Die letzten Showgirls von St. Pauli

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Die letzten Showgirls von St. Pauli

Jaminas Alltag spielt sich in den Straßen St. Paulis ab und damit gehört sie ohne Zweifel zu einer aussterbenden Generation von Showgirls, für die der Kiez mehr als nur ein Arbeitsplatz ist.

Travestie-Künstler gibt es viele, doch nur wenige setzen sich im Showgeschäft durch. Eine, die es geschafft hat, ist Jamina. An fünf Abenden pro Woche schlüpft sie in ihre glitzernden Roben, bedeckt ihren Bartansatz mit Concealer und hüllt sich in eine süßlich duftende Parfümwolke. Auf der Bühne unterhält sie das Publikum mit Schlagern und Comedy-Einlagen. Ihre Gags zielen häufig tief, doch gerade das gefällt ihren Gästen, die schon bei harmlosen Ausdrücken wie „Eiertante" zu prusten beginnen. Auch hinter der Bühne ist sie ganz die Entertainerin. Aus ihr blubbern Anekdoten und Humoresken, während sie sich die Perücke zurecht zupft oder über ihre falschen Wimpern flucht. In kurzen Atempausen wirkt sie allerdings verloren zwischen sexueller Orientierung und geschlechtlicher Zuordnung. Sie versteckt ihre inneren Konflikte hinter einer Anti-Haltung, die einfache Antworten auf die offenen Fragen ihres Lebens gibt. Dabei verstrickt sie sich unbewusst in den Widersprüchen eines Schubladendenkens, das sie eigentlich ablehnt. Privat lebt Jamina ein wenig einsam allein mit ihrem Hund unweit der Großen Freiheit. Ihr Alltag spielt sich in den Straßen St. Paulis ab und damit gehört sie ohne Zweifel zu einer aussterbenden Generation von Showgirls, für die der Kiez mehr als nur ein Arbeitsplatz ist. Wir durften Jamina vor ihrer Show in Olivias Show Club in Hamburg besuchen.

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VICE: Wann hast du dich entschieden, Travestie zu machen?
Jamina: Ich bin mit 18 in einem Münchener Travestie-Cabaret gewesen. Dort habe ich „Baby Bubble", ein absolutes Urgestein der Szene, in ihrem Dirndl auf der Bühne gesehen. Ich bin nach der Show zu ihr und wollte so ziemlich alles über Travestie wissen. Ich habe ihr auch gleich ganz stolz mein Make-up gezeigt, aber die Bubble meinte nur, dass ich den Scheiß gleich wegschmeißen kann. Sie hat mir dann erstmal gezeigt, wie man sich richtig schminkt. Später, nach meinem Umzug nach Hamburg, bin ich im Pulverfass bei einem Talentwettbewerb aufgetreten und habe kurz darauf ein Engagement im Safari Club bekommen. Vor ein paar Monaten hat mich dann Olivia Jones entdeckt und mir ein Stipendium bei der Hamburger „Schule für Comedy" spendiert. Na ja, und jetzt trete ich halt im Show Club auf.

Kannst du mir dein Bühnenprogramm beschreiben?
Ich verstehe mich als Entertainerin. Das bedeutet, ich mische hauptsächlich Stand-up-Comedy und Gesang. Allerdings folge ich eher dem Mainstream und singe beispielsweise Schlager wie „Moskau" oder „Dicke Mädchen haben schöne Namen". Das finden viele platt, aber ich schäme mich nicht dafür. Ich finde, du musst nicht Schauspiel studiert haben oder in irgendwelchen Theatern aufgetreten sein, um Menschen zu unterhalten und ihnen eine gute Zeit zu bereiten. Wenn du das einfach tust, ist doch nichts Verwerfliches dabei.

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Was macht ein gutes Showgirl für dich aus?
Definitiv die Kostüme. Du kannst keines meiner Kleider irgendwo kaufen. Für mich arbeitet eine Schneiderin, die im Moulin Rouge gelernt hat. Die fertigt Corsagen und Outfits im Maßschnitt an. Nur so hast du überhaupt die Chance, auch körperlich die perfekte Illusion einer Frau zu sein. Ich schnüre mir die Taille ab und zwänge mich in eine Strumpfhose, in die ein Silikon-Arsch eingebaut ist. Und natürlich kann ich auch nicht einfach eine Perücke von der Stange nehmen. Die lass ich mir von einem Spezialisten anfertigen, anpassen und frisieren. Vom Make-up fang ich gar nicht erst an. Das verschlingt Unsummen.

Wie hast du dir dein Wissen, die ganzen Tricks und Kniffe angeeignet?
Ich hab mir natürlich ganz viel von anderen Mädels abgeschaut. Allerdings herrscht unter den „Eiertanten" ein ziemlicher Konkurrenzkampf. Die gönnen sich untereinander nichts, weil es zu wenige Läden für zu viele Travestie-Künstler gibt. Ich hab erstmal eine Ausbildung zur Maskenbildnerin gemacht, um zu lernen, wie man Haaransätze schminkt oder die Augen zum Glitzern bringt. Der Rest läuft über Kontakte. Wenn dich eine der Älteren mag, gibt sie dir vielleicht irgendwann mal die Handy-Nummer ihrer Schneiderin. Und dann baust du dir ein kleines Netzwerk auf, weil du weißt, dass die besten Pailletten aus Dubai kommen und du jemanden kennst, der sie dir besorgt. Das dauert alles verdammt lange.

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Bist du nur auf der Bühne eine Frau oder auch privat?
Ich hatte mal eine Phase, in der ich dachte, dass ich im falschen Körper stecke. Deshalb habe ich eine Hormontherapie begonnen und mir die Brüste operieren lassen. Ich hab mich nach ein paar Jahren allerdings gegen eine Geschlechtsangleichung entschieden und die Implantate entfernen lassen. Jetzt bin ich nur noch auf der Bühne eine Frau. Im Alltag ordne ich mich keinem Geschlecht zu—trage aber eher männliche Kleidung.

Wirst du von schwulen Männern als Partner akzeptiert?
Ich bin wohl eine Randgruppe innerhalb einer Randgruppe, was ziemlich scheiße ist. Ich stehe sexuell nicht auf Frauen und finde keinen schwulen Mann, weil ich eine Tunte bin. Meine einzigen Freunde sind mein Hund und mein Nachbar. Als ich noch eine Transe war, fiel es mir leichter, Männer zu finden, weil ich damit wenigstens einen Fetisch bedienen konnte.

Was hat Mutti zu deinem Berufswunsch gesagt?
Sie hat geweint. Dann musste ich ihr versprechen, nicht auf den Strich zu gehen. Sie will irgendwann mal zu einer meiner Shows kommen, aber bisher hat sich die Gelegenheit noch nicht ergeben. Vielleicht kommt sie mich mal in Hamburg besuchen.

Wie sieht es mit der Akzeptanz auf Seiten des Publikums aus?
Dass sie eine Travestie-Show besuchen, bringt die wenigsten Leute auf den Gedanken, ihr eigenes Verhältnis zur Homosexualität zu hinterfragen. Wir werden oft als glitzernde Paradiesvögel wahrgenommen, die ein paar Sprüche über Pimmel und Muschis klopfen, mehr nicht. Zu mir kam nach der Show mal eine Mutter aus Bayern und meinte, dass sie mich ganz toll findet. Als ich zu ihr gesagt hab, dass ihr Sohn in meinen Kleidern auch so gut aussehen würde, hat sie nur „Gott bewahre" gesagt.

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