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Da Vincis „unbedeutende Kritzeleien“ stellen die Physikgeschichte auf den Kopf

Forscher haben auf einer Skizze des Universalgenies eine überraschende Entdeckung gemacht, die zeigt, wie weit er seiner Zeit voraus war.
Da Vincis erste Aufzeichnungen zur Reibungslehre | Bild: Victoria and Albert Museum, London

Auch wenn sie für unsere Augen noch so banal erscheinen mögen: Kritzeleien von Leonardo da Vinci sollte man nie als unwichtig abtun. Diese Erkenntis traf die Wissenschaft nun erneut wie ein Blitzschlag: In einer neuen Studie entdeckte Ian Hutchings von der University of Cambridge nämlich nun, dass da Vinci seiner Zeit einmal wieder um Jahrhunderte voraus war—und dass ihm eine Entdeckung gelang, die die Wissenschaftsgeschichte bisher einem zwei Jahrhunderte später lebenden Physiker zuschrieb.

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Es war zwar bereits bekannt, dass sich das italienische Universalgenie mit den physikalischen Prinzipien der Reibung beschäftigt hatte, doch wie tief er die Materie bereits in der Renaissance durchdrungen hatte, erschließt sich erst mit der aktuellen Entdeckung.

Die betreffende Seite aus einem kleinen Büchlein da Vincis aus dem Jahr 1493 bot bereits vor knapp hundert Jahren Anlass zu einer akademischen Debatte, da sich im oberen Teil der Notizen auf dem vergilbten Papier ein Frauenkopf sowie der Satz „cosa bella mortal passa e non dura" befindet. Zu deutsch: Sterbliche Schönheit vergeht und bleibt nicht für immer. Darunter hatte da Vinci mit roter Kreide einige Kästchen und Stricheleien gezeichnet.

Es gab zwar einige Diskussionen darum, ob es sich bei dem Frauenkopf möglicherweise um die gealterte Helena von Troja handeln sollte, doch letztlich wurde das Artefakt mit einem Schulterzucken beiseite gelegt. Der Direktor des Victoria and Albert Museums in London kanzelte die groben geographischen Grafiken laut einer Presseerklärung im unteren Bereich der Seite damals als „unbedeutende Notizen und Diagramme in roter Kreide" ab, und das Papier geriet vorerst in Vergessenheit.

Eine spätere Grafik eines Riemenscheibensystems aus einem von da Vincis Notizbüchern | Bild: University of Cambridge

Erst jetzt grub Hutchings, Professor für Ingenieurswesen, das kleine 92 mal 63 Millimeter messende Notizbuch wieder aus, in dem sich die Zeichnungen befinden und unterzog die Skizzen einer genaueren Betrachtung. Was er dabei fand war nicht weniger als die erste schriftliche Darstellung der Reibungsgesetze. Die unscheinbaren Notizen beweisen, dass da Vinci sich nicht nur auf experimenteller Ebene mit der Reibungslehre beschäftigte, sondern, dass er die Geheimnisse dieser physikalischen Grundlagen vollständig begriffen und sogar notiert hatte. Und das, Jahrhunderte bevor diese Gesetze von der modernen Wissenschaft überhaupt niedergeschrieben und in Formeln gefasst werden sollten.

Da Vinci skizzierte in den Ausführungen die Modelle verschiedener komplexer Maschinen. Dabei verband er das Verhalten von Hebeln, Achsen und Rädern mit den Auswirkungen von Reibung in Bezug auf die Effizienz des jeweiligen Prozesses. Hutchings war es dabei gelungen, eine detaillierte Chronologie in da Vincis Forschung zu erarbeiten und den großen Schlüsselmoment des Genies in diesem Papier herauszukristallisieren, in dem ihm die Gesetze der Reibung wie Schuppen von den Augen gefallen zu sein scheinen. Wie die Studie ebenfalls besagt, wandte er sein Wissen nach dieser ersten Niederschrift in einer zwanzig Jahre dauernden Forschung wiederholt auf die Lösung mechanischer Probleme an.

Skizzen zum Verhalten eines Schraubengewindes und der Zugkraft bei einer schiefen Ebene | Bild: University of Cambridge

„Die Zeichnungen und der Text zeigen, dass Leonardo die Grundsätze der Reibungslehre schon 1493 verstanden hatte. Er wusste, dass die sich Kraft der Reibung zwischen zwei gleitenden Oberflächen proportional zur Last verhält, welche die beiden Oberflächen zusammen drückt und, dass die Reibung unabhängig von dem scheinbaren Kontaktbereich zwischen den beiden Oberflächen ist", so Hutchings in der Presseerklärung der Universität Cambridge. „Das sind die Gesetze der Reibung, die wir heute in der Regel dem franzsösichen Wissenschaftler Guillaume Amontons zuschreiben und der zweihundert Jahre später daran gearbeitet hat."

Amontons scheint allerdings keinerlei Kenntnis von da Vincis Studien zu dem Thema gehabt zu haben und erarbeitete seine Entdeckungen völlig selbständig. „Leonardo da Vincis Studien festigen jedoch unbestritten seine Position als ein außergewöhnlicher und inspirierender Pionier der Reibungslehre", so Hutchings.