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Dschihadismus

Der Terror-Prozess in Salzburg wirft neue Fragen auf – und wurde jetzt vertagt

Abid T. soll zwei verhinderte Paris-Attentäter unterstützt haben. Sein Verteidiger möchte eine Videokonferenz nach Frankreich einberufen und die Datenauswertung des Mobiltelefons näher untersuchen.
Foto: Facebook, mit Genehmigung.

Am Salzburger Landesgericht ist das Sicherheitsschauspiel für Terrorprozesse mittlerweile gut einstudiert: Schwer bewaffnete Einsatzpolizisten vor der Tür, maskierte Cobra-Beamte im Verhandlungssaal und im Hintergrund Verfassungsschützer in Zivil.

An diesem Montag geht es um den 27-Jährigen Marokkaner Abid T., über dessen Fall hier schon in aller Ausführlichkeit berichtet wurde. Er ist angeklagt, weil er zwei verhinderte Paris-Attentäter, die in einem Salzburger Asylquartier Ende 2015 gestrandet waren, mit Daten versorgt und ihre Weiterreise koordiniert haben soll. Für den Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe.

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Mit schwerfälligem Gang und blassen Gesicht wird T. in den Gerichtsaal geführt. Seine Worte sind träge, er wirkt benommen. Während der U-Haft wurde ein neuropsychiatrisches Gutachten zu T. erstellt, das auch VICE vorliegt. Demnach sei er nicht nur schwer depressiv, sondern zeige auch Anzeichen einer episodischen, paranoiden Schizophrenie. Eine ganze Reihe von Medikamenten wurden ihm deshalb verordnet. Diese habe er aber zum Prozessbeginn abgesetzt, heißt es.

Im Fokus der Beweisaufnahme steht das Aufeinandertreffen von T. mit dem Algerier Adel H. am 10. Dezember 2015 im besagten Asylquartier nahe der deutschen Grenze. Der 27-Jährige war hier erst in der Nacht zuvor eingetroffen. Adel H. und der Pakistaner Muhammad U. wurden dann just am selben Tag von der österreichischen Polizei verhaftet und später an Frankreich ausgeliefert.

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen Landesgericht Salzburg. Foto vom Autor.

"Jemand sagte mir, dass man in einem anderen Zimmer das Handy aufladen kann", begründet T. den Kontakt mit dem mutmaßlichen Terroristen. Er selbst habe in der großen Haupthalle der Unterkunft geschlafen, sei dann in den kleineren Raum hinübergegangen, wo Adel H., und auch Muhammad U. ihr Quartier hatten.

Was wurde dort besprochen? "Nicht viel. Wir haben darüber geredet, woher ich komme und wohin ich will", meint T. Nach einigen Minuten habe er den Raum dann wieder verlassen und sein Handy am Adapter des Algeriers hängen lassen. Zuvor sei vom Algerier aber noch ein Foto von ihm gemacht worden, das sich dann auf seinem Handy fand. Der Staatsanwalt sieht das als "übliche Vorgangsweise, um den Standort der IS-Scouts zu dokumentieren." T. meint, er habe sich bloß "selbst sehen wollen." Nirgends sei ein Spiegel gewesen und er hätte gerade eine zweiwöchige Reise hinter sich gehabt.

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Nach etwa fünfzehn Minuten habe er außerhalb der Unterkunft dann einen Polizeieinsatz mitbekommen. Sein Handy, das beim Verhafteten Adel H. auflud, wurde von den Beamten beschlagnahmt. Er habe sich später nicht darüber beklagt, da er kein Deutsch spricht und es ihm nicht so wichtig gewesen sei. Am nächsten Tag sei er mit zwei Reisebegleitern aus Marokko weitergereist, bis nach Belgien, wo er bis zu seiner Verhaftung im Juli 2016 bei seinem Bruder lebte. Erst im Februar 2016 erließen die österreichischen Behörden einen EU-Haftbefehl gegen ihn, da die Auswertung des Handys für sie nötige Verdachtsmomente aufwies.

