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„Lass es liegen, fass es an”—Ein Interview mit Patten

Ein Gespräch über die Musealisierung elektronischer Musik, das visuelle Konzept von Pattens neuem Album ‚Estoile Naiant’ und den Schriftsteller Jorge Luis Borges.

Man übertreibt kaum wenn man festhält, dass Patten eine künstlerische Vision hat—auch wenn es sich dabei um eine mehr als überdrehte Vision handelt. Wer sein Album Glaqjo Xaccsso von 2011 schon für visionär befand, der möge sich lieber festhalten: sein neues Album Estoile Naiant folgt einer musikalischen Reise, die so Jetzt ist, so anachronistisch und rückwärtsgewandt wie futuristisch—und dabei tief in den Backkatalog von Warp Records wie auch Flying Lotus' samplebasierte Klangwelten verweist, während eigene musikalische Regionen erkundet werden.

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Estoile Naiant ist dicht gepackt mit unzähligen Klangelementen und -Strukturen, extrem vielschichtig und musikalisch hyperaktiv—Musik für die Tumblr-Generation, eine sonische Entsprechung einer grell flackernden .GIF-Grafik. Wir trafen den in London lebenden Produzenten D kurz vor seinem Live-Set im Rahmen des CTM Festivals und unterhielten uns über die Musealisierung von elektronischer Musik, das visuelle Konzept von Estoile Naiant und den Schriftsteller Jorge Luis Borges.

THUMP: Seit der Veröffentlichung deiner Eolian Instate-EP im letzten Jahr hast du sehr viel öfter live gespielt. Wo bist du zuletzt so aufgetreten?
D: Ich war neulich in Barcelona und spielte im L'Auditori-Forum. Das ist prinzipiell ja ein Museum. Dieser Saal war unglaublich. Ich bin neugierig, wie sich meine Musik und das ganze Projekt auf neue Umgebungen überträgt. Und es ist schon eine Seltenheit, zwei so wirklich unterschiedliche Shows hintereinander zu spielen. Neulich spielte ich zwei Shows in New York: die eine Location war bestuhlt, das war eine interessante Umgebung für ein Konzert. Und ein krasser Gegensatz zwischen dem, was auf und vor der Bühne passiert. Nur eine Stunde später spielte ich dann schon im 285 Kent.

Das wurde gerade erst geschlossen
Es gab da eine Reihe von Closing-Partys. Ich war halt gerade in der Stadt, zufälligerweise, und wurde dann für ein Live-Set eingeladen. Das war schon verrückt: von dieser relaxten Manhattan-Show mit Tischen, Kerzen und Weingläsern einmal über die Brücke nach Brooklyn zu fahren und dann im 285 zu spielen. Das gab so einen Energieschub. Und das war auch ein sehr vergnügliches Set.

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Suchst du gezielt nach Shows die in unterschiedlichen Kontexten oder vor wechselnden Besuchertypen stattfinden?
Das passiert eher beiläufig. Mein jetziges Setup ist eher eine Zusammenführung all dieser Orte. Mein Set beim CTM Festival hat eine gewisse Club-Anmutung, in Barcelona gab es dagegen einen riesigen Bildschirm in diesem bestuhlten Auditorium—einen hohen Produktionswert, gewissermaßen. Da sitzen dann hunderte Menschen und hören dir aufmerksam zu. Ich mag es, mich damit auseinanderzusetzen. Die Grenzen und Parameter unterschiedlicher Orte sind für mich als Musiker interessant, um zu verstehen, was funktioniert—oder was nicht funktioniert.

Du warst kürzlich Teil der Warp-Nacht in der Londoner Tate Gallery. Wie kam diese Kollaboration mit Jeremy Deller zustande?

Die Ausstellung fußte auf Dellers Arbeit The History of the World. Die einzelnen Räume orientierten sich an dessen Kartierung und wie verschiedene Augenblicke der Musikgeschichte mit Acid House in Zusammenhang stehen. Das passt natürlich hervorragend zur Geschichte von Warp Records. Hast du die Ausstellung gesehen?

Jeremy Deller erzählt die Geschichte der Rave-Jultur durch sein umfangreiches Privatarchiv mit Musik von Claude Speeed tells

Ich war nicht dabei, aber ich habe jede Menge Fotos von Freunden auf Facebook gesehen: die lange Warteschlange, von der Roland-Drum-Machine … Lange Warteschlangen vor Museen sind ja erst einmal nichts ungewöhnliches. Und in der Clubkultur—gerade im Berliner Nachtleben—kennt man den Anblick ja auch gut. Aber normalerweise vermischen sich diese Gruppen nicht so sehr.
Das ist ein Bekenntnis dafür, wie erfolgreich die Interaktion zwischen diesen Institutionen sein kann—die Tate auf der einen, Warp Records auf der anderen Seite. Beide sind einzigartig und beide spielen ihre ganz spezifische Rolle. Und zwar nicht nur in der britischen Kultur, sondern in einem globalen Sinne.

