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Berlin

Wie sehr leben Berliner BVB-Fans die Rivalität mit Schalke?

Den unzähligen BVB-Fans in Berlin wird oft nachgesagt, dass sie Erfolgsfans seien. Wir waren im Intertank, einer von einem Schalker betriebenen Borussia-Kneipe in Kreuzberg, um die schwatzgelbe Tauglichkeit der Gäste zu prüfen.
Foto: Paul Rieth

Das Beben, das mindestens zweimal im Jahr vom Revierderby ausgelöst wird, ist bis nach Berlin zu spüren. Schließlich haben Neuberliner nicht nur ihre Sitten und Bräuche, sondern auch ihre Vereine in die Hauptstadt mitgebracht. In der Kreuzberger Fußballkneipe Intertank treffen sich Exil-Dortmunder und andere Borussen, um den BVB zu feiern und eine gute Ausrede zu haben, schon nachmittags zu saufen. Dabei wird die Kiezkneipe von einem Schalker betrieben.

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Ursprünglich hat er sie mit seinem verstorbenen Bruder Udo gegründet, der natürlich ein Dortmunder und wie sein Bruder Ralf ein Original war. Eine geradezu mythologische Konstellation, die heute vielleicht nur noch der Fußball schreiben kann, andererseits aber auch Fragen aufwirft. Nachdem die Tage gezählt sind, als sich Borussenfront und Mighty Blues ritualisiert die Fresse poliert haben, interessiert uns, was von der Rivalität geblieben ist, diesmal aus der schwarz-gelben Fanbrille. Unmittelbar nach Abpfiff des Ruhrpott-Klassikers am vergangenen Samstag haben wir uns in dieser Außenstelle des BVB umgehört.

Alle Bilder von Paul Rieth

Wir haben Schalke-Fans gefragt, warum sie Dortmund hassen

Max

Wie bist du zum BVB gekommen?
Max: Ich komme ursprünglich aus Magdeburg, aber mit fünf Jahren habe ich mich für Schwarz-Gelb entschieden. Und da bleibst du dann ein Leben lang bei.

Mit fünf entschieden?
Ja.

Wie ist dein Verhältnis zu Schalke?
Wem?

Zu Schalke?
Wem?

Scheiße 04? Herne West? Die Blauen? Die Schlümpfe?
Ja, ist behindert, ist scheiße.

Welchen Namen bevorzugst du für den Feind?
Die Blauen oder Scheiße.

Warum Scheiße?
Da muss man sich nur mal ein Spiel angucken oder auf der Autobahn vorbeifahren. Da merkt man dann schon, dass da nicht viel Substanz ist, die man sympathisch finden kann.

Die Menschen? Land und Leute?
Das ganze Konstrukt irgendwie.

Aber ist das wirklich so ein großer Unterschied zwischen Schalke und Dortmund?
Da lebt man sich natürlich auch rein, aber wenn man in beiden Städten schon mal war, ist das eine halt die Perle und das andere die Muschel. Und die Perle ist immer schöner.

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Wie erklärst du dir die Rivalität?
Die Ortsnähe spielt natürlich eine Rolle. Das war auch nicht immer so. Es hat sicherlich auch wirtschaftliche Gründe. Dass man sich jemanden sucht, dem es genauso kacke geht und dem man trotzdem den Platz wegnehmen kann. Das lebst du dann auch aus, wenn du nicht aus der Gegend kommst.

Amos

Wie bist du zum BVB gekommen?
Amos: Ich bin gebürtiger Dortmunder. Mit acht, neun Jahren bin ich Dortmund-Fan geworden, mit zwölf das erste Mal im Stadion gewesen, dann immer wieder hingefahren, eine Dauerkarte geholt. Irgendwann legst du dich halt fest.

Wie kommt es zu der Rivalität mit den Schalkern? Halb reingeboren, halb entschieden?
Natürlich wirst du in die Rivalität reingeboren. Du verstehst relativ schnell, es gibt nichts Wichtigeres als den Derbysieg. Es kommt auch immer darauf an, welche Spieler du auf dem Platz hast. Huntelaar, der heute gefehlt hat, ist so eine Figur, an der du dich total abreibst. So 'ne Sau und so weiter. Heute war das dieser komische Typ, bei dem ich immer denke, bei dem sollte man das Gehirn in ein Einmachglas in die Charité schicken. Es gehört zum Fan-Sein dazu. Aber man kennt ja auch ein paar Blaue aus dem Bekanntenkreis.

