„Viele Old-School-Metaller hassen Metalcore“—Nuclear Blast-Gründer Markus Staiger im Interview

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„Viele Old-School-Metaller hassen Metalcore“—Nuclear Blast-Gründer Markus Staiger im Interview

Ein Gespräch mit Markus Staiger von Nuclear Blast über die heutige Metalszene, den Verdienst junger Bands und fehlende neue Trends.

Marcus Staiger hat im Berlin der Endneunziger das Rap-Label Royal Bunker gegründet und damit die Wurzeln für harten Deutschrap gelegt. Markus Staiger hat Ende der Achtziger in Baden-Württemberg das Metal-Label Nuclear Blast gegründet und beeinflusst damit bis heute die internationale Metalszene. So witzig es auch wäre: Brüder sind die beiden Staigers leider nicht. Während Royal Bunker längst Legende ist, darf sich Nuclear Blast weiterhin die Label-Heimat deiner liebsten Metalbands nennen. Manowars „Warriors of the World", Meshuggahs komplette Diskografie, Slayers aktuelles Repentless oder Thy Art Is Murders Holy War—überall prangt das Nuclear Blast-Logo auf der CD-Hülle.

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Seit den Achtzigern ist verdammt viel passiert. Die Musikindustrie wurde durch die Digitalisierung revolutioniert​. Die Sub- Genres von Metal teilten sich nochmal in unübersichtlich viele neue Subgenres auf und komplett neue Richtungen entstanden. Heutzutage genießt Metal ein gänzlich anderen gesellschaftlichen Stand als noch vor 29 Jahren. Also haben wir mal mit Staiger geredet—über die heutige Metalszene, finanzielle Probleme von jungen Bands und fehlende neue Trends.

Noisey: Wie glücklich bist du mit der heutigen Metalszene? Was war früher besser oder eben schlechter?
Markus Staiger: Das ist schwer zu beantworten. Mal etwas stumpf heruntergebrochen: Zu viele Neuheiten—da sind aber wir mit Schuld, haha, kann man uns gerne vorwerfen … Früher war das viel übersichtlicher. Mitte der 80er bin ich einmal in der Woche in meinen Stamm-Plattenladen Pfiff Records in Göppingen gegangen: Da stand ein Karton mit Metal-Neuheiten, paar Stück die Woche. Niemand hätte es sich auch leisten können, mehr als ein Album pro Woche zu kaufen, was ja teilweise schon viel ist. Außerdem mochte ich die Digitalisierung und vieles im Internet nicht.

Der ganze Scheiß mit iPod, iPhone etc. ging mir voll auf den Zeiger. Ich bin eher Vinyl-Fan oder auch gerne CD—ich habe einfach gerne etwas in der Hand. Früher gab es nur Vinyl, was auf der einen Seite cooler war, auf der anderen Seite umständlich. Man musste ja alles auf Kassette aufnehmen, um es im Auto hören zu können. CDs und LPs sammle ich nach wie vor trotzdem. Um auf die Metal-Szene zurückzukommen: Sie ist sehr groß geworden, nie gab es mehr Veröffentlichungen, Konzerte, Festivals etc.

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Während sich in Deutschland HipHop über die Jahre immer mehr an die Chartspitze gekämpft hat, sind hohe Platzierungen für Metalbands noch immer ungewöhnlich. Warum eigentlich?
Das sehe ich etwas anders. So viele Top 10-Chart-Platzierungen von Metal-Bands wie in den letzten fünf Jahren hat es nie zuvor gegeben. Eine Band wie Slayer oder Accept war zuvor nie auf der Eins. Und so eine heftige Band wie Carcass war auf Platz neun—wenn in der Woche nicht so viele Mainstream-Neuheiten erschienen wären, dann wäre die ebenfalls auf die Eins gegangen. Unglaublich, ich weiß, aber wahr.

Zuletzt gab es im Internet Protest gegen die russische Deathcore-Band Slaughter to Prevail, da deren Sänger mit Thor Steinar-Klamotten posiert hatte. Inzwischen wurden sie vom bekannten US-Label Sumerian Records gesignt. Checkt ihr vor dem Signing die Historie neuer Bands? Wann würdest du eine Band vom Label kicken?
Kurzer Prozess: Ein rechtsradikales Wort: sofort Exitus. Schau mal unser Mailorder-Programm an, da „fehlen" einige Bands, die viele andere verkaufen, auch Plattenläden. Wir schauen hier sehr genau, so gut wir können.

Gab es Signings, die du bereut hast? Wann hat dich dein Bauchgefühl mal betrogen?
Mein Bauchgefühl war nicht immer richtig. Ich bin zwar mega Metal-Fan aber alles muss den anderen Fans ja nicht gefallen. Bereuen tue ich nichts, warum auch? Ich mache seit 30 Jahren die Bands, die mir gefallen. Wobei ich meinen A&Rs zum Beispiel im Retro-Bereich freie Hand lasse, weil sie sich dort besser auskennen.

