Wie es ist, in einem Sarg zu liegen

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Wie es ist, in einem Sarg zu liegen

Während andere Leute sich am Samstagabend für das Ausgehen fertig machten, lag ich in einem Sarg und dachte über Kreuzschmerzen nach.

Es gibt verschiedene Wege seinen Samstagabend zu verbringen. Manche hören sich ein Erotik-Hörspiel an, andere gehen nüchtern fort und wieder andere sind die Könige der WG-Partys. Ich habe meinen Samstagabend im Bestattungszentrum der Stadt Wien verbracht. Genauergesagt lag ich in einem Sarg.

Ich wurde nicht unfreiwillig begraben, wie Beatrix Kiddo in Kill Bill Volume 2 oder Paul Conroy in Buried und schreibe diesen Artikel auch nicht auf meinem Handy, während Erde in meinen Sarg rieselt. Eigentlich war das Probeliegen—ein Programmpunkt der langen Nacht der Wiener Stadtwerke—ziemlich harmlos, denn noch nicht einmal der Deckel wurde auf die Holzkiste gelegt. Trotzdem ging ich mit einem unguten Gefühl in den Raum mit den drei offenen Särgen und fünf Angestellten, die in ihren Kutten recht eindrucksvoll aussahen. Zögerlich entschied ich mich für den mit rotem, satinartigen Stoff ausgekleideten Sarg, weil ich einfach ein Faible für Vampir-Trivia habe. Ich hatte das Gefühl, es mit einem sehr besonderen Sarg zu tun zu haben. Erst nachher erfuhr ich in der Sargausstellung, dass mein vermeintlicher Interview mit einem Vampir-Sarg eher die Möbelix-Version von Draculas Luxusbett war.

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Beim Reinlegen war mir richtig mulmig zumute. Der Arrangeur breitete noch eine farblich-passende Decke über mir aus und wies mich an, das kleine Holzkreuz in die Hand zu nehmen. Es war eigentlich gar nicht so schlimm. So lag ich dann da und dachte darüber nach, einen realistischen Vampirfilm zu drehen, in dem sich Dracula jede Nacht mit Kreuzschmerzen aus der Kiste quält. Eigentlich war an dem Sarg alles mehr Schein als Sein, denn der Polster war mit irgendetwas Plasitkartigem gefüllt und die Decke fuselte ziemlich.

Schon besser gefiel mir der Sarg für Personen mit Übergewicht. Der hatte die Maße einer Luxus-Badewanne und war so tief, dass man sich selbst bei geschlossenem Deckel fast aufrecht hinsetzen konnte. Wirklich bequemer war das Probeliegen dann trotzdem nicht, aber zumindest konnte ich mich ein bisschen ausbreiten. Ich fand es sehr anständig, dass der Übergroßen-Sarg nicht viel teurer als die anderen ist. Ein Angestellter erklärte mir dann aber, dass dafür die Beerdigung selber viel mehr kosten würde. Schließlich kann man einen Sarg, der gefüllt 300 Kilo wiegt, nicht mit einem Wägelchen ins Grab hieven, sondern man braucht einen Kran dafür. Das Wiener Krematorium hat auch erst seit kurzer Zeit für die Super-Size-Me-Gesellschaft aufgerüstet. Ich würde trotzdem nicht empfehlen, beim Tod mehr zu wiegen als ein Holzsarg, denn dann muss die Person nach Passau überführt werden, wo es noch größere Öfen gibt.

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Dieses Gefühl für gesellschaftliche Veränderungen scheinen sowieso alle zu haben, die im Friedhofsgewerbe tätig sind. Neben Super-Size-Me-Mentalität geht auch das Haustier-statt-Kind-Syndrom um. Am nahegelegenen Tierfriedhof stellte ein Mitarbeiter fest, dass immer mehr junge Pärchen ihre Tiere beerdigen lassen und regelmäßig trauern kommen. Und diese Trauer scheint fast genauso tief zu sitzen, wie beim Tod eines Menschen. Anders kann ich mir die aufwendig verzierten Gräber nicht erklären. Ich hatte mir ja naiverweise einen etwas verwitterten Garten mit ein paar Kreuzen und Schildern vorgestellt, wahrscheinlich weil ich zu oft Friedhof der Kuscheltiere gelesen habe. Doch wenn am Wiener Tierfriedhof jemals Zombie-Katzen auferstehen sollten, dann werden diese sicherlich von einem Blütenduft umhüllt und noch recht ansehnlich sein.

Auffällig waren die vielen Kitsch-Gartenfiguren in Form von Engeln, Hasen und ein paar Gartenzwergen. Der Mitarbeiter konnte sich diese Deko-Wut nur mit einer Art Zugzwang unter den Angehörigen erklären. Das funktioniert dann nach Schrebergarten-Logik: Hat dein Nachbar die schöneren Gartenzwerge und ein tolleres Blumenbeet, musst du doppelt so aufwendig nachlegen. Als ich dann in der kleinen Kapelle stand, die als Show-Room für eine Tierbeerdigung herhalten musste, verging mir die restliche Andacht. Sich zu Robbie Williams Schmalztiegel Angels eine Diashow von verstorbenen Hunden anzuschauen und dabei vom Duft der Rosenblätter erdrückt zu werden, ist mindestens so kitschig, wie Teil einer Liebesszene in einer mexikanischen Telenovela zu sein. So verließ ich das Friedhofsgelände mit einem Lächeln, was wahrscheinlich in den seltensten Fällen passiert.

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Der Sarg für übergewichtige Personen ist nicht sehr bequem, aber man kann sich zumindest ausbreiten.

Das ist die Crème de la Crème der Sarg-Kollektion.

In dieser nüchternen Umgebung fand das Probeliegen statt.

Die Kutten steuerten zur Atmosphäre bei.

Vor dem Bestattungszentrum.

Wegen dem Wind hatte der Mitarbeiter so seine Probleme mit dem Karton-Sarg.

„I'm Loving Angels Instead.“

Obwohl da eine Solarzelle war, gab es leider keine Lichtshow, oder ähnliches.

Dieser Typ wahrte die Würde des Tierfriedhofs und trauerte fast eine halbe Stunde vor dem Mini-Mausoleum.

Diese subtile Grabgestaltung war eine Rarität auf dem Tierfriedhof.