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Zauberhafte Wahrheiten

Unsere Propaganda-Revue für 2013 und darüber hinaus.

Endlich Jahresende! Traditionelle Zeit der Besinnung, Einkehr und des verminderten Pornographiekonsum. Großmuftis des Gehirnmatsch wie Günther Jauch werden dir aber in ihrer Jahresrevue kaum offenbaren, dass auch 2013 ein fabelhaftes Jahr für die Gourmetfreunde der politischen Kommunikation war: Hübsch verpackte Propaganda und Kreativexplosionen des Double-Speak all überall.

In den US-Lagern des Giftgases Sarin wurden 1970 weiße Hasen zum Aufspüren undichter Stellen eingesetzt. (via Wikimedia Commons)

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Wie Kanzleramtschef Pofalla im August 2013 die NSA-Affäre [für beendet erklärte](http://Link: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-08/nsa-bnd-pofalla--bundestag-spaehaffaere-snowden-abkommen), verdient mit Abstand den ersten Platz in der klassischen Kategorie abgewürgte Debatte. Preiswürdig ist dabei die Haltlosigkeit und Inhaltsleere seines Dementi, welches er direkt abfeuerte, nachdem ihm britischer und us-amerikanischer Geheimdienst versichert hatten, in Deutschland „Recht und Gesetz“ zu achten. Als dann wenige Wochen später bekannt wurde, dass das Handy der Kanzlerin abgehört wurde, ließen sich unsere Regierungssprecher natürlich eine Verurteilung in sehr sehr kritischen Worten nicht nehmen—kaum denkbar jedoch, dass der Rhetorik allgemeingültige Taten folgen.

Ein Lehrstück in der Kategorie digitale Dummheit lieferten die Tea-Party-Aktivisten, die ernsthaft das Videospiel BioShock Infinite für ihre Anti-Einwanderungspropaganda nutzen. Die bitterböse Botschaft von BioShock Infinite gegen den Rassismus der Gründertage Amerikas ist den ultrakonservaten einfach mal vollständig entgangen.

Sonderpreis: Realsatire 2013

Für die volle nordkoreanische Wahrheit bitte unbedingt die deutschen Untertitel einschalten. 

Hier zeichnen sich die ohnehin favorisierten nordkoreanische Propagandafilmer aus: In einem wahnwitzigen Werbevideo für ihre nicht-funktionierenden Raketen, haben sie unerreichbare US-Ziele vollkommen falsch auf einer Landkarte platziert. Immerhin wurde das ganze untermalt mit dem stilsicheren Soundtrack einer Michael Jackson Imitation: „We are the World". Subtile Lügen all überall.

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Die faulste Ausrede 2013: Obama und das syrische Giftgas

Zielsicher ist dieser Tage an der öffentlichen Diskussion ein längerer Artikel des Investigativjournalisten Seymour Hersh vorbeigedriftet. Wahrscheinlich aufgrund des Unterhaltungswert der endlosen Slapstickeinlagen der Geheimdienstpressesprecher, blieb die Rezeption des Textes in der London Review of Books beschränkt auf deren Publikum aus dem Muff britischer Leftfield  Akademiker-Bonhommismo.

Der Artikel resümiert die todsicheren Beweise für den Giftgasangriff des Assad Regimes im September diesen Jahres als fadenscheiniges Zusammenspiel von politisch kuratierten Gerüchten und zurückgehaltenen Fakten. Interessant ist dabei, dass der gute Herr Hersh es scheinbar nicht geschafft hat, ein amerikanisches Blatt für seine Geschichte zu gewinnen. Hängt es vielleicht mit einem gewissen Klima der Angst zusammen, welches sich derzeit unter transatlantischen Redakteuren breitmacht?

Nun gut, man wird sagen: wer hätte das auch nur erahnen können? Massenvernichtungswaffen als vorgehaltener Kriegsgrund. Geradezu undenkbar!! Oder war da nicht mal irgendwas? Alles ein bisschen neblig im Kopf von der letzten Glutamatpizza und der Diätcola.

