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Pfarrhaus-Drama

Was wir von der ARD-Doku 'Herr und Frau Petry' über die Liebe gelernt haben

2. Nie nach Sachsen ziehen.

Collage von Rebecca Rütten | Foto Frauke Petry: imago | Christian Thiel; Sven Petry: Screenshot ARD; Tautenhain (im Hintergrund): Dguendel | Wikimedia | CC BY 3.0

Die Liebe, das weiß ich von einem Spruch auf Facebook mit einem Sonnenuntergang dahinter, ist ein zartes Pflänzchen. Das heißt: Man muss sie hegen und pflegen, mit Kunstdünger vollpumpen und mit automatisierten Bewässerungssystemen am Leben halten, wenn man in den Urlaub fährt.

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Aber manchmal tut man das alles, und dann reicht es trotzdem nicht: Dann reißt sich das Pflänzchen plötzlich los, wandert in die weite Welt hinaus und wird Spitzenpolitikerin in einer rechtspopulistischen Krawallpartei. Das ist zumindest Sven Petry passiert, dem Ex-Mann von Frauke Petry. Dieser Tragödie hat die ARD eine ganze Dokumentation gewidmet, und ich habe sie mir angeschaut. Weil am Montagabend kein Rosamunde-Pilcher-Film lief, ich aber trotzdem unbedingt etwas über die Liebe lernen wollte. Und ich wurde nicht enttäuscht! Hier sind alle Weisheiten, für die mir die Liebes- und Leidensgeschichte des evangelischen Pfarrerpärchens die Augen geöffnet hat.

1. Liebe ist unvorhersehbar

Frauke Marquardt und Sven Petry haben sich in der Schule kennengelernt, und zwar in Bergkamen, einem trostlosen ehemaligen Bergbauort im Ruhrgebiet. ("Die Menschen auf der Straße sehen aus, als würden sie frieren", schrieb ein Spiegel-Reporter mal über die Stadt.)

Dass die beiden zueinander finden würden, war damals alles andere als vorhersehbar: Die Marquardts hatten nämlich vor Kurzem erst aus der DDR rübergemacht, was der jungen Frauke den Anschluss in der neuen Klasse schwer machte. In demselben Spiegel-Artikel erinnert sich eine Mitschülerin nämlich, dass Frauke "eher Außenseiterin" gewesen sei – und zwar vor allem wegen ihrer "seltsamen Klamotten". Klar, auch Bergkamener müssen auf irgendjemanden herabsehen. Dass dieses Mädchen aus dem Osten dann auch noch eine wahnsinnige Streberin war, hat wahrscheinlich auch nicht geholfen.

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Aber nicht alle in der Klasse waren so oberflächlich: Irgendwie schaffte Frauke es, den allseits beliebten Pfarrerssohn Sven Petry "abzubekommen" (wie die offensichtlich immer noch von Neid zerfressene ehemalige Mitschülerin das ausdrückt). Und die Beziehung hält, selbst als die ehrgeizige Frauke nach dem Abi für ein Jahr ins Ausland geht. Das Paar zieht nach Göttingen und fängt an, sich ausgiebig fortzupflanzen und dabei noch jeweils eine Promotion zu wuppen. Es müsste eigentlich rund laufen. Aber dann begeht das junge Paar einen taktischen Fehler von drastischen Ausmaßen: Sie ziehen nach Sachsen.

2. Die sächsische Provinz ist kein guter Ort für die Liebe

Eigentlich will keiner der beiden unbedingt nach Sachsen (Frauke ist ja aus dem Osten abgehauen). Aber weil Frauke eine Firma gründen will und nur dort die nötige Förderung bekommt, beißen sie eben die Zähne zusammen und ziehen nach Leipzig. Das wäre an sich ja noch in Ordnung gewesen, aber dann bekommt Sven den Job als Pfarrer in dem Örtchen Tautenhain, und spätestens jetzt ist diese Liebesgeschichte in großer Gefahr.

Tautenhain, das erfahren wir aus der ARD-Dokumentation, ist ein ziemlich trauriger Ort. "Ich habe Sachsen nie als Kulturschock empfunden", hat Frauke Petry dem Spiegel gegenüber mal versichert, aber der Reporter hat sie vielleicht auch nicht direkt nach Tautenhain gefragt. Im Dorf leben fast nur noch ältere Menschen, es gibt so gut wie keine Infrastruktur mehr, vor Kurzem wurde die Sparkasse abgerissen. Der Bahnhof steht zwar noch, aber wenn man möchte, dass der Zug hier hält, muss man das extra anmelden (die Bahn nennt sowas "Bedarfshaltestelle", und das bedeutet, dass es für deinen Ort schon fünf vor Tschernobyl ist).