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CJ, der Sänger der gehypeten Deathcore-Band Thy Art Is Murder, hat Ende voriges Jahr seine Band verlassen. Sein Grund: Er verdiente nicht genug, um zu überleben. Auch Simon von den mittlerweile aufgelösten War From A Harlots Mouth beklagte die niedrigen Einnahmen. Ist der Traum vom Berufsmetalmusiker ausgeträumt?
Schwierig. Welcher Musiker weiß schon, was er verdienen kann oder wird, wenn er mit seiner musikalischen Laufbahn beginnt? Ich verstehe die Musiker, es ist ein sehr, sehr anstrengendes Leben. Wenn man auf Dauer zu wenig verdient, was soll man tun? In jungen Jahren geht das, aber letztlich muss ja jeder für sich selbst entscheiden, was er im Leben machen möchte. Es gibt wenige Bands, die wirklich viel verdienen. Sicher ist „viel" relativ, aber ich glaube, fast jeder Mensch möchte, dass er und seine Familie sich etwas leisten können. Viele Menschen können ja nicht mal Urlaub machen, weil sie sparen müssen. Insofern kann ich das sehr gut nachvollziehen. Wobei Thy Art is Murder vom ersten zum zweiten Album bereits eine tolle Entwicklung gemacht haben, vor allem in den USA und ihrem Heimatland Australien.

Modernen Metalbands wird oftmals vorgeworfen, wie die Kopie einer Kopie zu klingen. Inwieweit gibt es noch Innovationen oder komplett neue Impulse?
Spontan würde ich sagen, es ist sehr schwierig geworden mit neuen Strömungen. Alles war schonmal da beziehungsweise wird von den neuen Bands nur neu zusammengewürfelt.

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Vielleicht sind Bands wie Heaven Shall Burn oder Parkway Drive ein gutes Beispiel. Irgendwie schaffen die es, am Zahn der Zeit zu bleiben. Sie vereinen Metaller, Metalcore-Fans, jung und alt. Ich weiß nicht genau, ob ich das mit diesem Beispiel auf den Punkt bringen kann. Man könnte darüber Bücher schreiben. Auf jeden Fall, meiner persönlichen Meinung nach, würde ich als Nuclear Blast-Beispiel meine persönlichen Götter Meshuggah nennen. Für manche unanhörbar, für mich der Wahnsinn. Absolut besonders, eigenständig, abgefahren und mit nichts zu vergleichen, aber tausendmal kopiert. Hinzu kommt, dass ich die Menschen der Band sehr mag und zu Beginn lief es wirklich sehr schlecht. Das erste Album Contradictions Collapse und die None Mini-LP wollte keiner haben. Hat nix verkauft. Es ging langsam step by step bergauf. Gewiss ist es so, dass viele Bands nur mit Touren und Merch überleben können. Zumal sie die Tourgelder ja alle selbst bekommen, abzüglich Touragentur, und auch Veranstalter.

Bist du manchmal von der modernen Metalszene gelangweilt?
Nein, überhaupt nicht! Da ich alle Genres im Metal höre, kann bei mir bei der Vielfalt niemals Langeweile aufkommen. Viele Old-School-Metaller hassen Metalcore, die junge Generation. Ich mag diese Bands sehr. We Came As Romans, Bring Me The Horizon, Asking Alexandria, Attila, Emmure, Attack Attack, oder auch A Day To Remember, die es ja schon recht lange gibt. Vor allem in den USA gibt es hunderte junge Metalcore-Bands, die finden aber fast alle in EU leider nicht statt. Warum das so ist, kann ich nicht beantworten. Ich habe schon oft drüber nachgedacht. Aber der US-Markt ist einfach anders als der europäische. Umgekehrt verkaufen viele in Europa erfolgreiche Bands in den USA wenig.

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Markus Staiger (Credit: DiMa Photography / Manuela Dieringer)

Markus Staiger

Es gab Metalcore, Elektro-Core, Deathcore, Djent—Doch was sind die aktuellen Trends im Metal?
Kurze Antwort: Ich/wir sehen im Moment keine neuen Trends, leider. Oder wir übersehen es … Es ist eher so, dass eben manche Bands, egal welcher Spielart, weiterhin größer werden, zum Beispiel Sabaton. Wir alle wissen aber, dass es sehr viele Metal-Fans gibt die die Band nicht mögen. Oder Machine Head, die sich sehr gut halten und für meinen Geschmack super Platten rausbringen. Emmure würde ich gerne auch noch nennen, deren neues Album kommt im Januar 2017, und es ist der schlichte Oberhammer! Eine meiner derzeitigen Lieblingsplatten.

Letzte Frage, die sein muss: Wird Nu Metal mit einer Garde neuer Bands wiederkommen?
Klares Nein, sehe ich null. Hat sich schon vor Jahren totgelaufen, allerdings kenne ich da auch nicht allzu viele Bands.

Julius ist auch auf Twitter: @BackToSchoolius