Wahrheit feindosiert: Colin Powell argumentiert 2008 für die Gefährlichkeit von Sadam Hussein und für den Irakkrieg vor der UN. (via Wikimedia Commons)

Deswegen, noch einmal für alle Freunde der fortgeschrittenen Meinungtechnologiedemokratie unsere ganz persönliche Top 5 der herzerwärmendsten neuzeitlichen Propagandamomente. Bitte dann weiterleiten, wenn die Freunde das nächste Mal von der warmen Couch oder der gemütlichen Stabilität des heimischen Schreibtisch per Facebook empört zum Luftschlag gegen den Supermassenmörderdiktator aufrufen. Einem Krieg an dem sie selbstverständlich niemals selbst teilnehmen würden und dessen materielle Konsequenzen sie höchstens dann Bemerken, wenn sie sich ein paar Monate später über die unverschämten Flüchtlinge beschweren, die dann wieder überall in den Parks rumlungern und Dope verticken.

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Diese Revue hat also Gültigkeit über 2013 hinaus. Denn Du weißt: nach dem humanitären Krieg ist vor dem humanitären Krieg.

Top 5: Saakashwilis Olympia-Überraschung

Georgien war möglicherweise eifersüchtig als Peking 2008 alle Blicke zum olympischen Showdown auf sich zog. Deswegen rief am Morgen des 8. August Präsident Saakashwili auch gleich live auf CNN das Gewissen der Welt dazu auf den bösen Russen zu stoppen der eine heimtückische Aggression gegen Georgien gestartet hatte.

Der arme Micha, man sieht wohl, das er sich da ein bisschen verkalkuliert hat. Man könnte gar meinen dem versicherungsvertreterartigen Präsidenten steht der Schweiss auf der Stirn. „Haben Sie da nicht ein bisschen hochgepokert, als sie die Enklaven zurückholen wollten?“ , fragt der Mann vom CNN: „Nein. Absolut nicht, wir wären ja selbstmörderisch.“

Genau das wurde dann aber ein Jahr später im Bericht der europäischen Komission attestiert. Egal ! Wie sonst hätten wir peinliche Auftritte wie den des senilen „bomb-bom Iran“ Senators McCain erlebt, der mit der Parole „We are all Georgians“ in guter alter Brinkmanship Hardliner Manier [zur Bestrafung Russlands aufrief](http://7 http://www.youtube.com/watch?v=Iphxko1Amkk).

Kein Problem, man kann sich natürlich schon mal vertun. Kleine Anekdote am Rande, die Russen hatten schon ihre SS21 Abschussrampen für taktische Nuklearwaffen als Signal an McCain aufgefahren. Dritter Weltkrieg: Witzig, nicht wahr?

Top 4: A Gay Girl in Damascus. Genderdrama mit groteskem Abgang

Die tragische Story von Syrian Girl zerreißt mir immer wieder das Herz.  Die tapfere, lesbische Damaszenerin in ihrem Widerstandskampf gegen das Assadregime. Schrieb täglich Blogeinträge ihres unterdrückten Leides und ihrer Dissidenz: dann die Schreckensnachricht der Freundin: Verhaftung durch die fiesen Regierungstruppen.

Es folgen die üblichen Facebooksupportgruppen, bei denen man blitzschnell politischen Widerstand in Form von Likes kreieren kann. Eine herzzerreißende Story,  besonders wie maßgeschneidert für das linke kritische Universitätspublikum in Genderstudiengängen und alle LGBT Sympathisanten. Fraglich allerdings ob das gleiche Publikum ähnlich tolerant war als sich Gaygirl in Damascus als ein in Schottland lebender amerikanischer Mann, Tom MacMaster herausstellte.

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Ein Coming Out immerhin! Zudem war MacMaster auch noch mit Britta Froelicher aus dem akademischen Dunstkreis in Sachen Syrienfragen und mit Verbindungen zum Foreign Policy Establishment, liiert. Wahrscheinlich auch das Zufall !

Top 3: Der schmierige Viagra-Gaddaffi

Viagra weise uns den wahrhaftigen Weg. Bild via Picasa: Julio Vega

Als der arabische Frühling 2011 angeblich gegen den libyschen Regierungschef Gaddafi ausbrach, teilte Susan Rice der Welt mit dieser habe seine regierungstreuen Truppen versorglich mit Viagra für die anstehende Massenvergewaltigung des Aufstandes versorgt.

