Anderen aber gehen gar nicht clubben. Das ist natürlich stark abhängig über welchen Club man genau spricht, aber einige haben auch keine klassischen Stammgäste, die wirklich immer wiederkommen und in ihrem Club feiern. Die Partypeople sind in Japan eher in der Minderheit und die Leute, die sich auskennen, bleiben eher unter sich.

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Gibt es denn strikte Regeln für und in den Clubs? Und welche Rolle spielen etwa Drogen? 

Drogen sind komplett verboten – im ganzen Land. Aber eigentlich sind selbst die Clubs nicht wirklich legal, denn wir haben in Japan ein Gesetz das besagt, dass das Tanzen nach Mitternacht verboten ist. Zunächst wurde das Gesetz nicht vollkommen implementiert, doch in den letzten Jahren geht die Regierung strikter zur Sache. Das wird natürlich seine Zeit brauchen, aber so richtig kann gerade niemand einschätzen, wie das alles weitergeht. Und ganz allgemein geht es der japanischen Wirtschaft auch nicht gut, die Leute geben weniger aus und besuchen auch die Clubs weniger. Und selbst wenn sie ausgehen, geben sie kaum Geld aus. Damit haben die Clubs natürlich stark zu kämpfen.

In Deutschland wurde früher gerne über die unterschiedlichen Städte-Sounds debattiert. Gibt es in Japan Städte, die für einen bestimmten Sound bekannt sind?

Das lässt sich natürlich nicht verallgemeinern, aber gewisse Eigenheiten gibt es definitiv. Da Osaka für seine vielen Comedians berühmt ist, sagt man der Musik einen gewissen Humor, eine Spielfreude nach. Während Trance-Musik auf der südlichen Insel Kyūshū sehr stark vertreten ist, steht der Norden Hokkaidō für eine sehr vitale House-Szene, viele New Yorker Oldschool-DJs spielen dort regelmäßig. Aber Tokio zum Beispiel ist zu groß, um von einem repräsentativen Sound zu sprechen.

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Am Ende aller Interviews-Reihe werde ich jedem DJ oder Produzenten diese Frage stellen – du machst den Anfang: teilst du mit uns bitte diesen einen Track, den du seit Jahren in deinem Plattenkoffer dabei hast und häufig spielst?

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