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Neurowissenschaftler erproben neue Methode gegen Tinnitus

Mit Hilfe der Selbstheilungskräfte des Gehirns wollen US-Forscher endlich die schmerzhaften Folgen deines Konzertbesuchs verstummen lassen.
Image: Pig Destroyer/Josh Sisk/used with permission

Bild: Pig Destroyer/Josh Sisk/ Mit freundlicher Genehmigung.

Auch Heilsversprechen für geplagte Musikfans brauchen gute Namen. Unter dem Titel „Serenity System" erproben Neurowissenschaftler in den USA momentan eine Behandlungsmethode, mit der die Ursachen für Tinnitus grundlegend beseitigt werden sollen. Dabei greifen sie direkt in den Vagusnerv ein—den größten Nerv des Parasympathikus, der das menschliche Hirn mit einer Vielzahl seiner Organe verbindet.

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Die Wissenschaftler senden dabei Impulse, die dem Hörzentrum des Gehirns helfen sich neu zu „stimmen" und die störenden Geräusche auszuschalten. Diese Therapie greift auf eine Strategie zurück, die als neuronale Plastizität bekannt ist, wie New Scientist und FACT berichten.

Bei diesem Vorgang macht sich die Behandlung die wunderbare Fähigkeit des Gehirns zunutze, einige seiner Bereiche als Reaktion auf veränderte Umstände oder Verhaltensmuster anzupassen und wiederherzustellen. Als Plastizitäts-Stimulation, also einer Anregung der Lernprozesse im Gehirn, werden Patienten kurzzeitigen Geräuschausbrüchen ausgesetzt, was die „Frequenzstimmung der Neuronen des akustischen Cortex herabstuft", schreibt Nature in einer Studie. Durch diese Technologie wurden bereits beachtliche Erfolge bei Ratten gemessen:

„Die wiederholte Verbindung von Tönen mit kurzen pulsierenden Vagusnervstimulationen führte zur vollständigen Abschaltung der physiologischen und verhaltensmäßigen Entsprechung eines Tinnitus bei Ratten, die extremen Geräuschen ausgesetzt waren."

Die aktuellen Untersuchungen lassen Tinnitusgeplagte nun hoffen, jene Erfolge aus dem Fazit der Studie auch beim Menschen wiederholen zu können: „Diese Fortschritte hielten noch Wochen nach der Therapie an."

Aber was ist überhaupt ein Tinnitus?

Im Sinne der wohl populärsten Theorie beruht das Fiepen im Ohr, das zum Beispiel von einer Beschallung in extremer Lautstärke herrührt, auf einer Schädigung der Härchen im Innenohr und kann langfristig zu einer Beeinträchtigung des Hörvermögens führen. Denn wird deine Cochlea, also die Hörschnecke, mit Lärm beschallt, beginnen die kleinen Haare sich zu verbiegen oder abzuflachen und beeinflussen somit die Signale, die vom Innenohr in das Hörzentrum des Gehirns übertragen werden. Durch eine Verletzung der Härchen erleidet das Opfer eines Tinnitus eine gestörte akustische Wahrnehmung—bis hin zum Hören jener extrem anstrengenden kontinuierlichen Töne, die eigentlich gar nicht da sind.

Die beschädigten Cochlea-Haare können sich nach einer gewissen Zeit durchaus wieder selbst heilen, aber in manchen Fällen macht auch dies keinen großen Unterschied mehr. Das Gehirn hat sich dann nämlich möglicherweise entsprechend der Vorstellung des Tinnitus-Pfeifens neu ausgerichtet.

Nach einer Studie aus dem Jahr 1998 ist die Illusion in diesem Fall zu einem „Phantom-Phänomen" geworden und laut dem aktuellen Paper, das jene weit fortgeschrittenen neuronalen Reorganisationen untersucht hat, nimmt ihr Ausmaß parallel zum Tinnitus-Leiden zu. Diese neuronalen Veränderungen sind vergleichbar mit dem Phänomen, das Amputierte beschreiben, wenn sie von Phantomgliedschmerzen berichten. Dieses Erleben lässt sich ebenfalls auf eine Zunahme von Plastizität in Folge physikalischer Reorganisationen innerhalb des Gehirns  zurückführen.

Als ehemaliger Musikjournalist, der sich nach Jahren nahezu täglicher Konzertbesuche inzwischen dem stillen Vergnügen neurowissenschaftlicher Themen hingibt, kann ich die Bedeutung der neuesten Erkenntnisse nur allzu gut nachvollziehen. Ich selbst habe wohl einfach mit einigem Glück diese Lebensphase überstanden, in der ich regelmäßig unmittelbar vor kreischend lauten Amps herumstand. Für all die anderen Metalfans im gesetzten Alter gilt: Seid unbesorgt die Wissenschaft hat euch nicht vergessen.