Aus dem Alaska Irlands auf die große Bühne und zurück: Der Spieler Jim McGuinness

FYI.

This story is over 5 years old.

gaelic football

Aus dem Alaska Irlands auf die große Bühne und zurück: Der Spieler Jim McGuinness

Gaelic Football ist der Nationalsport der Iren und Jim McGuiness seine größte Legende. Im zweiten Teil unserer Gaelic Football-Serie blicken wir auf seine turbulente Spieler-Karriere zurück, bevor er zum sportartübergreifenden Trainerguru wurde.

Gaelic Football ist eine Mischung aus Fußball, Basketball und einer Kneipenschlägerei. Du hast noch nie davon gehört? Im ersten Teil unserer Serie erzählen wir, wie Gaelic Football zum Nationalsport der Iren wurde.

Das Lied des Jimmy McGuinness—Die Iren und Gaelic Football

Im zweiten Teil soll es um den Spieler Jim McGuiness gehen, bevor er zu einer der größten Legenden des Gaelic Footballs wurde.

Jim McGuinness ist 15, als er sich auf dem Jungenklo der Schule einsperrt. Er hält den Umschlag mit seinen Examensergebnissen in den Händen, den Augenblick, wo sich seine Zukunft entscheidet, will er alleine verbringen. „Es war mein Willy-Wonka-Moment. Wie Charlie, der die Schokolade aufreißt und hofft, dass sich darin das goldene Ticket befindet. Aber es gab kein goldenes Ticket." Die Ergebnisse, die er bekommt, sind miserabel, acht von neun Prüfungen hat er vermasselt, und was sich in diesem Moment schließt, ist mehr als nur die Tür einer Toilette.

Anzeige

Für einen Jungen aus der Grafschaft Donegal im Nordwesten Irlands gibt es ab jetzt kaum noch Chancen. Donegal gilt als das Alaska Irlands, es ist nur über einen kleinen Zipfel im Osten mit der Republik verbunden, der Rest ist vom Atlantik und der Grenze zu Nordirland umgeben. Es ist die Grafschaft mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit, selbst vom Wirtschaftsboom—dem keltischen Tiger—wurde sie links liegen gelassen. Die zerklüftete Landschaft mag romantisch aussehen, ansiedeln will sich dort dennoch kaum jemand. Wenn überhaupt, dann sorgen nur die Fischerei, die Schafzucht und der Tourismus für ein spärliches Einkommen. Wer dort geboren wird, der hat schon schlechte Karten, Jim McGuinness hatte es noch einen Tacken schlimmer erwischt. Aus Gottes Lostrommel wurde ihm Glenties als Geburtsort zugewiesen, ein Dorf, das aus einer Hauptstraße, ein paar Pubs und einer Kirche besteht. Der Rest sind Schafe, Wiesen und ganz viel Nichts.

McGuinness verlässt die Schule ohne Abschluss, kurz danach heuert er an der Küste in Killybegs an. Bis zu zwölf Stunden fährt er von da an mit Fischkuttern übers Meer und hievt Netz um Netz über die Reeling, wieder an Land geht er in die Fabrik, um dort den Fang auszuweiden.

„Es war das erste Mal, dass ich dachte: Ok, du hast es im Leben verrissen", erzählt er. Und wäre er nicht in Irland geboren, dann wäre es das wahrscheinlich wirklich gewesen. Aber sie spielen in Irland dieses Spiel. Und McGuinness wusste, wie es gespielt wird.

Anzeige

Der junge Jim McGuinness bei einem Zweikampf

Ein Junge namens Cher

Mit 14 verliert Jim McGuinness seinen ersten Bruder. „Charles war vier Jahre älter als ich, er hatte eine Herzerkrankung", erzählt McGuinness. „Seine Bestimmung war es, ein herausragender Jugendspieler zu werden. Nach seinem Tod trug ich diesen Traum weiter und gab mir ein Versprechen."

McGuinness trainiert von da an Stunde um Stunde bis tief in die Nacht, notfalls alleine. „Beim Gaelic Football wusste ich: Wenn du deine vier, fünf Aufgaben erfüllst und dich darauf konzentrierst, dann wirst du ein gutes Spiel spielen. Football wurde mein Leben."

Er wird einer der besten Jugendspieler der Grafschaft, aber wie jeder Ire, der kaum Perspektiven und dazu noch nicht einmal einen Schulabschluss hat, zieht es ihn irgendwann in die Ferne. Im März 1991 verlässt er Irland und geht nach Boston, in der irischen Diaspora spielt er Football und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Als er im Winter nach Hause zurückkehrt, wird er zu einem Sichtungstraining der Grafschaft Donegal eingeladen.

