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the good old days

Der Premier League fehlen Kultfiguren wie Paul Scholes und Patrick Vieira

Die Premier League hat zwar immer mehr Geld, aber immer weniger Kultfiguren. Darum wollen wir heute auf zwei ganz Große ihrer Zeit zurückblicken.
Foto: PA Images

Du hast früher an der Premier League mehr Spaß gehabt? Willkommen im Klub!

Wo aus englischer Sicht definitiv nichts gefehlt hat, war in der Zeit zwischen dem Last-Minute-Coup von Manchester United in der Champions League 1999 (sorry, Bayern-Fans) und dem ersten Meisterschaftstitel für Chelsea unter der Abramovich-Ägide im Jahr 2005.

Seitdem ist das englische Fußballoberhaus zwar lauter, schriller, bunter und spektakulärer geworden, aber eben nicht besser.

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Es gibt übrigens einen Grund dafür, warum du und ich die Premier League nicht mehr so lieb haben wie früher. Und den werde ich dir jetzt verraten, also halt dich fest: Es ist einfach viel zu viel Kohle im Spiel. Das Spiel neulich zwischen Man City und Chelsea war zwar super, weil eine Menge von klasse Fußballern gegeneinander angetreten sind (und auch deswegen, weil Mourinho ordentlich auf die Fresse bekommen hat, was mir ein jedes Wochenende zu versüßen vermag), aber es war eben auch nicht so, dass es mich vom Hocker reißen konnte, so wie die Spitzenduelle in den späten 90ern und frühen 00ern. Und ich bezweifle, dass es jemals wieder so werden wird. Denn egal, wo du auf dem Feld auch hingeschaut hast, sei es zu Yaya Touré, Sergio Agüero oder David Silva auf der einen, oder zu Matic, Cuadrado oder Courtois auf der anderen Seite, überall habe ich Spieler gesehen, deren Identifikation mit dem Verein nur so weit geht, wie der Spieleragent nicht mit einem höher dotierten Vertrag bei einem anderen Verein ankommt.

Natürlich weiß ich selber, dass auch ein Patrick Vieira nicht so lange bei Arsenal geblieben wäre, wenn er nur 'n Appel und Ei verdient hätte. Aber ich glaube aus vollem Herzen, und damals hat man beim Fußball irgendwie noch mehr gespürt als heute, dass nicht ein einziger Spieler bei den epischen United-Arsenal-Duellen in den 90er-Jahren auf dem Platz stand, der nicht zu 99 Prozent aus der Liebe zum Fußball (und höchstens zu einem Prozent aus der Liebe zum Portemonnaie und zur Selbstdarstellung) ins Spiel gegangen ist. Was die heutige Spielergeneration betrifft, bin ich mir nicht mehr so sicher.

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Wollen wir also zwei Spielern aus dieser verloren gegangenen Epoche unsere Ehre erweisen. Und wen gäbe es da Besseres als die beiden Lieblinge ihres jeweiligen Fan-Lagers? Eben! Danke für eine geile Zeit, Paul Scholes und Patrick Vieira!

Ehre wem Ehre gebührt, Paul Scholes und Patrick Vieira

Wenn man die beiden als Spieler vergleicht, fällt einem auf den ersten Blick auf, dass Scholes deutlich mehr Titel geholt hat als Vieira: 11 Premier-League-Meisterschaften und zweimal den Henkelpott beim Engländer vs. drei nationale Titel und nullmal den Henkelpott beim Franzosen. Aber eben nur auf den ersten Blick, d.h. auf der Ebene der Vereinstitel. Denn dafür konnte Vieira mit der französischen Nationalmannschaft Welt- und Europameister werden, zwei Erfolge, die aus meiner Sicht mindestens ein paar Meisterschaften wert sind. Hätte man die beiden klonen können, wäre der wohl beste Fußballer aller Zeit daraus entstanden: ein Spieler mit übermenschlichen Kräften, der aus 50m Entfernung einen Muffin treffen, 20 Buden pro Saison machen und sogar noch dem Todesblick eines Roy Keane standhalten würde. Im Ernst: Vieira ist glaube ich der einzige Typ, der keine Angst vor Keane hatte. Allein die Tatsache ist schon Grund genug, Vieira den Kultstatus zu verleihen.

Einer der interessantesten Aspekte zum Arsenal-Team unter Wenger, der seit 1996 am Highbury Park das Sagen hat, ist die Tatsache, dass die großen Stars seiner Mannschaft vor ihrer Ankunft in London zwar schon große, aber keine überragenden Karrieren feiern konnten. Sei es ein Dennis Bergkamp, ein Thierry Henry, ein Sol Campbell oder eben auch ein Patrick Vieira, allesamt hatten den Ruf, gute Spieler zu sein, aber das Wort „Superstar" nahm bei ihnen noch niemand in den Mund. Erst unter Wenger konnten und wollten sie zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Wenn ich hingegen Diego Costa sehe, glaube ich immer, dass es ihm vor allem darum geht, seine 200.000 Pfund pro Woche irgendwie zu rechtfertigen und am Ende der Saison mit dem „Golden Boot" in der Hand in die Kameras zu lächeln.

