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The Issue That Cares

Werwölfe im Schafspelz im Wolfspelz

Zu Besuch bei den 1%ern des MC Schwarze Schar.

Die Full-Member und Prospects des MC Schwarze Schar in ihrem Clubhaus in Gägelow

Update: Der Schwarze Schar MC und der zugehörige Supportclub Schwarze Jäger MC wurden am 2. Januar 2014 verboten. Präsident Philip Schlaffer und drei weitere Mitglieder wurden im Juni 2014 festgenommen wegen des Verdachts auf bandenmäßigen Drogenhandel. Zwei weitere ehemalige Mitglieder sitzen bereits seit März in Untersuchungshaft. 

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Der MC Schwarze Schar Wismar präsentiert auf seiner Homepage im Bereich Presse diverse Zeitungsausschnitte über Anschläge auf Tattoostudios. Außerdem wird der Club, wie der Bürgermeister des benachbarten Ortes Grevesmühlen mir versicherte, immer wieder mit der rechten Szene und—wie für Rockerclubs natürlich üblich—mit allerlei kriminellen Dingen in Verbindung gebracht. Er vermutet jedenfalls, „die haben horizontales Gewerbe und alles“, während das LKA Mecklenburg-Vorpommern präziser von einzelnen Mitgliedern spricht: „Die kriminellen Aktivitäten dieser Mitglieder erstrecken sich dabei auf den Bereich der allgemeinen bzw. organisierten Kriminalität. Der MC ist dem ,Rockermilieu‘ zuzuordnen.“

Als die Jungs mich einluden, sie Freitagabends zu besuchen und mit ihnen abzuhängen, siegte aber eindeutig meine Neugier darauf, herauszufinden, ob sie wirklich so schlimm sind, wie alle behaupten, und ob du wirklich Angst haben musst, wenn du dich in ihr abgelegenes Clubhaus am Rande eines Gewerbegebiets verirrst. Für den Bruchteil einer Sekunde wurde ich nervös, als sich die Tür hinter mir schloss und vor mir eine geschlossene Reihe von massigen Typen antrat—über und über mit Tattoos bedeckt, kahlgeschorene Köpfe und schwarze Lederkutten. Zu meiner Überraschung waren sie aber unheimlich freundlich, genauso wie ihr Staffordshire-Terrier, der nicht genug davon bekommen konnte, sich von mir streicheln zu lassen. Vizepräsident und Tätowierer Basti zeigt sein SSFI-(Schwarze Schar Für Immer)-Tattoo, das er—bis auf sein eigenes natürlich—allen Full-Membern in die Unterlippe tätowiert. Nach der obligatorischen Begrüßung jedes einzelnen durch Handschläge—was übrigens eine Clubregel ist—und ein paar Zigaretten, schlug Clubpräsident Philip Schlaffer vor, dass wir uns hinsetzen und er uns etwas über die Geschichte des Clubs erzählt. Ich war halb beeindruckt und halb irritiert davon, wie ernst sie ihren Club nehmen. Um ein Full-Member zu werden, müssen diverse Mitgliedsstufen durchlaufen werden und es dauert ziemlich lange, bis die Vollmitgliedschaft durch ein „SSFI“(Schwarze Schar Für Immer)-Tattoo in der Unterlippe besiegelt wird. Der Club hat immer Vorrang vor allem anderen. Bei den Clubmeetings herrscht Anwesenheitspflicht und Unpünktlichkeit wird mit Geldstrafen geahndet. Jeder muss seinen Beitrag zum Club leisten und sich um das Clubhaus kümmern—konsequenterweise war dieser Laden also einer der saubersten, in denen ich jemals was trinken war.

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Die Mitglieder hängen fünf- bis siebenmal pro Woche miteinander ab, stemmen viermal pro Woche Gewichte, trainieren jeden Mittwoch zusammen Krav Maga und natürlich gibt es die eher typischen Regeln wie die, dass du niemals das Mädchen deines Kumpels angraben oder den Club bestehlen darfst. Wie man das in Motorradclubs so macht, bezeichnen sich die Jungs außerdem als Brüder, und ich hatte den Eindruck, dass ihnen der Club mehr bedeutet, als den meisten Leuten ihre Familien. Wenn einer ihrer Brüder im Gefängnis landet, so wie momentan Chris1%, dann unterstützen sie ihn finanziell, sowohl während der Haft als auch danach.

