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Reisen

Krokoterror auf Havelock

Als ehrlicher Anhänger gepflegter Fernsehunterhaltung musste ich unweigerlich an „Haialarm auf Mallorca“ denken, als ich vor einiger Zeit ein paar Tage im Paradies verbrachte und diese Geschichte über den Krokodilterror hörte. Und wer sich schon immer mal gefragt hat, wo sich dieser verdammte biblische Mythos des Paradieses eigentlich versteckt: Er liegt ungefähr auf 12 Grad nördlicher Breite und 92 Grad östlicher Länge mitten im Golf von Bengalen, gehört zu Indien und ist für ein paar Rupien via Deckpassage auf verrostetem Containerdampfer von Kalkutta aus zu erreichen.Andaman and Nicobar Islands heißt er. Dort kann man sich wunderbar ungestört an weißen Sandstränden, unter in lauen Lüftchen wehenden Kokospalmen und mit Blick auf das türkisblaue Meer die warme Tropensonne auf seine entblößten Geschlechtsteile brennen lassen, während die geschätzten drei ansässigen Einheimischen in Dörfern ohne Namen hauptsächlich damit beschäftigt sind, zu entspannen, entspannten Kühen essen zu kochen und langhaarigen Langzeitferiengästen Gras zu verkaufen. Kurzum: Malediven für Arme.

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Zurück zum Haialarm. Der Haialarm auf den Andamanen und Nikobaren, genauer auf Havelock Island—einer der Inseln ohne Ureinwohner mit Giftpfeilen—war im Grunde genommen ein Krokodilalarm. Opfer des Terrors wurde eine US-amerikanische Touristin. Die armen Amerikaner; verfolgt der Terror selbst ins Paradies! Wahrscheinlich wollte sie wie so viele auf Havelock nur ein wenig antikapitalistisches Robinson-Crusoe-Feeling aufsaugen und machte sich daher mutterseelenallein auf den Monsun-verschlammten Pfad durch den Urwald Richtung „Elephant Beach“, um dort fern von allem die Nemo-artigen Schnorchelgründe zu bestaunen oder was auch immer zu treiben. Jedenfalls wendete sich die Sache für sie im Endeffekt zu einer eindeutigen Negativbilanz, die sie mit dem Leben bezahlte. Aus dem dichten Dschungel hinter der Amerikanerin schlich sich nämlich ein entweder ziemlich hungriges oder schlichtweg recht angriffslustiges Krokodil, das nicht nett zu ihr war. Es zerfleischte sie, wie man sich später im Dorf erzählte. „She was brutally lacerated.“ Schlimm sowas. Mensch, muss das ein scheiß Gefühl sein, wenn man nichts ahnend in der Sonne liegt und dann plötzlich zerfleischt wird. Zerfleischt.

Die Amerikanerin war also tot. Weil sich ein vom Krokodil demolierter Körper bei 35 Grad tropischer Hitze, gefühlten 1000 Prozent Luftfeuchtigkeit und behelfsmäßiger Kühlung nur durch tiefgefrorene Lebensmittel nicht allzu gut hält, musste die Gute noch vor Ort auf Havelock verbrannt werden und trat ihre Heimreise als Aschehaufen an. In den kommenden Tagen machten pietätlose Gerüchte die Runde und der Krokodilbefall weitete sich zu einer wahren Plage aus, von der nun auch John Lawrence Island nebenan betroffen war. Inder mögen das Tratschen. Beispielsweise sollen spielende Kinder ein blutverschmiertes Krokodil gesichtet haben, dem ein Fuß aus dem Maul hing. Und der war weiß! Wie auch immer. Obwohl plötzlich bewaffnete Polizisten mit mörderischen Gewehren ihre Runden um die kleine Insel drehten und einem erneut auftauchenden Killer-Krokodil wahrscheinlich eine Ladung Schrot ins Hirn gepfeffert hätten, öffnete ich fortan etwas öfter meine Augen, wenn es in dem hoch aufragenden Urwald, in den die einsamen Strände übergingen, raschelte. Man weiß ja nie. Ich mag meine Füße gerne.

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Ob nun zum Glück oder nicht, ging es mit dem endgültigen Einsetzen des Monsuns bald zurück nach Kalkutta. Dort gibt es zwar keine fleischlüsternen Krokodile, dafür aber eine Menge anderer Beklopptheiten.

Lediglich während der äußerst entspannenden Touren auf Miss India wog ich mich in relativer Sicherheit. Miss India war mein in lila gehaltenes Fahrrad, zu dem ich aufgrund seiner einmaligen Namensgebung innerhalb weniger Tage eine innige Beziehung aufbaute. Miss India war quasi mein Wilson.

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“