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Air Sex

Luft-Sex ist sowas von Sport

Luft-Sex ist das, wonach es sich anhört, nur dreckiger. Und es gibt Meisterschaften, bei denen Pornostars wie Lisa Ann als Punkterichter fungieren. Wir haben uns das Spektakel angeschaut.
Photo courtesy of Air Sex

Kate Anderson steht auf der Bühne im Abbey Pub in Chicago und macht in Richtung mehrerer Zuschauer eine glasklare Geste: Näherkommen, keine falsche Scheu bitte. Dann beginnt sie auch schon, zu „You and I" von Lady Gaga lasziv die Hüften zu kreisen. Ihre Augen glänzen, während sie ihr wohl kokettestes Lächeln aufsetzt.

Jetzt will sie's wissen: Sie lässt eine imaginäre zweite Person auf der Bühne auftauchen und die beiden tauschen Küsse aus. Mit Leidenschaft und noch mehr Zunge. Dann beißt sie ihrem Gegenüber (zärtlich?) in den Hals und zieht herzhaft an den Haaren. Sie lässt ihren BH pantomimisch verschwinden und geht auf die Knie, um von dort aus offensichtlich eine Frau intim zu verwöhnen. Mit Leidenschaft und noch mehr Zunge. Die Menge grölt, Kate steht auf und zieht sich, nein, schnallt sich etwas an. Kurze Zeit später zeigt sie einen Orgasmus, der in Hinblick auf Intensität und Ausdrucksstärke seinesgleichen sucht. Spätestens jetzt ist klar, warum Kate US-Meisterin im „Air Sex" (auf Deutsch: Luft-Sex) ist. Und warum man angesichts so viel schweißtreibenden Einsatzes bei Air Sex durchaus von Sport sprechen kann.

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Mittendrin statt nur dabei: Danke, Katie! Foto mit freundlicher Genehmigung von Air Sex

Air Sex ist beileibe nichts Neues. Schon diverse Medien haben über den seit 2007 bestehenden Wettbewerb der besonders schlüpfrigen Sorte berichtet, darunter Cosmopolitan, BuzzFeed, Playboy und sogar die Huffington Post. Normalerweise werden die Veranstaltungen von Comedian Chris Trew—der bereits bei America's Got Talent mit einer eigenen Luft-Sex-Darbietung aufgetreten ist—moderiert. Zum Luft-Sex soll übrigens bald auch ein Film erscheinen, der laut offizieller Air-Sex-Website eine „Mischung aus Doku, Comedy und Sexunterricht" werden soll.

Die besagte Seite nennt Luft-Sex den weltweit ersten SPART (ein Portmanteauwort aus sport und art), eine Behauptung, über die Zirkusartisten und Skateboarder wohl aber nur lachen können. Wie dem auch sei: Luft-Sex ist in der Tat einzigartig, und zwar indem sowohl seine Teilnehmer als auch das Publikum hier einen Raum für wilde, gut gelaunte und sportlich anspruchsvolle Sex-Pantomimen bekommen. Bei denen man durchaus noch was lernen kann.

Dass sich das hier Gezeigte grundlegend von anderen Koitus-Repräsentationen unterscheidet, ist etwas Gutes—also weg von peinlich-sterilen Aufklärungsstunden in der Schule oder dümmlich-stereotypen Darstellungsformen im Fernsehen. Hier wird Sex so gezeigt, wie er wirklich—zumindest in den Köpfen der Teilnehmer—passiert.

Und das ist ziemlich amüsant und unterhaltsam, obwohl es hier auch um Titel geht und „Champions" gegeneinander antreten. Letztere lässt man übrigens aus den gesamten Vereinigten Staaten einfliegen, mit freundlicher Unterstützung von Sex-Toy-Sponsor Fleshlight. Und noch etwas Erfreuliches: Hier haben engstirnige Kategorisierungen keine Chance: Es wird also weder zwischen Geschlecht, sexueller Orientierung und Anzahl an Partnern unterschieden. Die Teilnehmer—aber auch die Zuschauer—bekommen hier die Gelegenheit, ihre eigene Sexualität zu erforschen, sich über tief schlummernde Fantasien bewusst zu werden. Und das alles im sicheren Hafen einer hell beleuchteten Bühne in einem abgeranzten Schuppen irgendwo in Chicago. Im Anschluss an die Vorführungen berät sich die Jury—bestehend aus Comedians und „Sexperten". Auch wenn Air Sex das Äußere eines Wettbewerbs hat, ist seine Seele immer noch notgeil-verspielt.

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Gregory, der letztes Jahr in Chicago gewann, erzählt mir, dass den Wettbewerb niemand allzu ernst nimmt: „Selbst wenn du gewinnst, kannst du dich damit ja kaum brüsten." Laut eines anderen Teilnehmers gehe es vielmehr um die bloße Teilnahme, um die Möglichkeit, ein Zeichen für sexuelle Freiheit zu setzen. Dabei sein ist alles, also. Bei so viel olympischem Geist muss es wirklich ein Sport sein.

Hinter diesen Pforten wird moderner Aufklärungsunterricht gegeben. Foto: B. David Zarley

Gregory ist bekannt dafür, während seinen Sexshows auch schon mal auf einer Bratsche (nein, das ist keine sexuelle Anspielung) zu spielen oder Super-Mario-Imitationen einzubauen. Dabei überlässt er nichts dem Zufall und studiert die Nummern vorher ein.

„Du musst entweder sexy oder lustig sein", erzählt er mir. „Und ich habe leider nicht den Körper dafür, um sexy zu sein."

Der Talent-Pool ist überschaubar, bei lokalen Auftritten gibt es im Durchschnitt nur rund fünf Anmeldungen. Darum sind spontan mitwirkende Teilnehmer immer gern gesehen. Gregory erzählt, dass Leute aus dem Publikum schon so manchen Wettbewerb für sich entscheiden konnten. So wie damals auch Kate.

Das war 2010. Seitdem hatte sie auch ihr Coming-out. Und dabei hat ihr auch Luft-Sex geholfen. „Ich hatte zum ersten Mal Sex mit einer Frau, als ich auf so einer Bühne stand, also rein pantomimisch", erzählt sie mir. Anfangs hatte sie noch Angst vor ihrem Auftritt, da sie ja keinerlei praktische Erfahrungen hatte. Doch kaum stand sie auf der Bühne, waren alle Sorgen verflogen.

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Mittlerweile gehört zu ihrem Standardrepertoire auch Fisten, das sie—wie sie mir stolz erzählt—endlich auch im wahren Leben beherrscht.

„Es gibt uns das Gefühl, normal zu sein, wenn wir sehen, was auch andere alles so treiben", erklärt mir Sunny Megatron. Sunny ist Sex-Therapeutin und heute Teil der Jury. „Alles, was Leute dazu bringt, über Sex zu sprechen, ist eine gute Sache."

***

Der Gewinner des Abends ist eine Gewinnerin und eine blutige Sex-Anfängerin dazu, zumindest auf der Bühne.

Sie hat sich selbst den Namen „Pegasus" gegeben und führt einen „typischen Samstagabend" für sie und ihren Freund vor. Soll (augenscheinlich) heißen: wildes Spanken, ein bisschen Auspeitschen und eine gesunde Dosis Pegging.

Pegasus' Gesicht strahlt vor Freude, als sie zur Siegerin gekürt wird—fast so wie eine erfolgreiche Olympionikin, die auf dem Siegertreppchen steht.