Konfetti für die Staatsgewalt—bevor die Bagger das Labitzke-Areal geplättet haben
Alle Fotos von Evan Ruetsch

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Konfetti für die Staatsgewalt—bevor die Bagger das Labitzke-Areal geplättet haben

Vor zwei Tagen spielten Polizei und Aktivisten noch Karneval. Heute wurde es ernst.

Gestern um 23.50 verschickte die Gruppe Labitzke eine SMS, die klarmachen sollte, dass am Donnerstag kein zweiter Karneval stattfindet: „Morgen früh Räumung von Labitzke! Kommt sobald ihr könnt!"

Am folgenden Morgen ist unser Fotograf schon ab 6.00 vor Ort. Als sich auch nach acht keine Polizei zeigt und die Pendlerbusse brav passieren, werden die ersten ungeduldig. Einigen Wartenden ist es so langweilig, dass sie anfangen, Selfies vor dem Areal zu schiessen. Neben dem Journi-Grüppchen, findet sich auch ein Grüppchen Solidarischer ein. Den „Haufen Menschen", den Labitzke im allerletzten SMS von 08.57 vermeldet hat, suchen wir aber vergeblich. Die Besetzer erwarten die Räumung auf den verschiedenen Türmen und Hochsitzen. Die Zufahrt zum Labitzke ist von einer Stacheldraht-Barrikade versperrt-ein bisschen Stronghold-Feeling. Ein älterer Bewohner des Areals kommt aber, in dem er die Baustellenabsperrungen anhebt, mühelos hinein und hinaus. Als die Räumung beginnt, verlässt er das Areal.

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An den Karneval vor zwei Tagen erinnert nur ein Squatter auf dem Hauptgebäude, der mit Sombrero zwischen seinen vermummten Kumpels steht. Ab kurz nach neun wird sämtlicher Verkehr umgeleitet; bald zeigen sich auch die Polizisten, die definitiv nicht zur Verkehrsberuhigung gekommen sind. Ein Wasserwerfer fährt vor. Auf Polizisten-Seite erkennen wir ebenfalls einen Hinweis auf die Faschingsstimmung vor zwei Tagen: Zwischen Fahrer und Beifahrer des Wasserwerfers sitzt eine fröhliche Kasperlipuppe in Uniform. Aus einem der letzten Normalbürger-Transporter, der durch die Hohlstrasse darf, schreit es „Scheisse". Ob das den Besetzern oder den Polizisten gilt, bleibt unklar.

Eine Truppe Demopolizisten trennt die Journis von den Solidarischen und lenkt sie aus der grosszügigen Sperrzone. Nach und nach finden die Journis aber den Weg ums Areal zurück zu den wenigen Menschen, denen die Stapo später den Status einer „unbewilligten Demo" zusprechen wird. (Sonst könnte man sie ja nicht strafrechtlich verfolgen.) Auf dieser Joggingrunde bemerkt auch der Letzte wie grossflächig das Areal von Polizisten umstellt ist.

Einen Eingang zum Labitzke schaffen sich die Herren Freund/Helfer an der Stelle, die der ältere Besetzer als Ein-/Ausgang genutzt hat. Bald wird ein erster Squatter abgeführt. Es fahren weitere Mannschaftswagen und zwei Kranlaster von Schutz & Rettung an.

Das kleine Grüppchen Demonstranten malt Bleistift-Transpis vor Ort. Einer ruft: „Gönd endlich mol go schaffe!" Wir wissen nicht, ob das uns vom Journi-Klüngel oder den Polizisten gelten soll. Um 10.30 befestigen die Demonstranten ein Riesen-Transpi an der Tür des Wasserwerfers. Natürlich bleibt es dort nur ein paar Sekunden hängen. Trotzdem: Chapeau und ein Sternchen-Sticker für unverschämten Mut!

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Kurz darauf wird die Demo zur „Demo" erklärt und aufgelöst. Wir Journis werden galant durch die Sperrzone geleitet. Weitere Besetzer werden von einer unzugänglichen Seite mit einem Kran abtransportiert, was ein Gaffer als „Luxusbehandlung", die „es nur in der Schweiz" gebe, bezeichnet. Bald harren wirklich nur noch fünf Leute (Wenn wir richtig gezählt haben. Lange Zeit haben sich nur drei gezeigt.) auf dem Dach aus. Einer von ihnen ruft mit der Bierdose in der Hand: „I will e Boubewilligung gseh!"

Ab da dauerte es nur noch etwa hundert Lungenzüge "Parisienne ohne", einen Konfettiregen und einen Farbballon, bis Polizisten die verbliebenen Besetzer vom Kran und der Treppe her verhafteten. Das Zuschauen tat jetzt weh, denn der Gentrification-Konflikt verlor jeden Katz & Maus-Charme: Die Besetzer wollten nur passiven Widerstand leisten. Sie haben nur passiven Widerstand geleistet. Die Polizei wollte eine Eskalation ebenfalls vermeiden.

Diese ewige halbe Stunde, in denen die Squatter auf dem Dach bereits in der Falle sassen, konnte es nur geben, da die Räumung so friedlich verlaufen ist. Man sattelt bei den städtischen Behörden aber nicht direkt auf reformpädagogische Methoden um: Gleich nach dem Mittagessen fahren die ersten Bagger auf, um das bunte Wohnprojekt zu plätten.

Alle Fotos von Evan Ruetsch