Eine Meldung, die, „Sex Sells“, schnell durch alle Medienkanäle getragen wurde und die Welt in Aufruhr und damit auch auf Luftangriffe gegen libysche Regierungstruppen einstimmte. Natürlich gab es keinerlei ernstzunehmende Beweise für die Aussage, wie sich etwas später herausstellte, ein Faktum, welches sogar den Militärs etwas zu peinlich war. Diese gaben einige Zeit später bekannt, dass es sich um eine vollkommen haltlose Aussage handelte und auch die ehemaligen Ankläger innerhalb der UN wollten so recht keine Beweise liefern.

Trotzdem kam die Meldung natürlich gut an. In dem ihm eigenen universellen Anspruch, aber vielleicht auch nicht untreffend hatte Julien Assange einmal bezüglich von Vergewaltigungvorwürfen bemerkt: Wenn es um Körperlichkeit geht hören die Menschen auf zu denken und ihre eigenen Vorstellungen und Phantasien lösen die Fakten ab. Der CIA weiß natürlich auch schon länger, dass das Symbol arabischer Mann unterdrückt seine Frau besonders gut bei den Europäern als Kriegslegitimation ankommt.

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Top 2: Saving Jessica Lynch

Manche Lügen sind so schön, sie gehören verfilmt.

Ein weiterer Leckerbissen ist die Geschichte der amerikanischen Soldatin Jessica Lynch. Eine heroische 19 jährige Soldatin gerät in einen irakischen Hinterhalt, verteidigt sich unter Aufgabe ihres eigenen Lebens für die Nation. Sie wird gefangengenommen. Einige Zeit später stürmen rettende amerikanische Truppen und Soldaten gegen erbitterten Widerstand, nach dem Hinweis eines irakischen Anwalts ein Krankenhaus in dem die junge Soldatin gefoltert und vergewaltigt wurde. Oder so ähnlich…

Die Geschichte jedenfalls inspiriert einen medialen Sturm von Sympathie und Entsetzen. Sogar ein eigener Film wird für die heimischen Audienzen produziert. Saving Jessica Lynch als Hommage an Saving Private Ryan. Da ist es letzendlich auch nur noch ein kleines und wenig dokumentiertes Detail am Rande, das Jessica Lynch nie vergewaltigt oder gefoltert worden ist, oder dass das Krankenhaus die verwundete Soldatin gepflegt hat, keinen Widerstand gegen die einstürmenden Truppen leistete, und dass die Soldatin selbst sagte, das die Geschichte nicht stimme. Produziert wurde das Szenario im übrigen von der Public Relations Firma The Rendon Group, dessen Gründer John Rendon angeblich Dustin Hoffmans Role in Wag the Dog inspirierte.

Top 1: Die Babyinkubatoren Story

Auch das Annehmen eines falschen Namens, macht die fake Zeugin nicht glaubhafter.

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Mein ganz persönlicher Human Touch Propaganda Favorit! Die berührende Geschichte der kleinen Nayirah bringt mich persönlich immer wieder an den Rand der Tränen. Vor dem amerikanischen Kongress beteuerte sie irakische Soldaten dabei beobachtet zu haben, wie sie kuwaitische Babies aus Inkubatoren geholt haben um sie daraufhin sterben zu lassen.

Die allgemeine Betroffenheit der Versammlung und die bedächtigen Stimmen der Teilnehmer  erzeugten dann auch den nötigen Gänsehautfaktor um die amerikanische Bevölkerung von der ersten Invasion des Schurkenstaates Irak Anfang der 90er zu überzeugen.  Da ist es dann eigentlich auch gar nicht so wichtig das die kleine Nayirah als Tochter des Kuwaitischen Botschafters in den Vereinigten Staaten vielleicht etwas voreingenommen war, und dass die gesamte Geschichte ohnehin von der Public Relations Firma Hill & Knowlton vollkommen frei erfunden war.

Nayirah jedenfalls hat Kultfaktorpotenzial. Vielleicht auch weil sie heute als Zeugin einer Zeit wahrgenommen werden kann, in der man noch anständig, theatralisch und authentisch gelogen hat. Im Fernsehen und ersichtlich für alle. Im heutigen Zeitalter von zynischen und blassen Pressesprechern und einer neuen Generation von Information Ops hingegen ist alles nur noch verwirrende und kalte Informationsflut. Die Lüge fühlt sich unter solchen Umständen einfach nicht mehr so richtig echt an.

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