Er ist noch ein kleiner Junge mit schwarzen Locken und tiefblauen Augen, als er auf dem Gelände auftaucht. Das Team tauft ihn Cher, im Gegensatz zu ihm sind es gestandene Männer. Nach dem Training wird er ins Büro des Cheftrainers gerufen. „Ich war mir sicher, dass ich nach Amerika zurückkehren würde. Als ich das Trainingsgelände verließ, fragte Brian McEniff mich, ob ich Teil des Teams werden wolle. Ich hatte nur mein Spiel gespielt, ohne Druck."

Anzeige

Im Leben hatte McGuinness seinen Anker noch nicht gefunden, aber das Spiel, das sie spielen, versteht er. Obwohl er keinerlei Einsatzzeiten bekommt, ist McGuinness Teil jener Mannschaft aus Donegal, die 1992 aus dem Nichts heraus zum ersten Mal in ihrer Geschichte das All-Ireland-Finale gegen das hochfavorisierte Team aus Dublin gewinnt. Nach dem Abpfiff stürmen 40.000 Donegal-Fans das Feld und feiern ihre Helden, er ist der kleine Junge am Rand, der mit weit aufgerissenem Mund dem Wahnsinn zusieht.

Den nächsten Monat besucht die Mannschaft jedes Dorf in der Grafschaft, überall wird sie von Menschenmassen empfangen, es ist die wahrscheinlich größte Party, die Donegal bis dahin erlebt hat. Das Team präsentiert den Sam-Maguire-Cup in Krankenhäusern, Altenheimen und Schulen, und mit dem Pokal bringen sie mehr als nur einen Erfolg in ihre Heimat zurück, es ist ein Gefühl, das sie noch nicht kannten, und nennt sich Stolz. Jim McGuinness saugt diese Bilder wie ein Schwamm in sich auf. „Das Lächeln in den Gesichtern der Menschen zu sehen", sagt er. „Das macht alles lohnenswert."

Das Team Donegals kehrt nach dem All-Ireland 1992 in die Heimat zurück

Das Mantra des Jimmy McGuiness: Commit, focus, believe, achieve

Jim McGuinness kommt nach dem Finale bei der irischen Telefongesellschaft unter, es ist ein Aufstieg und gleichzeitig wieder das Ende. Zweieinhalb Jahre lang spielt er fast ausschließlich Karten und dehnt Mittagspausen bis ins Unermessliche aus, dann trifft er eine Entscheidung.

„Meine Philosophie ist simpel, sie besteht aus vier Schritten. Erstens: Man muss eine Verpflichtung eingehen. Zweitens: Man muss sich auf ein Ziel fokussieren. Drittens: Man muss daran glauben. Als Viertes kommt das Erreichen, der Erfolg, aber das ist ein Nebenprodukt. Die ersten drei Schritte sind wichtig", erzählt McGuinness. „Aber alles fängt mit der Verpflichtung an. Und der Frage, wem oder was du dich verpflichtest".

Anzeige

Die Verpflichtung, die McGuinness mit Mitte Zwanzig eingeht, als er vom Jungen zum jungen Mann wird, gilt vor allem sich selbst. Als er mit 23 an die Schule zurückkehrt, ist er ein etablierter Football-Spieler, der das All-Ireland—wenn auch nur als Ersatzspieler—gewann, in seinem Inneren ist er von Selbstzweifeln geplagt.

„Ich hatte Angst. Ich fragte mich, was die Leute denken, wenn ich zurück durch das Schultor gehe. Sie würden sich fragen, warum ich es nicht beim ersten Mal gepackt hatte. In Donegal kannte mich jeder", erzählt er. „Aber am Ende war es die beste Entscheidung meines Lebens."

Ein paar Jahre vorher hatten sich hinter ihm alle Türen geschlossen, jetzt stieß er die erste wieder auf. „Er veränderte sein Leben", erzählt sein ehemaliger Trainer Brian McEniff. „Und meine Bewunderung für ihn wuchs von da an stetig."

Die Schule schließt er mit einem Zeugnis ab, das seine Mutter für kaum glaubwürdig hält, so gut sind seine Noten. Von da an ist er fokussiert: Er will Sportlehrer werden. „Um den Sommer frei zu haben und in der Zeit weiter Gaelic Football zu spielen", sagt er.

