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FLOWERS OF FLESH AND BLOOD

Für viele Kritiker und Filmliebhaber lassen sich große Filmschaffende einer von zwei Gruppen zuordnen: Hollywood-Regisseure, die trotz der kommerziellen Bedingungen großes, kunstvolles Kino für ein breites Publikum machen (Coppola, Kubrick, Malick) und die Arthouse-Cinephilen, deren beste Arbeiten den populären Geschmack nicht treffen und das auch gar nicht versuchen (Deren, Anger, Vertov und oftmals auch David Lynch). Hideshi Hino gehört zu letzterer Gruppe, aber die meisten seiner Kollegen würden wahrscheinlich zögern, ihn als einen der ihren zu bezeichnen.

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Sein Kino liegt irgendwo zwischen einem Troma-Film und Noés Irreversible. Der Italiener Ruggero Deodato, Regisseur des berüchtigten Cannibal Holocaust, ist vermutlich der einzige, der Hinos Vision teilt. Wie Deodato war auch Hino polizeilichen Untersuchungen ausgesetzt, da seine Arbeit zu brutal und viel zu echt war, um die Arbeit eines geistig gesunden Mannes zu sein. Als amerikanische und japanische Ermittler sich sein bedeutendes Pseudo-Snuff Meisterwerk Guinea Pig 2: Flowers of Flesh and Blood anschauten, waren sie überzeugt, dass die gezeigte Gewalt echt war.

Und man kann ihnen nur schwer einen Vorwurf machen: der Film selbst gibt vor ein echter Snuff-Film zu sein, der Hino von einem verrückten Fan zugesandt wurde. Der Plot, so lose er ist, besteht aus einem Floristen, der Frauen tötet, um ihre zerstückelten Körperteile für Blumenarrangements zu verwenden. Es ist ein 45-minütiges unvergleichbares Schlachtfest, das auch heute noch genauso einzigartig und verstörend aussieht wie 1985. Es ist bekannt, dass der Film Charlie Sheen dermaßen zu Tode erschreckte, dass er ihn dem MIAA (und die dann dem FBI) meldete. Heute lehrt Hideshi Hino an der Universität der bildenden Künste in Osaka und zwar in der—so steht es lustigerweise auf der Japanischen Wikipedia-Seite—„Charakterformungs-Fakultät". Wenn diese Übersetzung auch nur ansatzweise der Realität entspricht, sollten wir damit rechnen, dass die Polizei sehr bald einen enormen Haufen Leichen im Yodo Fluss findet.

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Tomokazu Kosuga von Vice Japan hat sich mit Hino zu einem kleinen Plausch getroffen.

Vice: Was war der Auslöser einen extrem brutalen Film wie Guinea-Pig zu machen?

Scheinbar hatte ich einige Fans im Produktionsteam von Guinea Pig 1. Bei der Abschlussparty von Guinea Pig 1 wurde offenbar mein Name genannt, also kam der Produzent des Films mich besuchen. Als Manga-Autor meinte ich, ich müsste einen Story-lastigen Film machen, aber der Produzent sagte, sie hätten dafür nicht das nötige Budget. Stattdessen sagten sie, ich sollte den Dreh auf eine Location beschränken und lange Takes mit so wenig Schnitten wie möglich filmen. Zu dieser Zeit gab es in Japan einen Riesenhype um diese Urban Legends von irgendwelchen Snuff Filmen, also habe ich entschieden, das zum Thema der Arbeit zu machen. Es wäre langweilig gewesen, hätte ich es einfach nur geradeheraus gezeigt, also entwickelte ich diese Einleitung für den Film, dass ein verrückter Fan mir eines Tages eine Rolle 8mm-Film schickt, der sich als Snuff herausstellt. Da es für mich natürlich unmöglich ist, Snuff unbearbeitet zu veröffentlichen, muss ich ihn natürlich in einen „Film" umwandeln, der jetzt das ist, was das Publikum sieht. Auf jeden Fall wollte ich jede Art von moralischem Motiv und alles andere vermeiden, das die Gefühle des Hauptcharakters offenbart hätte.

In deinen Mangas ist die Story immer ein wichtiges Element. Wie war es, sich im Film vom Narrativen wegzubewegen?
Nun, für diesen speziellen Film war das Entfernen der Story von großer Bedeutung. Allerdings war das problematisch, denn ohne eine sichtbare „Geschichte" ähnelte das Resultat zu stark einem originären Snuff-Film. Zu dieser Zeit fragte der Journalist Taro Kimura den Filmkritiker Haruo Mizuno in einer Nachrichtensendung: „Ist diese Art von Film wirklich notwendig in dieser Welt?" worauf Haruo Mizuno antwortete: „Nein, absolut nicht. Horrorfilme aus Hollywood haben wenigstens eine Art moralisches Motiv oder eine Storyline, aber das ist nur sinnlose Gewalt." Als wäre mir das nicht klar gewesen! Wie konnten sie es wagen zu behaupten, mein Film sei von minderer Qualität als ein Hollywood-Horror-Film? Genau darum ging es doch in meiner Arbeit. Ich konnte nicht fassen wie unglaublich unreif sie waren.