Hältst du diesen Widerspruch aus? Ralf ist ja auch ein Blauer.
Überhaupt kein Thema. Ich weiß, Ralf will nicht, dass man Schmähgesänge gegen Schalke anstimmt, und das respektiere ich. Das respektiert die ganze Kneipe. Ich habe auch wirklich einige Schalker im Bekanntenkreis und mit zunehmendem Alter nimmt der Schmerz auch ab.

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Es gibt sehr viele Geschichten über die Rivalität. In den 80ern haben sich Borussenfront und Mighty Blues noch amtlich die Fresse poliert. Ist es auch über den Intertank hinaus im Pott ein bisschen ruhiger geworden?
Es gibt schon noch gewalttätige Auseinandersetzungen, aber natürlich ist das viel weniger geworden. Die ganze Fußballkultur ist eine andere geworden. Ich bin da ziemlich gespalten. Natürlich bin ich nie ein Supporter der Borussenfront gewesen. Ich habe noch Zeiten erlebt, als im Stadion „Sieg Heil" gebrüllt wurde und es wirklich viele Rechte gab. Es ist total positiv, dass das aus meiner Sicht heute eigentlich keine Rolle mehr spielt, zumindest in der Masse. Insgesamt ist die Entwicklung aber sehr klinisch. Es gibt so gut wie keine homophoben und rassistischen Äußerungen mehr. Das ist grundsätzlich positiv, obwohl es früher trotzdem ein großer Spaß war, wenn Olaf Thon eine Ecke für Schalke geschossen hat, und 25.000 singen: „Olaf Thon ist homosexuell". Ohne Schwule diskriminieren zu wollen. Es ging einfach nur darum, einen rauszuhauen, der unter der Gürtellinie ist. Das ist weg und damit muss man leben.

Ein Schalker hat VICE Sports zu Protokoll gegeben, dass der BVB keine Tradition und sogar im Stadion viele Erfolgsfans hat. Was würdest du dem entgegnen?
Das ist genauso ein Schwachsinn, als wenn ich das umgekehrt behaupten würde. Gefühlt liegen wir in den letzten 20 Jahren im Schnitt immer über 75.000. Auch Schalke ist immer voll. Fußball ist ein Event geworden, wird zunehmend vermarktet. Aber wenn es Traditionsvereine gibt, dann sind das sicherlich Dortmund und Schalke.

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Eigentlich ist man sich ja ziemlich nah, oder?
Natürlich ist man sich total nah.

Theoretisch hättest du auch Schalker werden können?
Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, vielleicht wenn ich eine schwierige Geburt gehabt hätte. Aber klar, es kommt darauf an, wie du geprägt ist. Und Schalke ist uns total nah. Geografisch, vom Menschenschlag her, von der Art und Weise, wie man Fußball lebt. Das ist schon super.

Sabine und Uwe

Seit wann bist du BVB-Fan?
Sabine: Um die 40 Jahre. Alle meine Freunde in meiner Jugend waren BVB-Fans. Und dann ging das nicht anders.

Kannst du sagen, was den Hass ausmacht?
Ich kann das gar nicht sagen, weil ich überhaupt kein Mensch bin, der hasst. Aber ich mag nicht, wenn Schalke uns heute Punkte klaut. Dortmund hat super gespielt heute und sollte das Spiel eigentlich auch gewinnen.

Wärst du richtig schlecht drauf, wenn Dortmund verloren hätte?
Ja, also das hätte ich jetzt überhaupt nicht vertragen.

Noch ein Wein? Ẃas hätte dir in dem Fall geholfen?
Auf keinen Fall noch ein Wein. Ich glaube, aus dem Alter bin ich raus. Ich hätte mal ordentlich geschimpft.

Und wie ist dein Bezug zu Sabine?
Uwe: Wir sind Mutter und Sohn. Ich komme auch aus dem Sauerland und bin als Jugendlicher immer auf die Südtribüne rübergepilgert. An meinem ersten Wochenende in Berlin habe ich gleich nach Fankneipen von uns gegoogelt. Erst war ich noch in der Milchbar. Nachdem die dann auf Konferenzschaltung umgeswitcht sind, bin ich hierher. Besser konnte es uns nicht treffen, weil mit Ralf und damals noch mit Udo, das ist schon geil.