Die Zweifel verschwinden auch am College nicht. „Ich war 24 und die anderen Jungs waren 17, 18", erzählt er über seine ersten Studienjahre in Tralee. „Die haben alles am Computer geregelt, ich wusste noch nicht einmal, wie das Ding angeht. Ich wollte nicht, dass die Leute das sehen."

McGuinness will nach dem ersten Tag wieder verschwinden, nach den ersten Seminaren gibt er sich noch eine Woche. Dann beißt er sich fest, aber sein Leben wird erneut auf die Probe gestellt: Als ihn sein zwei Jahre älterer Bruder Mark zum Flughafen fahren will, kollidiert ihr Wagen mit einem anderen Fahrzeug. Jim McGuinness überlebt den Unfall, für Mark McGuinness kommt jede Hilfe zu spät. Er stirbt noch am Unfallort. Und dennoch: Jim McGuinness ist schon längst on the road, im Tunnel, fokussiert. Von jetzt an werfen ihn Schicksalsschläge nicht mehr um. Sie machen ihn stärker.

Anzeige

Der Junge, den sie Cher nannten, verändert sich: Er lässt sich einen Bart wachsen, mit Bart und seinen schwarzen Locken sieht er von da an wie der Sänger einer Rock´n-Roll-Combo aus. Und teilweise ist er es auch: Er hängt abends in den Bars rund um den Campus ab, das Leben genießt er. Auf Außenstehende mag er wie ein Partylöwe und Langzeitstudent wirken und muss damit leben, dass ihn dieser Ruf die nächsten Jahre begleitet. Das ist aber nur die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere ist: Er weiß mittlerweile genau, was er will.

„Die Leute lieben die Storys über die Jungs und die Bars, und meistens gibt's dafür auch einen guten Grund", erzählt Colm Parkinson. Parkinson war Student am IT Tralee und hat mit McGuinness im Universitätsteam gespielt. „Aber wenige erzählen die Geschichte, wie Jim McGuinness morgens um 7 Uhr an deine Tür klopft und wir eine halbe Stunde später Gewichte stemmen. Ohne Jimmy hätten wir den Sigerson-Cup niemals gewonnen."

Der Sigerson-Cup ist die höchste Auszeichnung für Universitätsteams, McGuinness sollte den Pokal in den folgenden Jahren dreimal mit Tralee und Jordanstown gewinnen, wo er seine Ausbildung zum Sport- und Fitnesstrainer beendet. Zweimal führt er die Teams als Kapitän aufs Feld, nachts setzt er sich in sein Auto und besucht Trainingseinheiten erfolgreicher Teams, um zu lernen. Es ist die nächste Verwandlung und der nächste Schritt auf seiner Reise. McGuinness wird zum Leader. Den letzten Schritt macht er, als er nach Liverpool geht und von dort mit einem Universitätsabschluss als Sportpsychologe zurückkehrt.

Anzeige

Ein Tribut-Video für Jim McGuinness mit Bildern aus seiner Karriere

2004 ist Jim McGuinness in Donegal ein etablierter County-Spieler, Fitnesstrainer und Sportpsychologe. Über zwölf Jahre hat er bis dato Gaelic Football an den Universitäten, für seinen Heimatverein aus Glenties und die Grafschaft Donegal gespielt, an den Erfolg des ersten Jahres aber knüpft er nie wieder an. Donegal entwickelt sich in den Jahren nach dem All-Ireland wieder zu Irlands Loser-Team Nummer Eins, die Region ist weiterhin Irlands Stiefkind.

Bis 2004 spielt McGuinness noch weiter, dann folgt ein Spiel in Killybegs, dort, wo er nach der Schule mit Fischkuttern in die See stieß. Seine Spielerkarriere endet vorerst durch einen Zusammenprall, der in seinem Knie beinahe alles zerreißt. Ein Jahr hockt er verletzt auf der Couch.

Und dann ist es wieder dieses Spiel, das ihn einfängt.

Fortsetzung folgt.

Was euch im 3. Teil erwartet:

Wie Jimmy McGuinness den Gaelic Football revolutionierte

Jim McGuinness ist 32, als seine Trainerkarriere beginnt. Er krempelt grundlegend die Taktik seiner Mannschaft um, macht seine Spieler so fit wie noch nie zuvor und appelliert mit viel Pathos und Heimatliebe an das Ehrgefühl seiner Spieler. Die Geburt einer Legende.