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Kurz: Tautenhain ist so etwas wie das perfekte Sinnbild für Entvölkerung, Überalterung, Trostlosigkeit und Graupelputz. Trotzdem haben die Petrys versucht, sich hier einzuleben, Frauke hat die Orgel in der Kirche ihres Mannes gespielt. Und solange sie ihre Firma hatte, lief alles glatt.

3. Kaum eine Liebe ist stärker als die Midlife-Crisis

Tja, das mit der Firma hat ja dann bekanntermaßen nicht geklappt. Aber während ihr Unternehmen absoff, fand Frauke eine neue Betätigung: ihr Engagement in der "Wahlalternative 2013", die dann später zur AfD wurde. Anfangs unterstützt Sven Petry sie dabei: "Ich fand die Fragen richtig, die aufgeworfen wurden", sagt er in dem Film. Aber je mehr seine Frau sich zum Gesicht der Anti-Einwanderungsrhetorik der Partei machen lässt, desto öfter geraten die beiden aneinander – Sven hält das für "Panikmache". Und als Frauke ihn 2013 auf einer Wahlparty auf die Bühne holt, hat Sven schon keinen Bock mehr auf die neue Partei und die neuen Freunde seiner Frau. Aber die startet gerade erst durch.

4. Der Bad Boy ist immer noch heiß

Irgendwann lernt Frauke dann einen Neuen kennen: Marcus Pretzell, begeisterter Selbstdarsteller, politischer Opportunist und Hallodri. Der Spiegel beschreibt ihn als "so etwas wie das Gegenteil von Sven Petry", und das trifft es ziemlich gut. In der Doku zum Beispiel ist eine Szene zu sehen, wo Pretzell auf einer Bühne steht und sich über die Gegendemonstranten lustig macht: "Euer Hass ist unser Ansporn! Weitermachen, Jungs und Mädels!", ruft er.

Dann plaudert er zu seinen Anhängern: "Ich kenn das schon. Die Schlüpfer fliegen auch gleich. Die ham immer Hammer und Sichel drauf, das ist ganz cool", erzählt er, breit grinsend. "Ehrlich, ich steh drauf!", Petry schaut in dem Moment noch ein bisschen strenger als sonst.

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Aber obwohl Pretzell offensichtlich etwas sonderbar ist, kann man trotzdem irgendwie verstehen, dass sie das attraktiv fand. Denn Sven Petry kann einem mit seinem gönnerhaften, moralisch überlegenen Lächeln und melancholischen Phlegma auch schon während einer 44-minütigen Doku in den Wahnsinn treiben.

5. Am Ende leiden vor allem die Kinder

Trotzdem haben Frauke und Sven zusammen vier Kinder, und für die ist das Ganze wirklich hart. Jede verdammte Woche frachtet einer der beiden Ex-Eheleute alle vier Kinder und ihre Sachen in ein Auto und fährt sie von Leipzig nach Tautenhain oder wieder zurück. Und das ist nur das normale Pensum, das wohl zahlreiche Scheidungskinder zu bewältigen haben.

Dazu kommt dann noch der ganze Wahnsinn, den es mit sich bringt, das Kind von Frauke Petry zu sein. Das sieht man in der Doku zum Beispiel auf einer Demo, wo ein Gegendemonstrant ein Plakat mit einem Bild des 6-jährigen Kindes hochhält, auf dem "XXX ist ein armes Kind, weil seine Eltern Nazis sind" steht – nur dass auf dem Plakat der echte Name zu lesen ist. Als der Spiegel Petry vor einigen Monaten nach ihren Kindern fragte, hatte die ihren Kindern nicht besonders viel Aufmunterndes zu sagen: "Die leben unter einem Druck, unter dem ich als Kind nicht gelebt habe. [ … ] Wir werden sehen, ob sie mir das irgendwann mal vorwerfen. Aber ich denke, die sogenannte sorgenfreie Kindheit hat niemand. Ich lebe nach dem Grundsatz: Der Mensch hält viel aus. Keine Belastung, keinen Druck zu haben, muss für die menschliche Entwicklung nicht besser sein."

Na dann.

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