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Ähnliches war 2012 schon zwischen MoMA und Kraftwerk zu beobachten. Mir scheint, als würde Techno—oder elektronische Musik als solche—mehr und mehr musealisiert.
Aber liegt das an der zunehmenden Relevanz des Events als Schlüsselmechanismus für Kunstinstitutionen? Die Absicht scheint mir darin zu liegen, die Besucherzahlen zu erhöhen und dabei unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Das reflektiert meiner Meinung nach auch den Kunstbetrieb als solchen: Partizipation, Ereignisse, Live-Kunst und -Performance sind ja derzeit der Normalzustand, das Brot-und-Butter-Geschäft von Museen. Das war vor nicht allzu langer Zeit noch sehr unüblich, jetzt scheint es Common Sense zu sein.

Wie war deine Reaktion auf die Einladung zur Partizipation an dem Tate-Ding?
Zu jeder Einladung gehören Abwägungen. Als ich auf das Tate-Projekt angesprochen wurde, hatte ich dieselben Fragen im Hinterkopf, die ich bei jeder Show mit mir herumtrage. Ich habe den Tate-Abend letztlich nicht anders als meine anderen Auftritte behandelt, aber das ganze Spektakel rund um den Ort an sich war schon bemerkenswert.

Bei deinem neuen Album Estoile Naiant kam ich zu dem Eindruck, dass die visuelle Sprache ebenso wichtig wie die musikalische ist. Es gibt zwei klassische Musikvideos, ein abstraktes Artwork, daneben arbeitest du eng mit der bildenden Künstlerin und Grafikerin Jane Eastlight zusammen.
Die Bildsprache zieht sich durch das Konzept, von der Cover-Gestaltung bis hin zu den Live-Auftritten. Dabei unterliegen alle Teile einer Evolution und Evaluation, verändern im Laufe der Zeit. Von dem „Drift"-Video gab es viele Versionen für die Live-Shows. Das Musikvideo in der jetzigen Form ist die jüngste Version, die wurde dann veröffentlicht. Das wurde nun aber wiederum in den Live-Kontext rücküberführt. Und in dem Kontext beginnt es dann zu wachsen. Es ist aber auch möglich, dass wir vorhandenes Material wegwerfen. Das ist wichtig: Dingen gegenüber nicht zu pretiös zu sein. Bei „Agen" möchte ich die Betrachter unvoreingenommen das Video sehen lassen, ohne eine vorgefasste Idee dessen, was es sein könnte. Die Musik und die unterschiedlichen Bilder, die als Teil dieses Projektes existieren, eröffnen dem Zuschauer das Potenzial, es auf eigene Weise zu betrachten. Das Ziel des ganzen Patten-Projekts ist es, Materialien bereitzustellen, die die Wahrnehmung an sich erst ermöglichen.

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Du erwähntest die ständige Evolution deiner Kunst. Ab wann betrachtest du deine Musik als fertig?
Das ist vollkommen variabel. In einige Stücke fließt viel Zeit, in andere weniger. Aber dabei sind verschiedene Zeitzustände involviert: Wenn du einen Prozess anschiebst und ein Stück Musik auf einer Festplatte ablegst, dann wird es ja trotzdem bearbeitet. Nicht im Sinne einer physischen Bearbeitung, aber es ist ja immer noch als Datensatz vorhanden, es liegt da. Ich glaube, so lässt es sich am besten formulieren: Lass es rumliegen, dann fass es wieder an. Musik ist nicht wie ein geschlossenes Buch: Klängobjekte sind Teil eines Kontinuums, eines Gedankengangs. Die Betrachtung dieser Dinge setzt sich andernorts fort. Es gibt Musikstücke auf diesem Album, die einem Wandel unterliegen—Musik sehe ich nie als beendet an. Ein Album ist ein Schnappschuss eines Augenblicks jenes Gedankengangs.

Apropos Bücher: Dein Waschzettel erwähnt den argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges. Kennst du sein Buch der Zeit?
Der Verweis ist mehr als Einstiegspunkt für dieses Album gedacht, als offener Bereich.

Es klang eher nach einer persönlichen Referenz als nach einem Einstiegspunkt. Ein Blick in Pattens Buchregal …
Ich finde sein Buch Labyrinthe sehr gut. Borges' Werk ist unglaublich in dem Sinn, dass es sehr überzeugende, dabei aber komplett fremde Wege aufzeigt, den Zeitbegriff zu betrachten. Darin liegt etwas sehr kraftvolles. Und dann gefällt mir natürlich auch der Gedanke, dass andere Leute Borges über meine persönliche Arbeit entdecken könnten.

pattens Album streamt in voller Länge, die Re-Edits Vol. 1 gibt es als Gratis-Download

patten, ESTOILE NAIANT, Warp Records, Vinyl / CD / MP3

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