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Ich habe mir Guinea Pig in einem Video-Laden besorgt, aber ich dachte er wäre ganz verboten worden?
Ist das etwa doch nicht der Fall?
Er war immer noch da?! Wie du gerade gesagt hast, wurden alle Kopien von Guinea Pig 2 angeblich zurückgezogen. Damals untersuchten in ganz Japan Bildungsausschüsse den Film und waren entsetzt, was dazu führte, dass jede Kopie des Films zurückgezogen wurde. Ich hielt das für einen großen Erfolg.

Definitiv! Für einen Horrorautor ist die Fähigkeit ein Werk zu schaffen, das echtes Entsetzen hervorruft, die größte Errungenschaft, richtig? Selbst wenn die eigentliche Struktur des Werks beim Publikum keinen Anklang findet, der Schrecken bleibt.
Ich würde sagen, das stimmt. Wie auch immer, ich war mir nicht bewusst, dass das in Amerika und Europa von noch größerer Bedeutung war, als in Japan. Die DVD wurde in Amerika veröffentlicht, und es scheint, als könntest du niemanden in der amerikanischen oder europäischen Horrorindustrie finden, der von Guinea Pig 2 noch nichts gehört hat. Vorletztes Jahr wurde ich zum jährlichen „Horror Film Festival" in San Sebastian in Spanien eingeladen, und wir veranstalteten eine Vorführparty für Guinea Pig 2.

Erzähl mir davon, wie Charlie Sheen dich beim FBI anzeigte.
Das war das Erste, zu dem mich die amerikanischen Medien befragten, als die US-Version herauskam. Aber ich wusste selber nicht so genau darüber bescheid, und letzten Endes befragte ich sie zu Charlie Sheen, und ob das FBI wirklich etwas unternehmen würde. „Sie haben bereits etwas unternommen" war die Antwort, also sagte ich „Lasst mich diese FBI-Jungs treffen, ich liebe sie in den ganzen Filmen." Sie nahmen das als Witz und lachten.

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Warst du zu der Zeit aufgrund des Films in irgendwelche Gerichtsverfahren verwickelt?
Die Sache hat es nie bis vors Gericht geschafft, aber ich wurde von einer Reihe Schwierigkeiten geplagt. Zuallererst war damals diese „Ayako-chan"-Sache passiert. Eine Reihe von Leuten aus dem Publikum des Films, die in den Nachrichten vom Ayako-chan Vorfall hörten, dachten, der Mörder hätte vielleicht Guinea Pig 2 gesehen und imitiert, und informierten die Polizei von Fukagawa. Sie kontaktierten mich, und wollten mich zur Psyche der Hauptperson befragen. Ich war damit einverstanden, und so vereinbarte ich zusammen mit meinem Produzenten einen Termin für ein Gespräch ein paar Tage später. Bevor es dazu kommen konnte, wurde Tsutomu Miyazaki, der Mörder, gefasst. Später wurde ein Video der Guinea Pig Serie bei ihm gefunden, aber es war Guinea Pig 4, ein Video, mit dem ich nichts zu tun hatte. Unglücklicherweise hatte die Polizei Guinea Pig 2 gerade gesehen, bevor sie Miyazaki verhafteten. Sie wussten nicht, dass Guinea Pig eine Serie war, sobald sie also hörten, dass ein Guinea Pig Video gefunden worden war, dachten sie es handele sich um Guinea Pig 2. Die Polizei von Fukagawa informierte die Presse, sie hätten meinen Film im Zimmer des Täters gefunden. Bis zum Abend war die Fehlinformation weit verbreitet.
Da hast du die Macht der Medien. Was ist als Nächstes passiert?
Ich war nicht komplett davon überzeugt, dass sie mein Video gefunden hatten. Als sich die Dinge etwas beruhigten, besuchte ich die Polizei von Fukagawa. Ich bat sie zu überprüfen, ob der Film, den sie gefunden hatten, wirklich Guinea Pig 2 war, oder nicht. Der Kommissar damals sagte wirklich zu mir: „Warum machen sie sich darüber so viele Sorgen? Der ganze Vorfall war doch erstklassige PR für Sie. Sie sind jetzt sicher reicher und berühmter als vorher, nicht?" Ich mache keine Witze. Da ich als Regisseur angestellt war, waren die Verkäufe für mich leider bedeutungslos. Der Typ sagte auch so was wie „Ich persönlich finde ja Pornos wertvoller als ihren Film."

Hatte der Vorfall zu dieser Zeit einen Einfluss auf deine Arbeit als Mangaka?
In der Tat. Es waren drei oder vier Sammlungen zur Veröffentlichung geplant, aber sie wurden verboten. Ich habe auch einen anderen, Story-lastigen Film für die Guinea Pig Reihe gedreht, Mermaid in a Manhole. Zur Zeit des Vorfalls war sogar geplant, eine Kinoversion von Mermaid zu machen – wir waren schon in der frühen Planungsphase. Es wäre mein erster echter Film geworden, und ich habe mich wirklich sehr darauf gefreut, mit der Arbeit anzufangen. Aber kurz vor Drehbeginn kam es zu dieser Tsutomu Miyazaki-Geschichte. Die Medien hetzten so sehr gegen die Produktionsfirma, dass der Vorfall den ganzen Film überschattete, und wir ihn unmöglich fertigmachen konnten.

TEXT: ALEX DUNBAR
INTERVIEW UND PHOTO VON TOMOKAZU KOSUGA