Nicht mal der Fußballgott hat noch Lust auf den HSV

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Nicht mal der Fußballgott hat noch Lust auf den HSV

Das Pokalaus gegen den Regionalligisten Jena war der erste Offenbarungseid. Ein verlorener Rucksack mit Gehaltslisten und randalierende Fans runden das Hamburger Wochenende ab. Hat der HSV sich seinem Schicksal endlich ergeben?

Der HSV macht genau da weiter, wo er letzte Saison aufgehört hat. In der ersten Runde des DFB-Pokals verloren die Hamburger beim Regionalligisten Carl Zeiss Jena mit 2:3 und boten ihren Fans Grottenfußball D.O.C. Doch nicht mal die verhalten sich erstligareif, denn nach dem Schlusspfiff versuchten mehrere wütende HSV-Fans, den Platz zu stürmen (vielleicht haben ja ein paar von ihnen doch noch einen kurzen Blick auf die in einem Rucksack verloren gegangene Gehaltsliste des Hamburger SV werfen können, die mittlerweile wieder sicher in der HSV-Geschäftsstelle angekommen sein soll).

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Meine Hoffnung, dass es dieses Jahr endlich mal mit dem HSV-Abstieg klappen könnte, ist neu entfacht (ich weiß, ich werd's wohl nie lernen) und hat kurioserweise mit dem späten Tor für die Hanseaten zu tun. Denn nicht einmal das hat am Ende dafür ausgereicht, dass man gegen einen Viertligisten (!)—und gefühlt zum 1000. Mal in den letzten paar Jahren—den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Fürth- und Karlsruhe-Fans wissen vielleicht, wovon ich rede.

Ich frage mich: Wie viele neutrale Fußballfans—sprich ab dem Anstoß De-facto-Jena-Fans—haben spätestens ab der 86. Minute mit der Bierpulle in der Hand zitternd vorm Fernseher gesessen und zu ihren Kollegen gesagt: „Ich wette, der Scheiß-HSV schießt noch ein spätes Tor." Dann kam die 87. Minute, immer noch nichts. Dann die 88., 89. und 90. Spätestens jetzt war es wieder zu hören. „Okay, Nachspielzeit. Jetzt schießen die doch auf alle Fälle noch ein Tor." Dann gingen drei weitere Minuten ins Land. Nix. Der Fußballgott, schon seit Jahren in Hamburg ansässig, war anscheinend nach zu vielen Pullen KöPi eingepennt. (Nach 75 (!) Jahren Partnerschaft mit dem Hamburger Bierbrauer Holsten hat der HSV ab dieser Saison mit König Pilsener einen neuen Biersponsor, weil der—wer hätte es gedacht—mehr zahlt. Soviel zum Thema „Traditionen wahren".) Sollte jetzt tatsächlich so etwas wie Gerechtigkeit einkehren, wo beim HSV mal wieder ein wichtiges Spiel auf der Kippe steht?

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Wer noch die Szene aus der 49. Minute vor Augen hatte, als beim zwischenzeitlichen Ausgleich durch Olic die Vorlage von Ilicevic aus dem Toraus kam („ein weiterer Punkt für den HSV auf der Beliebtheitsskala in Fußball-Deutschland", wie die Hamburger Morgenpost schrieb), blieb selbst jetzt noch skeptisch. Und sollte tatsächlich Recht behalten. Denn nach einer Hamburger Ecke gewann der aufgerückte Rene Adler das Kopfballduell, und Neuzugang Gregoritsch schoss den Ball aus kurzer Distanz über die Linie. Was dann auf den Sofas und in den Fußballkneipen Deutschlands (außerhalb Hamburgs, versteht sich) los war, kann man sich wohl denken. Dass hier und da der ein oder andere Kraftausdruck gefallen ist, gilt als sicher.

Der Twitter-Account von Carl Zeiss Jena blieb da noch richtig diplomatisch, wenn auch eindeutig fatalistisch:

Unfassbar. Der Fußballgott ist ein Hamburger. 2:2 in der Nachspielzeit.
— FC Carl Zeiss Jena (@fccarlzeissjena) 9. August 2015

Spätestens jetzt waren sich alle einig, dass der HSV das Spiel in der Verlängerung noch drehen würde. Schließlich konnte man davon ausgehen, dass der Erstligist dem semiprofessionellen Viertligisten konditionell weit überlegen sein müsste. Und dann noch der psychologische Vorteil, dass das Momentum jetzt klar auf der Seite der Hanseaten lag. Vom Vorteil, den Fußballgott in der eigenen Tasche zu haben, erst gar nicht zu sprechen.

Was dann passierte, war die noch größere Sensation aus der Sicht von Jena und die noch größere Blamage aus der Sicht vom HSV. Anstatt dem immer noch angeschlagenen Regionalligisten den Todesstoß zu verpassen, scheuten die Hamburger das absolute Risiko, wofür sie prompt—und, HELL YEAH, verdient—bestraft wurden. Nach einem weiten Einwurf von Filip Krstic köpfte der erst in der 88. Minute eingewechselte Pieles zum umjubelten 3:2 für die Gastgeber ein. Da waren 106 Minuten gespielt. Blieben dem Fußballgott also noch 14 Minuten Zeit, die Sache wieder gerade zu biegen. Doch selbst der hatte anscheinend die Schnauze gestrichen voll, nachdem er dem HSV bereits zweimal unter die Arme gegriffen hatte, ohne dass der daraus etwas Sinnvolles gemacht hätte. Und so trat das ein, was nach dem Last-Minute-Comeback der Hamburger wohl kaum einer mehr für möglich hielt: Der HSV verlor und schied aus.

AMEN.

Ach so, einen letzten Kommentar kann ich mir dann doch nicht verkneifen. Bruno Labbadia gab nach dem Spiel Folgendes zu Protokoll: „Das ist eine große Enttäuschung für uns, denn das hat sich für uns im Vorfeld nicht so abgezeichnet. Wir sind nicht an die Grenze gegangen und haben verdient verloren. Es schien nicht der unbedingte Wille da gewesen zu sein. Jeder hatte zu viel mit sich selbst zu tun."

Lieber Bruno, erstens hat sich das schon seit Jahren abgezeichnet, zweitens war DEFINITIV nicht der unbedingte Wille da und drittens verstehe ich nicht, was du damit meinst, dass deine Spieler zu viel mit sich selbst zu tun hatten. Haben sie sich—anstatt ordentlich zu verteidigen—heimlich einen Mitesser auf der Stirn ausgedrückt? Haben sie sich—anstatt mehr Tore als ein Viertligist zu schießen—lieber überlegt, in welchem edlen Restaurant sie ihre Perle nach diesem nervigen Pokalspiel zum Abendessen ausführen können? Du merkst schon, ich stehe ziemlich auf dem Schlauch. Vielleicht habe ich aber auch einfach nur zu viel mit mir selbst zu tun.