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Wisst ihr, dass Ralf ein Schalker ist?
Uwe: Ja, ja.

Was sagt man dazu? Spricht das für die Weltoffenheit der Borussen?
Sabine: Ja, natürlich.
Uwe: Grundsätzlich sind sich Dortmund und Schalke ja nicht so fern, weißte.

So nah und doch so fern, nicht wahr?
Uwe: Von der Seele des Vereins sind die extrem gleich. Ich kann einen Schalker viel besser verstehen als einen Bayern-Fan oder einen Hoffenheimer oder Leipziger. Da finde ich jeden Schalker sympathischer, auch wenn ich die eigentlich von meiner Natur aus hasse. Und Ralf hat sich uns auch so ein bisschen angenähert.

Ralf steht dort jedenfalls nicht in seinen Farben hinter dem Tresen.
Uwe: Kann er ja auch schlecht machen. Ist ja auch Business. Am coolsten war es, als sich damals Udo und Ralf noch miteinander gekabbelt haben. Ich gucke fast lieber ein Spiel hier als auf der Südtribüne, weil du einfach viel mehr vom Spiel mitkriegst. Du sitzt direkt am Bier.

Das ist ein Vorteil, ja.
Uwe: Du kannst zum Klo, wenn du willst.
Sabine: Kannst schreien, kannst schimpfen.

Leider keine Pyros.
Sabine: Das ist ein bisschen schade.

Marieke

Wie ist deine Verbindung zum BVB?
Marieke: Ich bin damit aufgewachsen.

Kommst du aus dem Pott?
Nein. Ich bin Ostfriese. Aber durch meine Familie bin ich BVB-Fan geworden Ich trinke vor jedem Spiel aus meiner BVB-Tasse. Ich habe davon ungefähr 10 Stück.

Hat dir deine Familie auch den Hass auf Schalke vererbt?
Ich habe keinen Hass auf Schalke. Wenn hier jemand Anti-Schalke-Lieder singt, sage ich immer, dass er aufhören soll. Ich finde, man sollte lieber seine eigene Mannschaft anfeuern und Schmähgesänge allgemein sind scheiße.

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Du könntest also damit leben, wenn dein Kind ein Schalker werden würde?
Nein.

Weil deine Erziehung versagt hätte?
Dann hätte ich tatsächlich irgendwas falsch gemacht. Dann wäre es anti-Mama und das wäre schlecht.

Sven

Hasst du Schalke?
Sven: Ich hasse Schalke, aber es gibt halt keine triftige Begründung dafür. Es gehört einfach seit Jahrzehnten dazu. Wenn man den Verein mag, verabscheut man Schalke.

Für Tuchel ist das Derby wie ein Pokalfinale. Welchen Stellenwert hat es für dich persönlich?
Es ist schön, wenn man dieses Spiel gewinnt, aber gerade in der aktuellen Situation ist es einfach nur wichtig, drei Punkte zu holen.

Jetzt wurden es leider nicht drei Punkte. Wie ist dein Fazit zum Spiel?
Ein müder Kick, geht besser. Aber wenn man so viele Spieler vermisst, ist das schon okay.

Ich habe das Gefühl, dass du kein besonders fanatischer BVB-Fan bist.
Ich glaube, man muss das trennen. Wenn du mich während der 90 Minuten befragt hättest, dann wäre das eine ganz andere Antwort geworden. Aber mit ein paar Minuten Abstand zum Spiel ist es schon wichtig, wieder rational zu werden, das Spiel abzuhaken und zu schauen, wie es weitergeht.

Ist dir bewusst, dass der Betreiber des Intertanks Schalker ist?
Nee.

Was sagst du dazu?
Etwas verwunderlich, aber egal. Der Intertank ist trotzdem die schönste Dortmund-Kneipe. Wenn man reinschaut, sieht man, dass alles Schwarz-Gelb ist. Von daher ist das egal.

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Der Name wurde von der Redaktion geändert.

Fabian

Was bedeutet das Derby für dich?
Fabian: Hier geht es darum zu beweisen, wer der Bessere im Revier ist, und das sind nun mal wir.