"Meine Großmutter wollte, dass ich 'Jihad' heiße"

Als weiteres Indiz nennt der Staatsanwalt das Passwort des späteren Mobiltelefons. Dies habe "Jihad" gelautet. T. nennt als Erklärung, dass dies ein normaler arabischer Vorname sei, den sich seine Großmutter eigentlich für ihn wünschte. Er sei sich aber bewusst, dass damit auch Terrorismus in Verbindung gebracht wird. Damit hätte er jedoch "überhaupt nichts zu tun."

Außerdem wird seitens der Anklage angeführt, dass sich durch eine Erhebung des belgischen Laptop hunderte Male Suchbegriffe in Verbindung mit den Wörtern "Frankreich" und "Syrien" finden ließen. Zudem spuckte die IT-Forensik Bilddateien aus, auf denen Terroristen wie Abdelhamid Abaaoud oder Salah Abdslam zu sehen sind.

Verteidiger Blaschitz meint dagegen: "Auf dem Gerät wurden durch die Erhebung über 900.000 Dateien sichergestellt. Dass da Begriffe wie Frankreich oder Syrien vorkommen, ist völlig unbedenklich." Außerdem sei auch keinerlei radikalislamistische Propaganda gefunden worden, sondern lediglich "einzelne Bilder, die durch die Medien gingen." T. selbst meint, er hätte nicht aktiv danach gesucht, sondern nur "Nachrichten angesehen."

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Das Zimmer, in dem T. sein Handy beim mutmaßlichen Terroristen Adel H. ließ. Foto: VICE Media

Der Prozess wird dann mit einer Videoschaltung in die Justizanstalt Puch fortgesetzt. Dort sitzen jene zwei in erster Instanz verurteilten Personen, die mit T.s Verfahren unmittelbar zusammenhängen sollen, nämlich der Marokkaner Kamal A. und der Algerier Youcef B. Beide hielten sich als Flüchtlinge damals ebenso im Asylquartiert auf und hatten ihren Schlafplatz in dem besagten Zimmer.

Der ebenfalls benommen wirkende A. will Abid T. nach mehrmaligen Befragen nicht erkennen. Er kann sich damals an die Verhaftung des Zimmerkollegen "Fawzi" (so gab sich Adel H. in der Flüchtlingsunterkunft aus) erinnern, auch daran, dass dort viele Handys aufluden. Die Polizei habe nacheinander nach deren Besitzer gefragt, da sich bei einem niemand meldete, hätten sie es mitgenommen.

Wer der Mann war, der es später suchte, weiß er heute nicht mehr. Dass es T. war, könne er nicht ausschließen. Kamal A. war einige Tage später deshalb verhaftet worden, weil Adel H. ihm bei dessen Verhaftung eine Brieftasche reichte, die wiederum Youcef B. gehört haben soll. Das sahen die Behörden nachträglich als "konspirativ", sie nahmen die Geldtasche bei der Verhaftung an sich.

Darin fand sich neben Bargeld eine lose, algerische SIM-Karte. "Ja, das war meine SIM-Karte", sagt anschließend Youcef B. aus, "sie hat in Österreich nicht mehr funktioniert." B. habe in Salzburg mit Haschisch gedealt und hätte die Brieftasche derweil immer wieder Zimmerkollegen überlassen, denen er "vertraute." Auch er will Abid T. nie gesehen haben, er habe sich zu der Zeit aber auch nicht im Zimmer befunden. "Warum sitze ich im Gefängnis?", wird B. Ende der Vernehmung lauter, "ich habe sechseinhalb Jahre fürs Dealen bekommen!"