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Und wenn wir schon am Schwelgen sind, darf natürlich auch das Team von Old Trafford nicht zu kurz kommen. Wer verstehen will, was die tolle Mannschaft aus der Saison 1998/99, die mit dem Gewinn des Henkelpotts und dem Triple endete, ausgemacht hat, muss sich nur den Film Class of '92 anschauen, der den Werdegang von David Beckham, Nicky Butt, Ryan Giggs, Gary Neville, Phil Neville and Paul Scholes vom Gewinn des Jugend-FA-Cups 1992 bis zum CL-Triumph 1999 begleitet hat. Dass dieser illustre Kreis Scholes als ihren Besten ausgewählt hat, sagt wohl schon alles über seine Qualitäten und erklärt, warum er einfach Kultstatus haben muss. Und wer kann sich bitte nicht an den Paul-Scholes-Moment erinnern, wenn er mal wieder aus gefühlt 100m eine butterweiche Traumflanke geschlagen hat, die bei einem Spieler gelandet ist, den außer ihm wohl keiner auf dem Schirm hatte. Nicht dass nicht auch Vieira für seine Traumanspiele—oft aus einem halsbrecherisch rasanten Antritt heraus—berühmt geworden wäre.

Wenn ich mich mal wieder über aktuelle Entwicklungen in der Premier League aufrege, etwa dass mittlerweile selbst ein Verein wie Stoke City am liebsten Tiki-Taka-Fußball spielen will, denke ich mit Freude und noch mehr Wehmut an Anekdoten aus einer besseren EPL-Zeit zurück.

Stoke City: Vom Arbeiterverein zum Tiki-Taka-Sammelbecken

Zum Beispiel als Arsenal, nach drei Meisterschaften für United in Folge, in der Saison 2001/02 dank eines 1:0-Auswärtssiegs in Old Trafford den Meistertitel holen konnte. Oder Uniteds furiose 5:1-Halbzeitführung im Februar 2001; Martin Keowns Herumgetänzel nach Van Nistelrooys verschossenem Elfer in der Saison 2003/04 kurz vor Schluss und Ray Parlours Schlag in die Magengegend des Holländers. Und natürlich der Pizzagate-Skandal, als Sir Alex Ferguson von einem Arsenal-Spieler angeblich mit einer Pizza beworfen wurde. Oder vielleicht die Szene hier?

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Gott, wie ich diese Spiele vermisse! Und wer noch einen weiteren Grund dafür haben will, dass Scholes und Vieira Heldenstatus verdient haben, dem sei gesagt, dass weder Scholes noch Vieira ihren Verein verlassen haben, als Klubs wie Real Madrid und Barcelona bei ihrem Management vorstellig wurden. Klar, viele Jahre später hat Vieira dann doch nochmal ein neues Abenteuer gesucht, aber da war er bereits im Herbst seiner Karriere. Scholes hingegen hat ManU nie den Rücken gekehrt.

Handschlag? Nein danke

Eine Szene mit Scholes und Vieira in den Hauptrollen wollen wir dann doch noch hervorheben. Vor dem Anstoß im Highbury Park zwischen Arsenal und United in der Saison 2004/05 stand das obligatorische Händeschütteln an. (Das war auch das Spiel, bei dem Gary Neville kläglich versucht hat, einen auf Roy Keane zu machen, indem er sich die Hand von Vieira schnappte und diesen so fies er konnte anstarrte, was den Franzosen nicht im Geringsten beeindruckt hat). Denn als Vieira „an der Reihe" war, kann man im Video sehen, wie Scholes in letzter Sekunde seine Hand wieder zurückzieht, ganz nach dem Motto „No thanks, mate". Dazu muss man wissen, dass Vieira und Keane eine langjährige Feindschaft pflegten und dass Scholes aus Solidarität zu seinem Kumpel die Hand des Franzosen zurückwies.

Letzte Worte über Scholes und Vieira

„Ich bin jedes Mal von den Socken, wenn ich Paul Scholes sehe, weil man ihn eigentlich nie sieht. Auf dem Platz kann ihn keiner kriegen und nach dem Spiel ist er immer sofort verschwunden." Luis Figo

„Wäre es zu einem Kampf kommen, glaube ich, dass Patrick mich getötet hätte." Roy Keane