Du hast vorhin gesagt, dass du nicht aus dem Pott kommst. Bekanntlich kann man dort nicht ohne Weiteres in die Gebiete des Feindes gehen. Was macht für dich die Rivalität in deinem Alltag aus?
So krass ist es im Pott auch nicht. Für mich persönlich bezieht sich das ausschließlich auf das Fußballerische. Ich bin ein Gegner von Gewalt. Bei mir findet die Rivalität auf einer psychologischen Ebene statt, mit meinen Kollegen, die für den Gegner sind. Sticheleien und so. Ich finde es genial, sich auch außerhalb des Platzes gegen den anderen zu behaupten, zu seinem Verein zu stehen. Wer handgreiflich wird, hat nicht mehr die verbalen Waffen, um standzuhalten. Da hört es dann bei mir auf. Ich bin ein Fan davon, das Spiel zu genießen, vor allem das Derby. Bei Auseinandersetzungen, die über Wortgefechte hinausgehen, gibt es immer zwei Verlierer.

Was wäre, wenn dein Kind mal ein Blauer wird?
Das wird nicht passieren. Mein Kind wird von Anfang an so geeicht, dass es nicht blau-weiße Farben tragen wird, zumindest nicht die von Herne West.

Hast du da schon Strategien?
Dem Kind wird die Emma (das offizielle BVB-Maskottchen, Anm. d. Red.) ins Bett gelegt. Das erledigt sich dann von allein.

Julia

Was bedeutet das Derby für dich?
Julia: Ich alte Oberhausenerin hätte auch Schalker werden können, habe mich aber rechtzeitig für den richtigen Verein entschieden. Ich gehöre aber zu den Menschen, die lieber ihren eigenen Verein unterstützen, als den anderen zu dissen, selbst wenn es um Schalke geht. Ich verstehe die Rivalität, gewinne auch sehr gerne gegen Schalke, aber diese ganze Aggression ist mir als soziale und sensible Seele zu viel. Bei „Tod und Hass dem S04" kann ich nicht mitmachen. Schalker sind auch Menschen.

Fertig mit der Beantwortung der Frage?
Haha, ich weiß gar nicht mehr, was die Frage war.

Wenn ich dann mal noch eine andere Frage stellen dürfte. Du hast von Menschlichkeit gesprochen. Was hältst du von Fans, die sich gegenseitig ihre Schals abziehen oder auf dem Weg ins Stadion auf die Fresse hauen?
Mir wurde auch schon ein Schal abgenommen und ich bin auch schon fast verprügelt worden, obwohl ich ein Mädchen bin. Kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ein sehr guter Freund von mir wollte auf dem Weg zu einem Spiel des BVB in Berlin einen 15-Jährigen an der Rasthaltestelle aussetzen, nachdem der sich als Blauer geoutet hatte. Kann ich einfach nicht nachvollziehen. Im echten Leben verhalten die sich anders, aber wenn es um Schalke geht, werden die menschlichen Grundwerte außer Kraft gesetzt. Na gut, ich höre jetzt mal auf zu monologisieren.

Was wäre, wenn dein Nachwuchs Schalke-Fan werden würde?
Das würde mich schwer enttäuschen, muss ich sagen. Das wird nicht passieren, das kann nicht passieren.

Doch, rein faktisch könnte es schon passieren. Welche Maßnahmen würdest du denn im Fall der Fälle ergreifen?
Ich würde das proaktiv versuchen zu steuern und mich im Zweifel jedes Spiel mit ihm oder ihr auf die Süd stellen. Und dann könnte das schon nicht passieren. Ich würde mein Kind jedenfalls nicht schlagen deswegen. Und ich würde mein Kind auch nicht darin unterstützen. Es würde keine Schalke-Sachen kriegen und ich würde nicht mit ihm in die Turnhalle (Veltins-Arena, Anm. d. Red.) gehen.

Du bist aufgeklärt und reflektiert. Das scheint hinderlich für eine richtige Erzfeindschaft zu sein.
Ich bin auch keine Erzfeindin. Ich finde die Rivalität spannend und lustig, aber sie geht einfach unter die Gürtellinie. Es greift den Menschen persönlich an und das mag ich nicht.

Amen.