Clubpräsident Schlaffer, dem früher der Werwolfshop in Wismar und der H8-Store-Versand gehörten, die beide rechtsradikales Szenezeug vertrieben, sprach offen seine eigene Neo-Nazi-Vergangenheit an, die man schließlich auch ohne viel Mühe im Internet nachlesen kann. 2005 gründete er den „Werwolf-Club“, einen losen Zusammenschluss von Skinheads, die sich in alle möglichen Schwierigkeiten brachten und für ihr exzessives und vor allem gewalttätiges Verhalten berüchtigt waren. Sie gerieten unzählige Male mit dem Gesetz in Konflikt und hatten Spaß daran, die Stadtbewohner von Wismar in Angst und Schrecken zu versetzen. „Wenn ich heute darüber nachdenke muss ich schmunzeln“, meinte er über die Zeit damals und erklärte dann: „Das hier würde es ohne das damals nicht geben. Deswegen tun wir uns da auch schwer mit dem Verteufeln. Wir würden hier nie so Tattoos abdecken.“ Daran, dass jeder ganz einfach ihre Vorgeschichte googlen kann, hat er sich auch gewöhnt und schob rhetorisch hinterher, “Warum sollen wir jetzt hier auf Gutbürger machen oder erklären was 1%er heißt? Wir wollen kein Teil der Gesellschaft sein, wir machen hier unsere Regeln und wollen damit für uns sein.“ Dass sie ihre rechte Vergangenheit aber weiterhin als Teil ihrer Geschichte und Entwicklung sehen, wurde klar, als er die Zeit noch einmal zusammenfasste: „Es war ja auch eine gute Zeit. Nachher war das Politische tot, also das verlor sich nach der Zeit. Es ging später nur ums Saufen. Der Knackpunkt war zu Silvester, da gab’s einen Mord, einen Totschlag in der rechten Szene, da wurden einige mit hineingezogen, aber wir hatten damit nichts zu tun. Da wurden dann alle Grenzen über Bord geworfen. Das hat damals auch alle mitgenommen, man hat gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann.“

Vier mal pro Woche Sport ist Pflicht, nicht nur der Optik wegen, sondern auch, weil einige der Member und Prospects als Türsteher arbeiten. Dieser Spruch an der Wand im Meetingraum erinnert an die Clubregel der unbedingten Pünktlichkeit. Zuspätkommen zu Clubmeetings zieht eine Geldstrafe nach sich.

Nachdem sie sich irgendwann für das Rockerleben entschieden, gründeten sie dann vor zwei Jahren den MC Schwarze Schar, dessen Name sich auf ein Freiwilligen-Korps bezieht, das zusammengetrommelt wurde, um Napoleon zu bekämpfen, aber durch die Initialen natürlich auch zum Ruf des Clubs seinen Beitrag leistet. Der Club besteht mittlerweile sowohl aus Full-Membern mit einer Vorgeschichte in der rechten Szene als auch solchen ohne. Sie schmeißen öffentlich zugängliche Partys mit gigantischen BBQs und Lagerfeuern, Topless-Bedienungen und Begrüßung per Handschlag für jeden einzelnen Gast sowie pedantisch sauber gewischten Oberflächen im ganzen Clubhaus, die ganze Nacht lang. Anstatt sich Mühe zu geben, Leute für ihre Ideologie—wie auch immer die jetzt genau aussehen mag—zu gewinnen, sind sie eine eingeschworene Gemeinschaft, die es einem nicht gerade leicht macht, ein Teil davon zu werden. „Die 1%er-Gemeinschaft ist eine Gesellschaft, die ihre eigenen Regeln und Gesetze macht. Das heißt jetzt nicht, dass alle 1%er Kriminelle oder Gesetzesbrecher sind, aber sie bauen sich eben ihre eigene Parallelgesellschaft auf und, ich sage es jetzt mal so krass, wie es ist, scheißen auf alle anderen Regeln und Gesetze“, erklärte Vizepräsident Basti dann doch noch mal seine Definition der 1%er-Ideologie. „Scharführer“ Carlo, der für die Disziplin im Club zuständig ist, also der Sergeant-At-Arms, fügte dann noch hinzu: „Wir halten uns schon an die Gesetze des Staates, aber die des Clubs stehen für uns selber über denen. Wenn ich ein Gesetz des Staates brechen muss, um für den Club voranzukommen, dann würde ich das tun.“ Ihre eigene Art von Überstruktur löst für diese Rocker die normalen Gesetze und Regeln ab und ist wohl ihr ganz eigener Weg, sich gegenseitig aus Schwierigkeiten herauszuhalten und sich ein Leben in Freiheit—beziehungsweise nach ihren eigenen durchaus strengen Regeln—zu ermöglichen.

Fotos von Martin Fengel