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Die SIM-Karte von B. ist sozusagen das Kernelement der gesamten Anklage. Sie soll eine Verbindung zwischen den fünf Personen herstellen, eine "re-Organisation" einer IS-Zelle erklären. Laut Staatsanwalt, der sich auf die Auswertung von Abid T.s Telefon beruft, seien nämlich sämtliche Kontakte der Karte auf sein Handy kopiert worden. In der ursprünglichen Anklage findet sich dieser Vorhalt noch nicht. Dort war nur von drei überschneidenden Kontakten die Rede. Die Anklage vom Oktober 2016 habe den Verfassungsschutz in seinen Erhebungen damals überrascht, heißt es. Deshalb sei dieser Punkt auch für Verteidiger Wolfgang Blaschitz neu.

Fest stehe laut Blaschitz aber auch, dass diese kopierten Telefonnummern keine nachweislichen Terrorkontakte seien. Es könne sein, dass Adel H., der ja in dem entscheidenden Zeitpunkt sowohl die Brieftasche samt SIM-Karte, als auch Abid T.s Handy bei sich hatte, diesen Vorgang durchführte. Wenn man eine SIM-Karte in ein Smartphone einlegt, fände so eine Übertragung quasi automatisch statt. Wie und wann das genau passiert sei, möchte der Verteidiger noch herausfinden.

Bruder von T. reiste für Zeugenaussage an

Als letzter Zeuge des Tages erscheint dann noch der ältere Bruder von Abid T., bei dem dieser bis zu seiner Verhaftung im Juli 2016 in Brüssel gelebt hatte. Einen Monat später lieferte man T. dann nach Österreich aus. Für die Zeugenaussage reiste der Bruder, Said L., aus Belgien an. Über den Weg von T. aus Marokko bis nach Belgien, erzählt er vor Gericht im Wesentlichen dann das, was er im März auch schon in einem Gespräch mit VICE wiedergab: Dieser sei mit der Hoffnung auf Arbeit nach Europa gereist, die Familie ihm habe dafür Geld gegeben. Die Balkanroute wäre dafür damals noch offen gestanden.

In der Zeit, als der Bruder bei ihm lebte, habe in Brüssel der Terroranschlag auf den Brüsseler Flughafen stattgefunden – ausgeführt von genau dem Netzwerk, dem Abid T. laut Anklage angehören soll. In diesem Zeitraum habe "keinerlei verdächtige Kommunikation stattgefunden", meint sein Anwalt. Ob der Bruder etwas mitbekommen hat? "Nein, er hat damit nichts zu tun. Ich verabscheue Terrorismus. So ein Anschlag macht mich krank, es hätte auch meine Tochter treffen können."

Auch wird der Bruder mit einem anderen Vorhalt aus der Anklage konfrontiert: Noch in Marokko, habe Abid T. nach einer bestimmten Adresse in Anderlecht gesucht. "Kennen Sie diese Adress?" fragt der Richter. "Ja, dort lebt meine Halbschwester", er selbst habe auch lange in Anderlecht gewohnt. Der Staatsanwalt argumentierte nämlich, dass in der Nähe dieser Adresse ein IS-Sympathisant namens Fabien Clain wohnhaft war, der Anschläge öffentlich lobte.

Am Ende wurde die Verhandlung vertagt. Während seitens der Staatsanwaltschaft schlichtweg "zu viele Zufälle vorherrschen", die T. schwer belasten, meint der Verteidiger: "Wir haben bis jetzt überhaupt gar keine strafbare Handlung erfüllt". Laut Anklage soll sein Mandant Terroristen mit IS-relevanten Daten versorgt haben. Durch einen Kopiervorgang auf sein Handy sei "maximal das Gegenteil der Fall gewesen."

Blaschitz will jedenfalls eine Videokonferenz nach Frankreich einberufen, um die Terrorverdächtigen H. und U. dort befragen zu können. Außerdem soll die Telefonauswertung genauer unter die Lupe genommen werden. Wann deshalb der Prozess fortgesetzt werden kann, ist noch unklar.

Thomas bei Twitter: @t_moonshine